Tiertraining im Tierpark Esch sur Alzette: Eine besondere Fortbildung für Trainer:innen
Die letzte Maiwoche war für mich eines der Jahreshighlights 2019. Das steht jetzt schon fest. Von 26. bis 30. Mai hatte ich die Gelegenheit im Escher Déierepark (www.deierepark.esch.lu), also dem Tierpark in Esch an der Alzette in Luxemburg, unter der Leitung von Wibke Hagemann (www.tiertrainingakademie.de) mit Ziegen, den seltenen Poitou-Eseln, ganz jungen Hühnern, Kaninchen und Waschbären zu trainieren. Was für eine Erfahrung!
Ich arbeite inzwischen seit über 15 Jahren als Verhaltensberaterin für Menschen mit Hund, dementsprechend ist meine Trainingswelt auf den Hund fokussiert. Mit Hunden kenne ich mich aus, seit 2001 lerne ich über sie und mit ihnen, ihre Körpersprache ist für mich ein offenes Buch und ich bin so geübt darin Hunde zu trainieren, dass ich das ziemlich gut sogar nebenbei kann, während ich meinem Kunden etwas erkläre. Und dann soll ich mit einem Esel Halftertraining machen. Frage. Nicht. Nach. Sonnenschein.
Trainingsziel war, dass der Esel sich das Halfter freiwillig anziehen lässt, ohne mit dem Kopf oder Körper zurückzuweichen und dabei am besten auch noch gute Laune hat. Der Trainingsplan war schnell erstellt, die Trainingsschritte ziemlich klar, ich habe sogar direkt einige Wenns und Danns berücksichtigt, also alles super. Das Eselchen (haha, Poitou-Esel sind rieeeeeesig!) hatte am Tag zuvor schon mit meiner Trainingspartnerin Selina trainiert und wusste so ungefähr, was auf ihn zukommt. Ich nicht. Esel haben echt große Köpfe. Ich weiß nicht, ob ihr das schon wusstet. Ich habe mich also in guter alter Hundetrainermanier schön seitlich von unserem Esel Foufou positioniert, so wie ich das beim Maulkorbtraining mit einem Hund auch machen würde. Man will ja höflich sein.
Nur a) ist ein Eselkopf deutlich größer als ein Hundekopf, so dass meine Arme aus dieser Position schlicht und ergreifend zu kurz waren, um den Riemen des Halfters hinter den ebenfalls rieeeeeesigen Ohren vorbei und auf die andere Seite zu führen und b) hatte ich echt Schwierigkeiten, dieses Halfter so auseinanderzufrickeln, wie es sein sollte. Da hat sich dann – nicht zum ersten Mal während unserer Trainingssessions – das Know-How meiner Trainingspartnerin, die selbst stolze Pferdebesitzerin ist, ausgezahlt. Selina sagte mir, dass ich mich völlig problemlos frontal vor den Esel stellen könne, um aus dieser Position heraus mit ihm zu trainieren. Für mich war das eine riesen Überwindung und wirklich gut hinbekommen habe ich das am Anfang nicht, wie auf dem Foto nur schwer zu übersehen ist. Aber nach einigen Startschwierigkeiten habe ich mich dann eingegrooved und tadaaaaa, Trainingsziel erreicht.
Alleine diese Lernerfahrung war es schon wert, bei dieser Fortbildung dabei gewesen zu sein. Ich kann mich jetzt viel leichter in einen Hundehalter hineinversetzen, dessen Körperhaltung gegenüber seinem Hund nicht ganz optimal ist. Es ist nicht einfach sich auf ein Lebewesen einzustellen, über das man wenig weiß und erst dabei ist, etwas darüber zu lernen.
Bei den Junghühnern dagegen musste ich quasi überhaupt nicht aus meiner Komfortzone raus. Es ging darum, ihnen die Angst vor Menschen zu nehmen. Mittels Gewöhnung (die Hühner standen die ganze Zeit bei uns mit im Theoriebereich und hatten so die Gelegenheit zu erfahren, dass von uns keine Gefahr droht) und dem Training über positive und negative Verstärkung (wenn wir uns angenähert haben gab es Futter = positive Verstärkung, wenn die Hühner sich rangetraut haben, haben wir uns nach kurzer Zeit wieder ein Stück entfernt = negative Verstärkung) waren unsere Trainingshühner am letzten Tag so weit, dass sie sich nicht mehr zusammen in eine Ecke gekuschelt haben, wenn wir an den Käfig herangetreten sind, sondern sie konnten einfach mit den Dingen fortfahren, mit denen sie gerade beschäftigt waren. Vornehmlich picken und scharren – was Hühner halt so tun. Bei Hunden, die Angst vor Menschen oder anderen Hunden haben, ist die Herangehensweise recht ähnlich. Was durch die Hühner jedenfalls noch einmal extrem deutlich wurde: Man kann nicht nur positiv trainieren. Alle vier Quadranten der Lerntheorie – also Positive und Negative Verstärkung, Positive und Negative Strafe – sind ständig präsent, ob wir wollen oder nicht und sie wirken auf das Tier ein, mit dem wir es gerade zu tun haben. Unsere Aufgabe als Trainer ist es, das Training für das Tier so stressfrei und angenehm wie möglich zu gestalten, den Fokus immer auf dem Bereich der Verstärkung zu haben und Strafelemente, die die Umwelt oder Trainingssituation mit sich bringt, (eine Annäherung eines Menschen an ein Tier das Angst hat, ist per se nichts Positives für das Tier und kann zur Folge haben, dass das Tier sich immer weiter entfernt vom Menschen aufhält; das Verhalten “Sich nah beim Menschen aufhalten” wird künftig weniger; es wirkt eine Positive Strafe!) so gut es geht zu minimieren.
Die Ziegen hingegen haben eindrucksvoll bewiesen, wie schnell Tiere lernen können. Vor allem auch dann, wenn wir das, was das Tier gerade lernt, eigentlich gar nicht beabsichtigen. Pünktchen, die Ziege meiner Trainingspartnerin, sollte lernen ein Target in Form einer Fliegenklatsche mit der Nase anzustupsen. Nun sind Ziegen Tiere, die gerne Dinge belecken und beknabbern. Was soll ich sagen? Zwei mal aus Versehen geclickt, als nicht nur die Nase am Target war, sondern gleichzeitig auch die Zunge, und Pünktchen war der Überzeugung, dass sie unsere Fliegenklatsche ablecken soll. Also Pause, nachdenken, miteinander austauschen, Trainingsplan anpassen und los. Selina hat es schließlich geschafft Pünktchen das Stupsen ohne Zungeneinsatz beizubringen, aber das war harte Arbeit. In Bezug auf das Training mit Hunden waren diese Trainingssessions für mich die Bestätigung, auch weiterhin für kein Verhalten, dass ich nicht wirklich wirklich haben will, das Markersignal und/oder einen Verstärker zu geben. Besonders bei Begegnungsproblemen mit Artgenossen oder Menschen markere ich deshalb immer nur das Abwenden vom Auslöser, nicht aber das Hinschauen. Schließlich möchte ich keinen Hund der rausgeht und die Umgebung nach Auslösern absucht, sondern einen Hund, der sich bei Sichtung eines Auslösers zuverlässig mir zuwendet.
Das Training mit den Kaninchen war einfach nur nett. Unsere Trainingsaufgabe war, dass die Kaninchen mit allen vier Pfoten in eine Gemüsekiste (natürlich OHNE Gemüse drin! :D) hoppeln und dort für drei Sekunden bleiben. In die Kiste haben wir die Kaninchen alle schnell gekriegt. Aber Dauer aufbauen ist gar nicht so leicht. Denn sofern Kaninchen nicht gerade Siesta machen oder vor Angst erstarrt sind, sind das ziemlich bewegungsfreudige Kerlchen.
Und nun zu dem Teil, auf den alle warten, denen ich vorab von meiner Fortbildung im Tierpark erzählt habe: Die Waschbären. Ja, sie sind wirklich so niedlich, wie wir alle glauben, ja, man will sie knuddeln, ja, ihre Hände sind wahnsinnig weich und ja, sie sind so ungefähr die verfressensten Tiere die ich kenne (neben Emma ;-)). Ist es einfach sie zu trainieren? Nein. Es sind Wildtiere und das merkt man beim Training mit ihnen sehr schnell. Sie haben im Gegensatz zum Hund keinerlei Bedürfnis es einem irgendwie recht zu machen und herauszufinden, was man von ihnen möchte. Denen ist komplett egal, was du willst – stimmt die Bezahlung nicht, dann zeigen sie dir, was sie davon halten und gehen oder werden grantig. Niemand, wirklich niemand, will so ein possierliches Tierchen grantig werden sehen! Mit den Waschbären haben wir Stationstraining gemacht. Die Bärchen sollten lernen, ihre Hände auf ein, auf einen Baumstumpf montiertes, T zu legen und in dieser Position still zu verharren. Diese Stationierungsübung kann dann in Zukunft als Ausgangsbasis für weiteres Training, z.B. Medical Training, genutzt werden.
Unsere Aufgabe war es also, die Waschbären dazu zu bringen, die Hände auf das T zu legen und sich dabei nicht über das T zu beugen. Und das ist echt nicht so einfach, denn im Grunde genommen mussten wir stets zwei Kriterien berücksichtigen: Hände still auf dem T halten und Körperschwerpunkt hinten. Das war für mich wirklich schwierig, denn vor lauter Konzentration auf Hände und Körperschwerpunkt habe ich es nicht geschafft, auch noch die Mimik meiner Waschbärdame Ranka im Auge zu behalten. Die fand meinen zuerst gewählten Futterpunkt recht doof und hat das mit zurückgelegten Ohren deutlich kommuniziert. Kommunikation funktioniert aber nur, wenn der Empfänger auch auf Empfang ist und so war ich froh, dass Wibke mir den entscheidenden Hinweis gab und ich daraufhin meinen Futterpunkt anpassen konnte. Mein zuerst gewählter Futterpunkt hat Ranka gezwungen ein wenig zurückzuweichen, ich habe sie also körperlich bedrängt. Dieses Bedrängen war aversiv genug, um bei ihr die zurückgelegten Ohren auszulösen. Ein Hinweis darauf, dass die Stimmung langsam aber sicher in den Keller geht. Entsprechend habe ich meinen Futterpunkt so abgeändert, dass Ranka sich dadurch nicht mehr bedrängt fühlte. Danach lief es dann deutlich besser, aber ich hätte zwischendrin eine Pause gebraucht, um mich neu zu sortieren und zu reflektieren, was da eigentlich gerade passiert ist. Bei allen anderen Tierarten, mit denen wir trainiert haben, waren Pausen, bei denen wir aus den Gehegen hinausgegangen sind und die Tiere mit Futterstreuen in die Pause geschickt haben, jederzeit möglich. Bei den Waschbären ging das natürlich nicht, weil wir alle zusammen in einem Gehege waren und mein Hinausgehen meine Trainingskolleginnen natürlich in die Bredouille gebracht hätte.
Fazit des Waschbärentrainings: Click for action, feed for position (markere das Verhalten, belohne die Position) heißt nicht zwingend das Tier in der Position zu belohnen, in der man es haben will (das war mein erster Futterpunkt, durch den Ranka sich bedrängt fühlte), sondern das Futter bzw. den primären Verstärker so zu präsentieren, dass die Position die man haben will beim nächsten Versuch problemlos wieder eingenommen werden kann. Beim Hundetraining ist mir das so klar. Wenn ich einem Hund “Sitz” beibringe und ihm erst mal eine Idee davon geben will, dass es darum geht, den Hintern auf den Boden zu bringen, dann clicke ich, wenn der Hintern am Boden ist, das Leckerchen werfe ich aber weg, so dass der Hund aufstehen muss, um es sich zu holen. Wenn er dann wiederkommt, dann kann er sich gleich nochmal setzen und dafür wieder einen Click und eine Belohnung kassieren. So bekomme ich schnell einen Hund, der sich immer wieder hinsetzt. Will ich dem Hund dann beibringen, länger sitzen zu bleiben, dann ist es durchaus sinnvoll, das Leckerchen nach dem Click zu geben, wenn der Hund noch sitzt. So kann er verstehen, dass Sitzenbleiben ein lohnenswertes Verhalten ist. Beim Hund also völlig logisch für mich, beim Waschbären war ich, was das betrifft, der Hund beim Eierlegen. Deshalb hier auch ein Dank an Ranka, die so nett war, nur die Ohren anzulegen, anstatt mich zu beißen.
Für mich waren die vier Tage im Escher Déierepark ein absolut tolles Erlebnis und eine unglaubliche Lernerfahrung. Ich habe evaluiert, Trainingspläne geschrieben, um sie wieder über den Haufen zu schmeißen oder mich darüber zu freuen, dass mein Plan tatsächlich aufgegangen ist, mein eigenes Tun kritisch hinterfragt, zig Trainingsdurchgänge dokumentiert und nochmal von vorn. Diese Fortbildung kann ich allen Trainerkolleg:innen, die sich weiterentwickeln möchten, nur ans Herz legen. Die Fähigkeit zur Reflektion und Selbstkritik sollte man mitbringen, denn die Tiere führen einem seine eigenen Defizite – ach Quatsch – sein eigenes Entwicklungspotential schonungslos vor Augen. Ich werde nächstes Jahr auf jeden Fall wieder dabei sein, wenn es vom Termin her passt.
Was ich außerdem noch erwähnen möchte: Vor allem weil ich Tierparks nicht unkritisch gegenüberstehe, hat mich sehr beeindruckt, was Anne Meyers und ihr Team zusammen mit Wibke Hagemann in diesem Park umsetzen und für die Tiere ermöglichen. Der Escher Tierpark verzichtet zum Beispiel auf die Nachzucht von Jungtieren und stellt so sicher, dass es nicht zu Platzproblemen kommt und Tiere irgendwohin vermittelt werden müssen. Es werden vorzugsweise heimische Tierarten, wie z.B. Dam- und Muffelwild gehalten, die bereits im Park gelebt haben, bevor Anne und ihr Team übernommen haben. Außerdem eben Haustierarten wie Ziegen, Kaninchen, Poitou-Esel, Schottische Hochlandrinder, Enten, Gänse und Hühner. Die Waschbären sind neben unterschiedlichen Sittichen in einer Voliere die einzigen Exoten im Tierpark. Waschbären sind in Europa nicht heimisch und eine invasive Art. Sie dürfen nicht in Privathand gehalten und vor allem auch nicht ausgewildert werden, wenn sie gefangen oder beschlagnahmt werden. Der Escher Déierepark macht wirklich tolle Arbeit und falls ihr zufällig mal in der Nähe seid, stattet Anne und ihrem Team doch einen Besuch ab. Direkt am Park gibt es auch einen Campingplatz und als besonderes Highlight drei Baumhäuser direkt im Park, in denen man übernachten kann.
Zuletzt möchte ich mich noch bedanken, allen voran bei Wibke für das “Lupe draufhalten” bei unseren Trainings und die astreine Organisation. Der Ablauf an sich, die Räumlichkeiten für die Theorieeinheiten und die Versorgung vor Ort mit Essen und Getränken waren perfekt. Danke auch an das ganze Escher Team, dass ihr uns diese Fortbildung bei euch im Park ermöglicht. Danke Selina, nicht nur für deine Leistungen als meine Trainingspartnerin, sondern auch für die lustige Zeit beim Hin- und Zurückfahren und das unkomplizierte Zusammenwohnen. Und natürlich auch noch ein großes Dankeschön an alle anderen Teilnehmerinnen, es war wirklich eine coole Zeit mit euch. Wir haben viel miteinander gelacht und ich hoffe, wir bleiben alle irgendwie in Verbindung.
(Beitrag aktualisiert: Juni 2023)