Verhalten über freies Formen (Shaping) lernen
VORTEILE UND NACHTEILE UND DIE HÄUFIGSTEN FEHLER
DES FREIEN FORMENS (SHAPING) ERKLÄRT VIVIANE THEBY
Freies Formen, auch “free shaping” genannt, bedeutet für Mensch und Hund eine Herausforderung im Hundetraining bzw. in der Hundeerziehung. Der Mensch trainiert sein eigenes Timing, während der Hund nach und nach Handlungen erlernt.
Es ist ein bisschen wie im Daumenkino: Der Hund soll ein Männchen machen. Er bekommt ein Markersignal (Click) für alles, was nach oben geht, z.B. erst die Nase, dann der ganze Kopf, dann hebt er eine Pfote an, dann hebt er sie höher, dann hebt er noch eine… Je länger das so geht, desto eher erreicht der Hund sein Zielverhalten. Freies Formen, auch „free shaping“ genannt, ist eine Trainingsmethode, bei der der Hund sich das Verhalten alleine erarbeiten soll. Er bekommt nur ein Markersignal und Belohnung, wenn er sich auf dem richtigen Weg befindet und keine weitere Hilfestellung. Das freie Formen ist also eine Trainingsmöglichkeit von vielen. Wir wollen an dieser Stelle genauer die Vor- und Nachteile aufzeigen.
Der große Vorteil vom freien Formen ist, dass der Hundehaltende damit sehr schön sein Timing und seine Beobachtungsgabe schulen kann. Er muss wissen, wie das Endverhalten aussieht und dann den Hund immer weiter in die Richtung formen. Außerdem kann er seine Entscheidungsfreude üben. Denn es ist sehr wichtig, dass er im Training schnelle Entscheidungen trifft, welches Verhalten er belohnen will und welches nicht. Der Hund lernt dabei, dass er selbst Verhalten anbieten kann, um sich damit eine Belohnung zu verdienen. Er muss gut „nachdenken“. Das freie Formen stellt also eine gute Möglichkeit dar, den Hund geistig auszulasten.
Es wird oft gesagt, dass frei geformte Verhaltensweise vom Tier besser „abgespeichert“ werden als auf andere Weise trainiertes Verhalten. Das stimmt jedoch nicht so ohne weiteres. Sehen wir uns mal an, wie es zu dem Missverständnis kommen kann: Als Beispiel nehmen wir wieder das Männchenmachen. Wenn man das frei formt, bekommt der Hund vielleicht 50 Belohnungen, bis er in der Position sitzt. Lockt man den Hund, ist er nach drei Belohnungen schon in der gewünschten Position. Würde man den Hund auch in der gelockten Trainingsvariante 50 Mal belohnen, könnte er das Verhalten genauso gut umsetzen. Wahrscheinlich könnte er es dann sogar weit besser.
Ein großer Nachteil des freien Formens ist, dass dabei auch viel Verhalten belohnt wird, das man eigentlich nicht provozieren möchte. Beim Locken wiederum bekommt man relativ schnell das Zielverhalten, das man dann immer belohnen kann. Das Verhalten ist für den Hund damit viel klarer. Und: Das freie Formen kann sehr schnell frustrierend für das Tier sein. Das kann man sehr gut nachvollziehen, wenn man selber mal in einem Trainingsspiel die Rolle des Hundes eingenommen hat und frei geformt wurde. Oft ist es so, dass man am Ende sogar das richtige Verhalten zeigt, aber gar nicht weiß, was es nun eigentlich ist. Das freie Formen ist demnach sehr belohnend für den Trainierenden, weil der:die ja weiß, was sie will und das Tier immer belohnen kann, wenn es in die richtige Richtung geht. Für das Tier ist es eher frustrierend. Das gilt selbst dann, wenn sehr gut trainiert wird. Wenn das Training dann noch nicht so gut klappt, ist es natürlich noch schlimmer. Viele Hunde zeigen das, indem sie anfangen zu bellen oder auch andere Stresszeichen zeigen.
Schaut man sich den Trainingsvorgang einmal genauer an, gibt es verschiedene Möglichkeiten: Das eine Extrem ist, dass man einen Trainingsschritt öfter belohnt und dann zögert man diese Belohnung heraus. Das führt zu einem Löschen mit dem dazugehörigen Löschungstrotz. Das Verhalten wird dadurch vorübergehend stärker und variabel gezeigt. Und genau das wird wieder mit dem Markersignal markiert und belohnt. So kommt man zum nächsten Schritt. Der Nachteil dieser Variante ist, dass er mit sehr viel Frust verbunden ist. Dadurch bellen viele Hunde beim freien Formen.
Besser ist es, wenn man ohne den Löschungstrotz frei formt. Dazu kann man sich vorstellen, dass sich das Verhalten ja nie genau gleich wiederholt wird. Haben wir jetzt also zehn Wiederholungen von einem Verhalten, werden die alle unserem Zielverhalten unterschiedlich nah kommen. Die sieben Verhalten, die dem Zielverhalten am nächsten kommen, werden belohnt und die drei anderen nicht. So bringt man den Hund dazu, immer mehr in die gewünschte Richtung zu gehen. Der Vorteil ist, dass die Belohnungsrate hoch genug bleibt, damit kaum Frust aufkommt. Und auch so wird sich das Verhalten mehr und mehr zum Zielverhalten entwickeln. Der Nachteil ist, dass vom Hundehaltenden eine gute Beobachtungsgabe und Entscheidungsfreude verlangt werden.
Am richtigen Ort belohnen
Der Ort, an der nach dem Markersignal belohnt wird, spielt eine ganz besondere Rolle in jeder Trainingsvariante, nicht nur im freien Formen. Auch das können wir uns wieder gut an unserem Beispiel deutlich machen.
In der Regel bekommt der Hund seinen Click oder ein anderes Markersignal dafür, dass er hochgeht. Geht er wieder nach unten, gibt es ein Leckerchen. Bei genauerer Betrachtung wird man herausfinden, welches Verhalten wie belohnt wird. Zu sehen ist, dass der Hund den sekundären Verstärker für das Hochgehen bekommt, den primären Verstärker jedoch dafür, dass er wieder alle Füße am Boden hat. Meist sollte man davon ausgehen, dass der primäre Verstärker der Wichtigere ist. Der Hund wird also ein bisschen dafür belohnt, dass er oben ist. Deutlich mehr Belohnungen bekommt er, wenn er wieder unten ist. Man kann sich vorstellen, dass das ein nicht sehr effektives Training ist.
Besser ist es, dass man sich Gedanken macht, wo der beste Belohnungspunkt ist. In unserem Beispiel ist das dort, wo der Hund ist, wenn er oben ist. Denn wenn sowohl der Klickpunkt als auch der Belohnungspunkt da ist, wo man den Hund haben will, kann man natürlich viel effektiver trainieren. Gerade bei der Übung kommt dann noch hinzu, dass wirklich das Halten des Gleichgewichts belohnt wird, was für diese Übung ja entscheidend ist. Klickt man ein Nach-Oben-Gehen des Hundes und füttert, wenn er die Vorderfüße wieder auf dem Boden hat, übt der Hund gar kein Gleichgewicht.
Es gibt im Englischen den schönen Satz „we click for action and feed for position“. Das bedeutet also, dass man den Hund dafür klickt, dass er das richtige Verhalten ausführt und ihn dann da füttert, wo es für das Training am förderlichsten ist. Das kann je nach Verhalten und je nach Trainingsstadium unterschiedlich sein.
Soll der Hund beispielsweise lernen, auf einen wackeligen Untergrund zu gehen, kann man anfangs klicken, wenn er eine Pfote hochsetzt und ihn oben füttern. Das gilt besonders für Hunde, die etwas unsicher sind, wenn sich der Untergrund bewegt. Dann kann man die klassische Konditionierung noch nutzen, um dem Hund den Untergrund angenehmer zu machen.
Ist er hingegen sehr sicher, kann man für das Hochgehen klicken und den Hund unten füttern, weil man dann eine viel höhere Belohnungsrate für das Hochgehen bekommt. Es lohnt sich also immer gut zu überlegen, was man mit dem gewählten Futterpunkt erreichen will. Da man den Hund nach dem Click ja irgendwo füttern muss, sollte der Futterpunkt so gewählt werden, dass das Training möglichst effektiv ist.
Hunde, die bisher nie frei geformt wurden, wissen oft nicht, was sie tun sollen, und sitzen dann zum Beispiel nur und bieten gar kein Verhalten an. Am besten fängt man mit einem beliebigen Gegenstand (z.B. Kiste, Schüssel, usw.) an und klickt alles, was der Hund mit dem Gegenstand macht. Das Leckerchen kann man anschließend an unterschiedlichen Orten präsentieren, um den Hund in Bewegung zu halten.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass das freie Formen durchaus eine Trainingsvariante im Hundetraining bzw. in der Hundeerziehung ist, die das Können des Menschen fördern kann. Das Tier kann lernen selber Verhalten anzubieten. Wenn es darum geht wirklich Verhalten zu trainieren, was nachher auch zuverlässig sein soll, gibt es bessere Möglichkeiten. Der größte Nachteil vom freien Formen ist der leicht aufkommende Frust, den man allerdings über gute Trainingsfähigkeiten so gering wie möglich halten kann.
(Beitrag aktualisiert: August 2024)