Wie Hunde lernen: Das Leben will gelernt sein, das Lernen will gelebt sein
(*) Zitat in der Überschrift von Manfred Hinrich (1926 – 2015), Dr. phil., deutscher Philosoph
In der Psychologie wird Lernen als eine Änderung im Verhaltenspotenzial beschrieben, die auf Erfahrungen des Organismus zurück geht. Im Gehirn werden dabei, im Zusammenspiel von Nervenzellen, Synapsen und Hormonen, sogenannte Engramme (Erinnerungsbilder) erstellt. Neue Verbindungen, die zusätzlich oder als Ersatz für andere Verbindungen entstehen und das Verhalten in irgendeiner Form beeinflussen. Dies ist ein immerwährender Prozess während des Lebens, denn Lernen, also die Anpassung der Denkweise an neue oder veränderte Bedingungen, macht uns Menschen und fast alle Säugetiere so erfolgreich.
Um zu verstehen, warum Ihr Hund bestimmte, möglicherweise problematische Verhaltensweisen zeigt, empfiehlt es sich also die Grundgesetze des Lernens zu betrachten.
Dieser Artikel ist für alle interessant, bei denen gerade ein Welpe einzieht, für jeden, der fragwürdiges oder potenziell gefährliches Verhalten bei seinem Hund beobachtet oder seinem alten Hund noch neue Tricks oder Verhaltensweisen im Allgemeinen beibringen will. Im Grunde also für jeden Hundehalter.
Überall hilft es uns, zu verstehen wie Lernprozesse ablaufen, um sie günstig zu beeinflussen und somit weitgehend stressfreies Lernen zu ermöglichen.
WELCHE LERNFORMEN GIBT ES ÜBERHAUPT UND WIE WIRKEN SIE SICH AUS?
1. Klassische Konditionierung
In meinem bisherigen Leben als Hundehalter und Trainer habe ich mich oft und intensiv mit dieser Form des Lernens beschäftigt und auch Sie sollten verstehen welche wichtige Rolle sie spielt, daher sei hier die klassische Konditionierung zuerst erwähnt.
Bei der klassischen Konditionierung wird eine nicht steuerbare Reaktion an einen Auslöser gekoppelt. Bestes und berühmtestes Beispiel sind die Hunde des Iwan Pawlow (1849-1936).
Der Nobelpreisträger beobachtete bei seinen Hunden, dass wenn sie Futter riechen oder sehen sofort der Speichelfluss einsetzt. Daraufhin setzte er einen, für die Hunde unbedeutenden Reiz (klingendes Glöckchen) vor die Präsentation des Futters. Nun setzte die klassische Konditionierung ein denn im Gehirn der Hunde fand eine Kopplung dieser Reize(Glöckchen und Futtergabe) statt. In der Folge sorgte das Klingeln des Glöckchens bereits für den Speichelfluss bei den Tieren. Das Glöckchen kündigte nun das Futter an.
Im Hundetraining machen wir uns diese Lernform beim Clickertraining bzw. beim Training mit Markersignalen zu Nutze da der klick oder allgemein der Marker die folgende Belohnung ankündigt.
Überdenken Sie folgendes Beispiel:
Ihr Hund bemerkt beim Gassi gehen seinen Spielkameraden und versucht sofort, aufgeregt und in Spiellaune zu seinem Hundekumpel zu kommen. Die Hunde sind wahrscheinlich sehr gut aufeinander eingestellt und treffen sich regelmäßig zum Toben und gemeinsamen Herumrennen. Der Anblick seines Spielkameraden versetzt Ihren Hund also in eine eher aufgeregte Stimmung. Der Körper macht sich bereit für Bewegung, denn in aller Regel kündigt das Erscheinen des Hundekumpels Spiel und Spaß an. Wir kennen solche Reaktionen bei angenehmen oder unangenehmen Begegnungen auch bei uns selbst. Denken Sie an Ihre Emotionen und Reaktionen im Gespräch mit dem ungeliebten Nachbarn im Vergleich zu einem Besuch Ihrer besten Freunde. Der Nachbar ist stark verbunden mit negativen Emotionen und vielleicht sogar mit einer Steigerung des Pulses, wohingegen die meisten besten Freunde wohl eher mit positiven Emotionen und wohlwollenden Reaktionen gekoppelt sind.
Klassisch konditioniert werden können also nicht nur nicht willentlich steuerbare Reizreaktionen wie Speichelfluss, Gänsehaut oder z.B. die Steigerung der Herzfrequenz, sondern auch die damit eng verwobenen Emotionen.
2. Instrumentelle bzw. Operante Konditionierung
Die instrumentelle bzw. operante Konditionierung stellt eine weitere, wichtige Lernform dar und wurde erstmals von Edward Lee Thorndike (1974-1949) beschrieben.
Diese Form der Konditionierung stellt Ihrem Hund einen gewissen Handlungsspielraum zur Verfügung und fußt damit auf Verfahren wie „Versuch und Irrtum“. Ihr Hund hat also die Wahl ein Verhalten zu zeigen oder eben nicht. Soll Ihr Hund nun ein gewünschtes Verhalten ausführen, stellen die Rahmenbedingungen und die Konsequenzen ein Schlüsselelement dar. Diese können positiv oder negativ für den Organismus sein und demnach zu verschiedenen Lernerfahrungen führen. Man unterscheidet zwischen positiver Verstärkung (aus Sicht des Hundes wird etwas Angenehmes hinzugefügt), negativer Verstärkung (aus Sicht des Hundes wird etwas Unangenehmes entfernt), negativer Strafe (aus Sicht des Hundes wird etwas Angenehmes entfernt) und positiver Strafe (aus Sicht des Hundes wird etwas Unangenehmes hinzugefügt).
Wie Sie sehen, stehen hier die Begriffe positiv und negativ für “hinzufügen” oder “entfernen” und die Begriffe Verstärkung und Strafe für angenehme, Freude bringende oder unangenehme, ängstigende Konsequenzen.
Beispiel:
Das einfachste Beispiel für die beschriebenen Zusammenhänge ist, wenn Sie Ihrem Hund Sitz beibringen möchten.
Sie können dies mit Trainingstechniken der positiven Verstärkung machen, indem Sie Ihren Hund belohnen, wenn er sich hinsetzt oder Sie können Ihrem Hund das Prinzip von Sitz über negative Verstärkung beibringen, indem Sie Ihrem Hund solange auf die Kruppe (Hinterteil) drücken bis er sich setzt. Wenn er das tut, hören Sie auf zu drücken, eine Belohnung bekommt er nicht. Alleine dass der Druck auf den Hintern endet, sorgt bei dieser Variante dafür, dass der Hund lernt sich hinzusetzen, um sich der unangenehmen Einwirkung zu entziehen.
Bei beiden Varianten lernt der Hund die in der Situation vorherrschenden Emotionen mit. Bei der positiven Verstärkung freut sich der Hund darauf, dass er eine Belohnung für sein Tun erhält. Er wird sich künftig schneller hinsetzen, um sich eine Belohnung zu verdienen und mit Spaß bei der Sache sein. Die Interaktion mit Ihnen ist etwas Schönes.
Bringen Sie Ihrem Hund das Sitzen über negative Verstärkung bei, so lernt er, dass Berührungen durch Sie zunächst einmal unangenehm sind. Um Ihrem Hund auf sein Hinterteil drücken zu können, müssen Sie sich außerdem vornüber beugen, wodurch Sie ihn zusätzlich körpersprachlich bedrohen. Beide Verhaltensweisen können Meide- und Angstverhalten bei Ihrem Hund auslösen. Für das Erlernen neuer Verhaltensweisen sind Trainingswege der negativen Verstärkung deshalb grundsätzlich zu vermeiden.
Anders verhält es sich jedoch, wenn Ihr Hund Angst vor bestimmten Dingen hat und Sie ihm helfen möchten, diese Angst zu überwinden. In einem solchen Fall sind Trainingswege der negativen Verstärkung, unter fachkundiger Anleitung, sehr wirkungsvoll.
Ein Beispiel soll verdeutlichen, was gemeint ist: Ein junger Hund erblickt auf der Straße eine Mülltonne, die dort am Vortag noch nicht stand. Er erschreckt sich und möchte nicht daran vorbei gehen. Die Bezugsperson des Hundes ermutigt ihn, sich doch ein bisschen näher ran zu trauen – und als Belohnung für diese mutige Leistung, geht er mit seinem Hund dann wieder ein Stück von der Mülltonne fort. Die Erleichterung, die der Hund verspürt, kann die vorhergegangene Annäherung wirkungsvoll verstärken, so dass der Hund sich beim nächsten Versuch noch ein Stückchen näher an die Mülltonne heran traut. Nach einigen Wiederholungen hat der Hund gelernt, dass die Annäherung an die Mülltonne ungefährlich ist und dass er gemeinsam mit seinem Menschen daran vorbei gehen kann.
Achtung! Wenn negative Verstärkung bei der Arbeit an Angstverhalten eingesetzt wird, ist es enorm wichtig, den Hund äußerst behutsam an den Angstauslöser heranzuführen. Diese Arbeit gehört in die Hände von Profis. Lassen Sie sich also deshalb in jedem Fall von einem kompetenten Hundetrainer helfen, wenn Ihr Hund Angstverhalten zeigt. Angstverhalten sollte grundsätzlich immer behandelt werden, da der Hund sonst mit der Zeit immer ängstlicher wird.
Ein Beispiel für positive Strafe im Alltag kann man manchmal schon am Kofferraum des Autos beobachten. Um zu verhindern, dass der Hund eigenmächtig aus dem Auto springt, wird er in drohendem Tonfall ermahnt oder sogar körpersprachlich zurückgedrängt oder blockiert, sobald er auch nur einen Ansatz macht herausspringen zu wollen.
Da jedes Lebewesen auf die Vermeidung von unangenehmen Konsequenzen bedacht ist, wird der Hund diese durch Anpassung seines Verhaltens vermeiden. Leider wird dieses gehemmte Verhalten um einer Strafe zu entgehen beim Hund immer wieder mit Gehorsam gleichgesetzt und ist daher sehr populär, obwohl es für den Hund mit starken negativen Emotionen verbunden ist. Wer auf das Ausdrucksverhalten der Hunde achtet, erkennt Angst- oder Meideverhalten. Daraus folgt nicht nur psychischer Stress für den Hund. Zudem lernt der Hund in den allermeisten Fällen nicht, was er stattdessen tun, wie er sich alternativ verhalten soll. Ein Gefühl der Hilflosigkeit entsteht.
Um Ihnen ein Beispiel für negative Strafe zu geben, stellen Sie sich Folgendes vor:
Ihr Hund liebt seinen Ball. Sie holen den Ball aus seiner Spielzeugkiste und gehen mit Ihrem Hund in den Garten. Ihr Hund ist schon ganz aufgeregt, denn gleich geht sie ab, die Luzi. Sie spielen also eine Weile die Wurfmaschine, haben aber irgendwann keine Lust mehr und daher hören Sie auf den Ball zu werfen. Sie entziehen also Ihrem Hund das Angenehme. Oft wird das plötzlich, ohne Ankündigung oder Abschlussritual praktiziert. Das führt bei Ihrem Hund zu Frust, denn er wird von 100 auf 0 sich selbst überlassen. In Abhängigkeit davon wie aufgeregt Ihr Hund beim Ballspiel ist, sorgt die entstehende Frustration dafür, dass Ihr Hund Sie möglicherweise exzessiv anbellt oder an Ihnen hochspringt.
Manche Hunde schnappen sogar oder zeigen ein Übersprungsverhalten. Auf jeden Fall aber ist Frust eine äußerst negative Emotion. In Abhängigkeit davon, wie gut Ihr Hund mit Frust umgehen kann, kann der Einsatz negativer Strafe zu erwünschten Verhaltensänderungen führen, die Sie dann belohnen können oder aber auch zu massiv unerwünschtem Verhalten, wie z.B. Aggressionsverhalten Ihnen gegenüber. Die Anwendung negativer Strafe birgt also durchaus nicht zu unterschätzende Risiken, sollte daher nie das erste Mittel der Wahl im Hundetraining sein und nur nach reiflicher Überlegung und Abwägung aller Vor- und Nachteile eingesetzt werden.
Positive und negative Verstärkung sowie positive und negative Strafe sind die vier Quadranten der operanten Konditionierung. Wenn Sie mehr über diese vier Quadranten erfahren möchten, dann empfehle ich Ihnen den folgenden Artikel.
3. Eine weitere Form des Lernens ist die des sozialen Lernens.
Lernen am Modell heißt, es werden Verhalten und Konsequenzen beobachtet und imitiert oder nachgeahmt. Imitationslernen hat den Vorteil das gleich komplexe Verhalten gelernt werden können, ohne sich dem langwierigen Erfahrungsprozess zu stellen. Oft geht das Nachahmen mit Konditionierung einher, denn wenn das imitierte Verhalten positive Konsequenzen hat, wird es öfter gezeigt. Selbst das Nachahmen an sich kann sich so als nützliches Verhalten herausstellen.
Sie kennen vielleicht das Trainingskonzept “Do as I do”, in welchem der Hund ganze Bewegungsabläufe wie das Ausrollen von Yoga Matten oder das Umschubsen von Kegeln nachahmt. Diese Übungen bedürfen eines guten Trainingsplans und einen sehr erfahrenen Trainer. Was leicht aussieht, ist eine herausfordernde Fleißaufgabe mit vielen Fallstricken und interessanten Fragestellungen, denn der Hund lernt bei “Do as I Do” das Konzept des Nachahmens. Hat der Hund das Prinzip wirklich gelernt, hat diese Form des Lernens viele praktische und im Alltag auch unpraktische Facetten. Deshalb sollte der Trainer unbedingt auch etwas vom Training von Signalkontrolle verstehen.
4. Eine weitere Lernform ist das Lernen durch Gewöhnung, die Habituation
Sie ist unter allen Lernformen die Einfachste, denn Gewöhnung erfolgt, wenn Reize keinerlei Auswirkungen für den Organismus haben. Dies geschieht im Laufe eines Lebens eher unbewusst, aber definitiv sehr häufig. Man gewöhnt sich eben an – fast – alles. Beispielsweise hört man nach einigen Tagen Aufenthalt in Ländern, in denen Zikaden ihr Konzert veranstalten, eben diese nicht mehr. Man überhört ihr Zirpen. Voraussetzung für die Gewöhnung sind Reize, die in häufiger Zahl ohne positive oder negative Konsequenzen dargeboten werden. Sie verlieren an Bedeutung. Aber wie die Tatsache, dass Sie die Zikaden beim nächsten Urlaub anfangs wieder hören, so kann auch bei Ihrem Hund der gewohnte Reiz ohne Bedeutung wieder eine Reaktion auslösen, wenn er lange nicht aufgetreten ist und nun, möglicherweise plötzlich oder sehr intensiv erscheint. Sollte dieser Reiz dann auch noch Angst oder gar Panik auslösen, kann keine Habituation stattfinden. Das Gegenteil findet statt. Der Hund reagiert sensibler. Es findet eine Sensibilisierung, auch Sensitisierung genannt, statt.
Die Sensibilisierung beschreibt einen Prozess, in dem die Schwelle zum Handeln durch emotionale, motivationale oder kognitive Gründe herabgesetzt wird, sodass eine Reaktion schneller und heftiger erfolgt. Der Hund reagiert also auf einen bestimmten Reiz, immer schneller und stärker. Konkret bedeutet das, dass ihr Hund beim ersten Gewitter vielleicht Unwohlsein verspürt, beim zweiten Gewitter schon deutlich Furcht zeigt und sich die Reaktion bei weiteren Gewittern bis zur panischen Flucht ohne Sinn und Verstand steigern kann. In der Folge kommt es oft zu sogenannten erlernten Angstauslösern denn Vorzeichen wie Wind, wirbelnde Blätter oder die Änderung des Luftdrucks kündigen das eigentlich beängstigende Geschehen zuverlässig an.
So wie längere Hungerperioden den Geruchssinn für Nahrung sensibel machen so sensibilisiert die Geräuschangst den Organismus für die Begleiterscheinungen. Es spricht nicht mehr nur das Gehör an sondern alle anderen Sinne die zur Warnung vor dem Sturme taugen.
Ein anderer Vorgang, der beim Lernen ebenfalls Bedeutung hat ist die sogenannte Extinktion. Extinktion heißt Löschung, aber es handelt sich nicht um Vergessen oder Verlernen, sondern wird eher ERlernt. Denn, wenn ein Verhalten auf längere Sicht keinen Erfolg bringt, folgt die Extinktion, also die Löschung des Verhaltens. Die Extinktion ist stark kontextabhängig – daran sehen Sie, dass Ihr Hund erlernt hat dieses Verhalten, in dieser Situation nicht mehr zu zeigen. Das Prinzip der Extinktion kann man sich sowohl bei der klassischen als auch der operanten Konditionierung zu Nutze machen. Ein Beispiel ist die „be a tree“- Methode bei welcher keinerlei Feedback auf ein Verhalten folgt. “Sei ein Baum” bedeutet das sie ihrem Hund auf ein Verhalten Feedback geben wie ein Baum. Stellen Sie sich vor, sie schreien einen Baum an. Welches Feedback gibt ihnen der Baum? Richtig, null komma gar keins. Somit lohnt es sich nicht wirklich den Baum anzuschreien. Das Verhalten tritt theoretisch immer seltener auf. Allerdings heißt das nicht, dass der Hund verlernt hat, das Verhalten zu zeigen, denn wenn sich die Umstände ändern, z.B. Aufregung im Spiel ist, zeigen Hunde das vermeintlich gelöschte Verhalten oft doch wieder. An dieser Stelle einen ganz herzlichen Gruß an das Matching Law. Wer mehr über das Matching Law erfahren möchte, dem sei dieser Blogbeitrag von Katja Frey ans Herz gelegt (siehe Link “Matching Law”).
Außerdem gilt wieder, wie tolerant ist Ihr Hund gegenüber Frust? Oft wird das Verhalten erst einmal deutlich schlimmer, bevor es besser wird. Dieses Phänomen nennt man dann Löschungstrotz (vgl. Löschungstrotz oder engl. Extinction Burst). Geben sie nun innerhalb dieser Phase nach und das Verhalten ihres Hundes führt zum Erfolg findet keine Extinktion statt. Im Gegenteil, gelegentliche Verstärkung führt meist zu noch größerem Lernerfolg. Außerdem sollten Sie sich bewusst machen, wie lange Ihr Hund das entsprechende Verhalten schon zeigt und wie oft es sich für ihn gelohnt hat. Tritt ein Verhalten erstmals auf und der Hund erfährt kein Feedback, so stellt er die Handlung relativ schnell wieder ein. Hingegen wird ein Verhalten, welches sich jahrelang gelohnt hat nur schwerlich zu löschen sein.
Diskriminierung oder besser Differenzierung bedeutet nichts weiter, als eine Verhaltensanpassung an bestimmte Reize. Zum Beispiel reagiert der Hund auf das gleiche Signal jeweils anders, wenn der Signalgeber ausgetauscht wird. Sprich, wenn Sie Ihren Hund rufen, kommt er auf jeden Fall schnell zu Ihnen. Wenn Ihr Partner oder beispielsweise Fremde rufen, schaut er nur, kommt aber nicht heran. Der Hund hat also durch Diskriminierung gelernt auf verschiedene Arten auf ein Signal zu reagieren. Diskriminierung erfolgt aber auch wenn Sie Wortsignale nutzen. Belohnen Sie Ihren Hund nur, wenn er sich bei dem Wort “Sitz” hinsetzt, wohingegen er keine Belohnung erhält, wenn er sich bei “Kitz”, “Pitz” oder “Mitz” hinsetzt.
Aber Achtung, solche Differenzierungsübungen sind für Hunde als nonverbale Lebewesen sehr anspruchsvoll und anstrengend. Entsprechende Ruhepausen, ein passendes Lernumfeld und entsprechend viele Wiederholungen sind hier förderlich. Echte Wortsignaldiskriminierung ist Kopfarbeit und setzt beim kritischen Hinterfragen voraus, dass der Signalgebende für den Hund nicht sichtbar ist und die Überprüfung per Videokamera erfolgt oder aber mit einem Co-Trainer, der das gesprochen Wort nicht hören kann und z.B. erst nach der Verhaltensausführung über Kopfhörer über das gegebene Signal informiert wird, um daraufhin die richtige oder falsche Ausführung zu überprüfen.
Generalisierung (“Verallgemeinerungslernen”) bedeutet kurz gesagt, dass die Umgebungsvariablen für das Verhalten keine Rolle mehr spielen. Ihr Hund beispielsweise also an lockerer Leine läuft, auch wenn Sie nicht auf dem Hundeplatz sind oder wenn ein Artgenosse in Sicht ist. Ihr Hund sich auch im Straßencafé brav setzt oder legt, wenn er das Signal dafür bekommt und nicht nur zuhause. Hier höre ich oft bei „Bleib-Übungen“ den Satz: „Zuhause funktioniert das!“. Ein Zeichen dafür, dass das Verhalten „bleib“ noch nicht generalisiert bzw. unter Ablenkung geübt wurde.
Ein weiterer Begriff, der Ihnen beim Thema Lernen begegnet, ist Gegenkonditionierung.
Um die Gegenkonditionierung näher zu beschreiben bedienen wir uns eines oft auftretenden Beispiels aus dem Alltag:
Arachnophobie, also Angst vor Spinnen ist im Humanbereich weit verbreitet. Um diese Phobie nun zu heilen, wird dem Patienten der angstauslösende Reiz (die Spinne) gleichzeitig mit einem positiv besetzten Reiz, z.B. leckere Schokolade, dargeboten.
Die klassische Konditionierung setzt ein und je nach Ausprägung der Phobie erfolgt mehr oder weniger schnell die Gegenkonditionierung. Die Spinne ist nun nicht mehr mit Stress und Panik verknüpft, sondern mit Speichelfluss und Kakaogeschmack was für den Patienten wesentlich angenehmer ist. Wichtig ist, dass das neu erlernte Verhalten auf den Reiz “Spinne” im Gegensatz zum ursprünglichen Verhalten steht.
Allein die Gegenkonditionierung wird in den allermeisten Fällen aber nicht zum Ziel führen. Viel nachhaltiger ist es, mit Ihrem Hund eine geeignete Bewältigungsstrategie zu trainieren.
Zum Beispiel können sie ihrem Hund beibringen bei Gewitter in eine vorher eingerichtete Sicherheitszone zu gehen und sich zu entspannen. Das beängstigende Gewitter bleibt bestehen aber die Reaktion darauf ist nun nicht mehr die panische Flucht sondern das Entspannen in der Wohlfühl- oder Sicherheitszone. Beide Verhalten schließen sich gegenseitig aus denn wer flüchtet, entspannt nicht und wer entspannt, der flüchtet nicht.
Jetzt könnten Sie sich mit seinen Lieblingskeksen ausgerüstet hinsetzen, um Ihrem Hund direkt bei jedem Donnerschlag einen zu füttern. Sie wirken hier nicht nur direkt auf das Verhalten ein sondern auch auf die Emotionen Ihres Hundes. Statt „Oh nein, es hat schon wieder gedonnert“ haben Sie „Oh, der leckerste Keks der Welt“ ausgelöst. Am Ende haben sie also nicht nur eine Bewältigungsstrategie für ihren Hund etabliert sondern das Verhalten (liegen in der Sicherheitszone) auch noch positiv verstärkt und für gute Emotionen gesorgt. Somit wird es ihm noch leichter fallen, die gelernte Strategie anzuwenden. Hier sollten Sie sehr darauf achten, wie stark der Reiz präsentiert wird. Sollte Ihr Hund nicht mehr fressen können, müssen Sie an Ihrem Training einige Punkte überdenken, ansonsten riskieren Sie eine mögliche Sensibilisierung auf den Reiz.
Was uns die Theorie lehrt ist, dass bei aller Begriffserklärung deutlich wird, dass Lernen auch immer Konditionierung und andersherum bedeutet.
Nicht ohne Grund sagt man: „Pawlow sitzt immer auf deiner Schulter“!
Dieser Artikel soll ihnen keinen konkreten Trainingsplan liefern sondern viel mehr Lust auf Lerntheorie machen. Er soll sie neugierig machen die Hintergründe des hündischen Verhaltens zu erforschen, für den Alltag sensibilisieren und sie erkennen lassen das all die vorangegangenen Fachbegriffe ineinander greifen.
Die Lerntheorie stellt die Basis für qualitatives Training dar denn ohne die Theorie lassen sich in der Praxis nur sehr schlecht Erfolge erzielen.
Es handelt sich um ein sehr weitreichendes und komplexes Thema daher empfehle ich jedem, bei problematischem Verhalten, Angst und Phobien oder generell unangebrachtem, aggressivem Verhalten einen objektiven Blick von Außen zu zu lassen und einen Experten zu engagieren um die Theorie in die Praxis umzusetzen.
Nutzen Sie beispielsweise die Umkreissuche des “Trainieren statt dominieren” Netzwerks und stellen sie sicher, dass ihr Trainer fachlich fundiert und fair mit Ihnen und ihrem vierbeinigen Familienmitglied trainiert.
DENN: “DAS LEBEN WILL GELERNT SEIN, DAS LERNEN WILL GELEBT SEIN.”
© Manfred Hinrich (1926 – 2015), Dr. phil., deutscher Philosoph, Philologe, Lehrer, Journalist, Kinderliederautor, Aphoristiker und Schriftsteller
Quelle: https://www.aphorismen.de/suche?f_thema=Lernen&f_textlaenge=SMS&f_autor=1759_Manfred+Hinrich