Rasseportrait: Hüte- und Hirtenhunde von Doris Roth
EIGENSCHAFTEN, URSPRÜNGLICHE VERWENDUNG
UNTERSCHIEDE UND GEMEINSAMKEITEN
Hunde der FCI Gruppe 1, also Hüte-, Treib- und Hirtenhunde, seien es Australian Shepherds, Border Collies, Belgische Schäferhunde oder andere Rassen, erfreuen sich seit Jahren wachsender Beliebtheit – sowohl im Hundesport als auch als familiärer Begleiter.
Gleichzeitig steigt aber auch ihre Zahl in Hundeschulen und als „Problempatienten“ bei Hundepsychologen, Verhaltensberatern, Hundetherapeuten und Hundetrainern sowie ihre Zahl als Tierheiminsassen.
Warum ist das so? Was macht ihre wachsende Beliebtheit aus?
Und warum gibt es häufig Probleme? Sind sie wirklich die idealen Begleiter oder ein lebender Anachronismus, der nicht mehr in unsere moderne Zeit passt?
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, muss man sich zuerst einmal damit beschäftigen, wofür diese Hunde ursprünglich gezüchtet wurden und teilweise noch heute genutzt bzw. eingesetzt werden.
Anschließend werden wir uns näher anschauen, wie diese Hunde in ihrem ursprünglichen Umfeld als Arbeitshunde gehalten werden und wie ihr Tagesablauf aussieht.
HÜTEHUNDE-HIRTENHUNDE-TREIBHUNDE –
DIE URSPRÜNGLICHE VERWENDUNG
Auch wenn im alltäglichen Sprachgebrauch die Worte Hirten- und Hütehunde synonym verwendet werden, bezeichnen sie nicht dasselbe.
Hirtenhunde, besser wäre der Begriff Herdenschutzhunde, sind große, kräftige Hunde, wie beispielsweise der Sarplaninac, der Kuvasz oder Cane de Pastore Maremmano-Abruzzese, deren ursprüngliche Aufgabe es war und ist, die Tierherden vor zwei- und vierbeinigen Beutegreifern zu schützen.
Die Hunde wachsen als Welpen mit der Tierart auf, die sie später schützen sollen. Meist sind dies Schafe, seltener Ziegen. Der Welpe wird im Schafstall geboren und lernt Schafe nicht nur kennen, sondern wächst mit ihnen zusammen auf. Später ist es seine Aufgabe, zusammen mit anderen Herdenschutzhunden, die Herde täglich zu begleiten, Tag für Tag, Sommer wie Winter, bei Wind und Wetter. Seit es in Deutschland wieder vermehrt Wölfe gibt, findet man auch hier an einigen Herden wie früher wieder diese alten Rassen in ihrer ursprünglichen Bestimmung.
TREIBHUNDE
Treibhunde hatten früher die Aufgabe, Nutztiere, meist Rinder oder Schafböcke, von A nach B zu bringen. Oft war der Bestimmungsort das Schlachthaus, und die zu treibenden Tiere waren nicht etwa friedliche Milchkühe, sondern wehrhafte Ochsen, Hammel, Stiere oder Böcke.
Für diese Arbeit brauchte man kräftige, körperlich robuste und wehrhafte Hunde, die sich durchsetzen konnten, die den Tritten und Stößen der Tiere auswichen und sie mit Bellen oder gezielten Griffen (Biss in bestimmte Körperregionen, oft die Fessel) vorwärts trieben, ohne die Nutztiere jedoch unnötig zu stressen, da diese sonst wertvolles Gewicht (Kilos waren/sind bares Geld) verlieren würden. Auch heute noch findet man bei vielen Treibhunden – Australian Shepherds, Australian Cattle Dogs, Westerwälder Kuhhunden – den sogenannten „heel“, also den Fersenbiss, der genetisch verankert ist.
SCHÄFERHUNDE
Ein Schäferhund wiederum hat die Aufgabe, dem Schäfer bei der Arbeit an der Schafherde (seltener Ziegenherde) zu helfen. Bei den Schäferhunden muss man zwischen dem Herdengebrauchshund und dem Koppelgebrauchshund unterscheiden, da sich hier nicht nur die Arbeitsweise unterscheidet, sondern sich auch für die verschiedenen Arbeitsweisen spezialisierte Rassen im Laufe der Jahrhunderte herausgebildet haben.
Herdengebrauchshunde
Herdengebrauchshunde begleiten die Schafherde auf deren Wanderschaft. Sie pendeln links und rechts der Herde entlang („geigen“ oder „wehren“ genannt) und achten darauf, dass die Herde beim Herdenzug nicht zu breit wird und die Herde auf den vorgeschriebenen Wegen bleibt, also beispielsweise die Getreidefelder links und rechts des Weges ignoriert. Befindet sich die Herde im Gehüt (weites oder enges Gehüt, das heißt ein sehr großes Gelände, auf dem sie fressen dürfen oder ein begrenztes Gelände), patrouilliert der Herdengebrauchshund entlang der Grenzen und treibt Nascher, die die Grenze übertreten, zurück.
Dafür darf er drei Arten von Griffen (ein Griff ist ein kurzes, druckvolles Zubeißen, ohne die Tiere zu verletzen) verwendet: den Nacken- Keulen- oder Rippengriff. Sind die Schafe oder Ziegen in einem unübersichtlichen Dornenwald verteilt, darf er sie auch durch Bellen zusammentreiben. Ansonsten ist Bellen nicht gerne gesehen, da dies die Schafe erschreckt. Solche Hunde, „Feldprediger“ genannt, werden ungern zur Herdenarbeit eingesetzt. Typische Herdengebrauchshunderassen sind die Altdeutschen Hütehunde, die Holländischen Schäferhunde, die Deutschen Schäferhunde u.v.m.
KOPPELGEBRAUCHSHUNDE
Koppelgebrauchshunde haben und hatten eine ganz andere Aufgabe. Auf der einen Seite ist hier die Arbeit im Stall, der Koppel und am Pferch zu nennen. Sowohl beim Entwurmen, beim Scheren oder beim Füttern müssen Tiere entweder getrieben, oder aber fern gehalten werden. Auf der anderen Seite müssen Schafe und/oder Ziegen, die oft in weitem, unübersichtlichen Gelände verstreut grasen, gefunden, zusammengetrieben und an einen anderen Ort gebracht werden. Dafür braucht man Hunde, die nicht zu groß, dafür aber wendig und feinnervig sind. Sie müssen einerseits sehr selbstständig denken und arbeiten, andererseits jedoch auf Pfiffe des Schäfers noch in vielen Kilometern Entfernung reagieren. Der Border Collie ist die bekannteste Koppelgebrauchshunderasse.
EIGENSCHAFTEN
Die Anforderungen von damals bestimmen auch heute noch die Genetik und das Verhalten dieser Hunde. Und daraus ergeben sich heutzutage oft Probleme, wenn der Hund nicht seinen Anlagen entsprechend gehalten wird. Um dies zu verdeutlichen, ist es hilfreich, sich den Alltag dieser Hunde in ihrem ursprünglichen Arbeitsumfeld anzuschauen.
Herdenschutzhunde
Neben ihrer stattlichen Größe war und ist es für einen Herdenschutzhund, der seine Herde beschützt, wichtig, einerseits eine recht hohe Reizschwelle zu haben, andererseits aber auch ein gewisses Misstrauen gegenüber allem, was nicht zu „seiner Familie“ gehört und die Bereitschaft, diese kompromisslos, notfalls mit dem eigenen Leben, zu verteidigen. Ein Herdenschutzhund wird seine ihm anvertraute Herde bewachen und überwachen. Sieht er einen Eindringling sich nähern, wird er ihn zuerst mit massivem Verbellen und Drohen zu vertreiben versuchen. Werden diese Warnungen ignoriert, wird der Herdenschützer deutlicher und setzt als letztes Mittel seine Waffen – die Zähne – ein.
Zu Unrecht werden Herdenschutzhunde oft als stur bezeichnet. Man muss bedenken, dass diese Hunde jahrhundertelang darauf selektiert wurden, das Eigentum des Menschen zu schützen und hier oft auf sich alleine gestellt waren. Hierzu brauchte der Mensch Hunde, die selbstständig handeln konnten, ohne auf Erlaubnis des Besitzers zu warten, denn oft war dieser gerade nicht bei der Herde und der Hund bzw. die Hunde waren der einzige Schutz der Nutztiere. Ein Hund, der nicht in der Lage war, seine ihm anvertraute Herde ohne die Einwirkung des Menschen zu bewachen und zu schützen war nutzlos und wurde von der weiteren Vermehrung ausgenommen.
Hütehunde – Herdengebrauchshunde
Auch Herdengebrauchshunde, also Schäferhunde für Wanderherden, hatten neben ihrer Eigenschaft als „lebende Grenze“ die Aufgabe, die Herde gegen Diebe – hauptsächlich zweibeinige – zu schützen. Aus dieser Zeit und dieser Aufgabe resultiert neben einer sehr großen Ausdauer und Leistungsfähigkeit eine gewisse Verteidigungsbereitschaft, die diesen Rassen und Schlägen eigen ist und man überdenken sollte, ob man diese fördern will.
Viele Herdengebrauchshunderassen haben neben einem hohen Bewegungsdrang eine sehr große Beutemotivation und eine gewisse Jagdleidenschaft. „Schafe hüten“ und „Beute jagen“ haben mehr miteinander gemeinsam, als mancher Hundehalter ahnt. Orten-anschleichen-fixieren-treiben-einkreisen…..oder zutreiben-packen….nur das letzte Glied dieser Kette, das Töten, wurde mehr oder weniger erfolgreich weg selektiert. Allerdings hat die Natur ihre eigenen Regeln und so gibt es auch heute noch einige Herdengebrauchshunde, die für die Herdenarbeit ungeeignet sind, weil sie den falschen Griff (z.B. Kehle statt Genick) haben, zu grob sind, Lämmer tot schütteln, statt nur leicht anzustupsen, in die Herde „stechen“, statt die Grenzen zu wehren oder die Schafe zu jagen beginnen, anstatt sie leicht zu treiben. Gerade bei Hunden, die an Wanderherden arbeiten, ist es auch nach jahrhundertelanger Selektion nicht immer einfach, gute Arbeitshunde zu finden. Nicht umsonst gehören Schäferhunde und schäferhundartige Hunde zu den Hundetypen, die Jäger am meisten fürchten.
Koppelgebrauchshunde
Bei den Koppelgebrauchshunden, deren Ursprung in Großbritannien zu finden ist, war eine gewisse Schärfe unnötig und unerwünscht, da die Wölfe schon seit Jahrhunderten auf den Britischen Inseln ausgerottet waren. Doch es gibt auch hier Hunde, die Schafe eher jagen würden als gut und schonend zu treiben und zu hüten und wenn manche Menschen behaupten, Border Collies würden keinen Jagdtrieb haben, so ist und bleibt das ein Märchen und entspricht nicht den Tatsachen.
Schafarbeitshunde, und im besonderen Maße Koppelgebrauchshunde, wurden darauf selektiert, auf kleinste Pfiffe, Gesten und Fingerzeige des Schäfers zu reagieren. Damit ging jedoch eine große Sensibilität und Reizempfänglichkeit einher, die dazu führt, dass Hunde dieser Rasse(n) eine ruhige Umgebung brauchen, da sie zum Überdrehen neigen und von vielen Reizen förmlich überflutet und überfordert werden.
Geräuschängste und Überforderung:
Sowohl bei Hunden wie auch bei Menschen gibt es Individuen, die unterschiedlich stark auf Sinnesreize (Geräusche, visuelle Eindrücke, Berührungen usw.) reagieren. Das Gehirn verarbeitet Sinneseindrücke und filtert sie nach Wichtigem und Unwichtigem. Deshalb ist es beispielsweise möglich, an einem Bahnhof das Einfahren des erwarteten Zuges wahrzunehmen und gleichzeitig die andere laute Geräuschkulisse zu ignorieren. Hunde wie auch Menschen, die sehr reizempfindlich sind, können Probleme haben, die unwichtigen Reize auszublenden. Sie registrieren nicht nur alle Reize und Sinneseindrücke, sondern nehmen sie auch besonders intensiv wahr. Diese Bombardement von Sinneseindrücken ist derart derart verwirrend und heftig, dass es permanenten Stress bedeutet und für das entsprechende Lebewesen sehr anstrengend ist. Ist der Stress zu groß, kann es zu einer Art “overload” im Gehirn kommen. Auch Reize, die für einen Hund mit guten Nerven kein Problem darstellen, wie beispielsweise Verkehrslärm, können für einen derart sensiblen Hund unerträglich sein. Die Reaktion darauf ist von Hund zu Hund verschieden. Manche Hunde neigen zu Überaktionismus, werden hibbelig, unruhig, bellen viel oder kommen nicht zur Ruhe. Andere ziehen sich völlig in sich selbst zurück. Hunde, die derart sensibel sind, sind oft schon mit einem normalen turbulenten Familienalltag überfordert. Sie brauchen Ruhe, Geduld und vor allem viel Verständnis für ihre Bedürfnisse von Seiten ihres Menschen.
Dennoch gibt es auch hier Hunde, die Schafe eher jagen würden als gut und schonend zu treiben und zu hüten und wenn manche Menschen behaupten, Border Collies würden keinen Jagdtrieb haben, so ist und bleibt das ein Märchen und entspricht nicht den Tatsachen.
Treibhunde
Treibhunde mussten, um ihre Arbeit gut zu machen, mehrere Eigenschaften haben: sie mussten, um die Nutztiere zu beeindrucken, eine gute und laute Stimme haben und gewillt sein, diese auch einzusetzen und sie durften sich nicht scheuen, von ihren Zähnen Gebrauch zu machen. Zudem mussten sie einerseits dem leisesten Fingerzeig des Treibers/Hirten Folge leisten, andererseits aber auch fähig sein, eigene Entscheidungen zu treffen und diese auch auszuführen. Dies, zusammen mit einem großen Bewegungsbedürfnis, zeichnet auch heute noch die meisten Treibhunderassen aus. Die meisten von ihnen können durchaus als verbal äußerst kommunikativ angesehen werden und ihre Reizempfindlichkeit in Kombination mit einem großen Bewegungsbedürfnis ist der Selektion auf ihr früheres Betätigungsfeld geschuldet.
HALTUNG FRÜHER UND HALTUNG HEUTE
Obwohl sich die Nutztierzucht im Laufe der letzten Jahrhunderte und Jahrzehnte gewandelt hat, gibt es noch immer Hunde, die ihrem ursprünglichen Job nachgehen und deren Alltag sich nicht sehr von dem ihrer Vorfahren unterscheidet.
Zwar sind in Deutschland die großen Rinder- und Schweineherden verschwunden, die von Hunden und Treibern in die Schlachthäuser oder auf die Viehmärkte zum Verkauf getrieben wurden und auch auf den Britischen Inseln oder andernorts übernehmen oft Lastwagen den Transport, so dass die Treibhunde bei uns ihr Betätigungsfeld verloren haben, für das sie ursprünglich gezüchtet wurden.
Aber es gibt noch immer Wanderschafherden – auch wenn sie durch Bestimmungen, Bürokratie und andere Dinge inzwischen sehr selten geworden sind – und noch immer gibt es Koppelherden, und damit auch Herdengebrauchshunde und Koppelgebrauchshunde.
Der Herdengebrauchshund
Seine Lehrzeit beginnt der Herdengebrauchshund – je nach Schäfer und Tradition in diesem Gebiet – im Alter zwischen einem halben und einem Jahr. Lehrzeit bedeutet allerdings noch keine gezielte Ausbildung, denn die ersten Wochen und Monate wird der Jungspund zwar ab und zu zur Herde mitgenommen, wird aber noch nicht eingesetzt. Während die Althunde ihre Arbeit tun, begleitet er den Schäfer an der Leine bei der Arbeit, lernt so die tägliche Routine kennen und lernt vor allem eins: Ruhe halten, zuschauen und auch Frust auszuhalten, denn obwohl es den Einen oder Anderen schon zu den Tieren treibt, wird er noch nicht losgelassen. Abends kommt er – je nach Schäferei – in seinen Zwinger, an seine Kette oder wo immer er sein Nachtlager hat und wird erst ein, zwei Tage später wieder mit zur Herde genommen, damit er genug Zeit hat, das Gesehene zu verarbeiten und sich zu regenerieren und zu entspannen.
Nach mehreren Wochen und Monaten darf der vierbeinige Lehrling bei seinen ersten kurzen Arbeitseinsätze zeigen, was genetisch in ihm steckt. Manche Hunde zeigen von sich aus das Wehren in der Furche, anderen Hunden muss der Schäfer es erst beibringen, indem er mit dem Hund an der Leine immer wieder die Furchen abläuft, hin und her, jeden Tag. Zeigt der Hund dann ein erstes Wehren, wird dies mit einem Wort, meist „Furche“ belegt. Diese ersten Sequenzen sind jedoch nur kurz und ausschließlich auf der „Mannseite“, d.h. auf der Seite, an der auch der Schäfer steht und geht. Das Ablaufen der sogenannten Querfurche lernt der Hund erst später und das selbstständige Wehren der „Halben“, also der dem Schäfer entgegengesetzten Seite erst sehr viel später. Man sagt, dass ein guter Hund so viele Jahre ausgebildet wird, wie er Pfoten hat, was bedeutet, dass man erst bei einem etwa fünfjährigen Hund von einem vollwertigen Arbeitshund sprechen kann, der mehrere Menschen ersetzen kann.
Mit steigendem Alter, körperlicher und emotionaler Reife und Ausbildungsstand steigt auch die Arbeitsbelastung eines Hundes. Diese ist zu Zeiten des Herdenzuges besonders hoch. Frühmorgens wird der Hund beim ersten Kontrollgang des Schäfers mitgenommen. Hier kontrolliert der Schäfer das Befinden der Herde und schaut nach neugeborenen Lämmern. Nach einem kurzen Frühstück folgt nun der Austrieb der Herde und der Herdenzug. Da Schafe Wiederkäuer sind, muss sich die Herde mindestens zweimal – von einer Verdauungspause unterbrochen – satt fressen. Während dieser ganzen Zeit ist voller Einsatz und hohe Konzentration von Hunden und Schäfer gefordert. Läuft die Herde 15 Kilometer, legen die Hunde diese Strecke mehrfach zurück, da sie immer in der Furche pendeln und von der Spitze bis zum Ende die Herde ablaufen, immer hin und her.
Hat der Schäfer genug Hunde, besteht für ihn die Möglichkeit, während der Verdauungspause der Schafe die arbeitenden Hunde zuhause gegen ein „frisches Paar“ auszutauschen, so dass der einzelne Hund etwas Erholung bekommen kann. Hat der Schäfer aber nur einen, zwei oder drei Hunde, besteht diese Möglichkeit nicht und die einzige Erholungsphase ist für den Hund die Zeit, während der die Schafe verdauen.
Dies ist auch der Grund, warum ein Schäfer in der Regel mehrere Hunde hält: meist sind dies ein oder zwei fertig ausgebildete Tiere, ein „Lehrling“ und ein oder zwei ältere Hunde, die sehr erfahren, aber nicht mehr so belastbar sind.
Oft dauert der Arbeitstag eines Hundes bis spät abends, wenn die Schafe eingepfercht werden – heutzutage meist in ein Elektronetz. Manchmal nimmt der Schäfer – falls er zuhause genügend Hunde hat – am nächsten Tag zwei oder drei andere Hunde mit und die eingesetzten Arbeiter haben einen Tag Ruhepause. Oft hat der Schäfer diese Möglichkeit jedoch nicht und Hund und Schäfer teilen sich auch am darauffolgenden Tag den harten Arbeitsalltag, der mit „Schäferromantik“ wirklich wenig gemein hat. Schafe hüten ist harte Arbeit, die die Hunde sehr ernst nehmen.
Dies sollte man bedenken, wenn man einem Herdengebrauchshund oder auch einen Herdenschutzhund in seinem ursprünglichen Umfeld, z.B. während eines Urlaubs, einem Spaziergang oder einer Wanderung, begegnet. Ein wirklicher Tierfreund nimmt seinen eigenen Hund an die Leine und läuft langsam und in möglichst großem Abstand an der Schafherde vorbei, um diese einerseits nicht zu beunruhigen und andererseits dem dazugehörigen Hund zu zeigen, dass weder man selbst noch sein Hund den Tieren etwas Böses möchte. Nicht nur Herdenschutzhunde sondern auch Herdengebrauchshunde werden ihre Herde normalerweise verteidigen, und es wäre weder fair noch klug, es darauf ankommen zu lassen, zumal trächtige Schafe, die erschrecken oder gehetzt werden, oft ihre ungeborenen Lämmer verlieren.
Der Koppelgebrauchshund
Auch beim Koppelgebrauchshund beginnt die Ausbildung oft im Alter zwischen einem halben und einem Jahr. Anders als beim Herdengebrauchshund wird der vierbeinige Lehrling meist nur für kurze Übungssequenzen gezielt an einer kleinen Gruppe Schafe trainiert. Auch wenn der spätere Einsatzbereich Großvieh, d.h. Rinder, sein sollte, sollte der junge Hund zuerst an Schafen ausgebildet werden, da hier die Ausbildung genauer und feiner erfolgen kann. Rinder sind sehr wehrhafte Tiere, und es könnte bei einem jungen, ungeschickten Hund passieren, dass dieser angegriffen und verletzt wird und so seine Motivation verliert. Auch ein Hund mit sehr guten Anlagen kann bei falscher oder zu harter Ausbildung oder aber bei groben Fehlern in der Ausbildung derart verunsichert werden, dass er als zukünftiger Arbeitshund unbrauchbar sein wird. Der junge Hund lernt an den Schafen zuerst die wichtigsten Kommandos (Signale), wie das Laufen gegen den Uhrzeigersinn, das Laufen im Uhrzeigersinn, das Nachtreiben, das Stoppen und das Einholen der Herde, den Outrun (= ein bogenförmiges, weites Herauslaufen des Hundes, eine Art weites Umrunden der Herde, bis er auf der anderen Seite der Herde steht, dem Schäfer gegenüber) sowie das Halten der Herde oder eines Schafes. Später, sehr viel später, lernt er auch das Separieren und das Arbeiten eines Teils der Herde sowie das Sammeln einzelner Tiere aus unübersichtlichem Gelände zu einer einzigen großen Herde. Manchmal lernt er auch die Pfercharbeit sowie das Back up (= das Springen des Hundes auf den Rücken der Schafe. Danach beginnt er, auf deren Rücken zu laufen und bewegt sie dadurch durch den Treibgang des Pferches).
Auch beim Koppelgebrauchshund gilt wie schon beim Herdengebrauchshund: die Ausbildung dauert in etwa so lange, wie der Hund Beine hat – für jedes Bein ein Jahr. Zwar ist der Hund auch vorher schon einsatzfähig, fertig ausgebildet jedoch ersetzt ein Arbeitshund mehrere Menschen in einer Schäferei und das dauert seine Zeit. Es gibt ein weiteres Sprichwort, dass dies verdeutlicht:
„Junger Hund: 1-4 Jahre,
guter Hund: 4-8 Jahre,
alter Hund: ab acht Jahre.“
Während Herdengebrauchshunde die Langstreckentraber unter den Hütehunden sind, ist die Arbeit in einer Koppelschäferei für einen Hund nicht minder anstrengend: Herdentiere zu kontrollieren ist physische und psychische Schwerstarbeit, und je weniger Tiere eine Herde aufweist, desto schwerer ist es, sie zu kontrollieren. Baut ein Hund an einer Herde mit 1.000 Schafen Druck auf, werden sie am Druckpunkt zurückweichen. Baut ein Hund bei 20 Schafen denselben Druck auf, rennen die Schafe davon. Ein Koppelgebrauchshund muss deshalb seinen Druck wesentlich feiner dosieren als ein Herdengebrauchshund. Es ist eine Arbeit, bei der der Hund sehr vorsichtig vorgehen und auch sehr feinjustiert eingesetzt werden muss. Dass diese Anstrengung einerseits sehr feinnervige Hunde benötigt, andererseits aber auch Stress für die Hunde bedeutet, ist, denke ich, einleuchtend. Seit Jahrhunderten werden deshalb viele Koppelgebrauchshunde zwischen den Arbeitseinsätzen in möglichst ruhigen Ecken ihrer Heimatfarm untergebracht, die sehr abgelegen und reizarm sind, damit die Hunde die Möglichkeit haben, abzuschalten und zu entspannen. Würden sie auch in ihrer „Freizeit“ ständig Nutztiere sehen, wären sie andauernd unter Hochspannung.
DER HÜTEHUND IN DER „MODERNE“ – FAMILIENHUNDE IM URBANEN UMFELD
Lässt man das vorherige Kapitel Revue passieren, wird schnell auch dem Anfänger in der Hundehaltung klar, dass Hütehunde sehr anspruchsvolle Hunde sind, die nicht unbedingt die „familienfreundlichen Anfängerhunde“ sind, als die sie oft angepriesen werden. Sie wurden durch unsere Vorfahren nach deren Anforderungen gezüchtet und durch ihren früheren Einsatz geformt.
Der bellfreudige Australian Shepherd, der in einer Mietwohnung in der Stadt bei einem berufstätigen Pärchen lebt, lebt gegen seine Natur und seine Instinkte, genauso, wie der Harzer Fuchs, der Strobel, der Westerwälder Kuhhund oder der feinnervige Border Collie, der beim Hundesport gepusht wird und hier einem Stresslevel ausgesetzt wird, das ihm möglicherweise schadet. Die meisten Hunde dieser Rassen sind so feinnervlich und sensibel, dass man ihnen keinen Gefallen damit tut, sie körperlich auszulasten, ihnen aber zu wenig Entspannungsmöglichkeiten bietet.
Bei einigen Hunden kommt es im Laufe der Zeit zu stressbedingten körperlichen Krankheiten, bei anderen zu einem „melt-down“, bei dem ihnen buchstäblich die „Sicherungen durchbrennen“ und sie sich oder andere schädigen – sei es durch Autos jagen oder beißen. Passiert dies, ist es leider heute noch oft so, dass versucht wird, durch falsche und zu harte Erziehungsmaßnahmen dem Hund diese Dinge „abzugewöhnen“, was zum Scheitern verurteilt ist, da hier völlig falsch angesetzt und oft zu hart reagiert wird.
Hütehunde sind keine einfachen Hunde und auch, wenn sie oft auf den Hundeplätzen anzutreffen sind, ist weniger oftmals mehr, denn nicht umsonst werden sie oft als „Autisten unter den Hunden“ bezeichnet. Durch ihre Geschichte und ihre ursprüngliche Verwendung sehr reizempfindlich und empfindsam, brauchen sie Besitzer, die gewillt sind, sich mit ihren Bedürfnissen auseinanderzusetzen und sich nicht durch ihr attraktives Äußeres oder ihre schnelle Auffassungsgabe blenden lassen.
WER SCHREIBT HIER?
Als ich von Easy Dogs angefragt wurde, ob ich nicht einen Artikel schreiben wollte, sagte ich zu. Doch dann wurde ich gebeten, zu erzählen, wie jemand, der als Schäferin gearbeitet hat, „auf den Hund gekommen ist.“
Um es in einem Satz zu sagen – das Interesse für Hunde und die Auseinandersetzung mit Hunden war „schon immer da“. Mit einem Hund aufgewachsen, hatte ich meinen ersten eigenen Hund im Alter von 18 Jahren. Dieser begleitete mich während meines Studiums überall hin und war immer mit dabei. Schon während des Studiums verbrachte ich meine Semesterferien in verschiedenen Schäfereien, um dort zu arbeiten, Geld zu verdienen und zu lernen.
Als ich nach meinem zweiten Staatsexamen wie viele meines Jahrgangs keine Anstellung bekam, wechselte ich ganz in die Landwirtschaft und arbeitete als Schäferin. In dieser Zeit lernte ich viele verschiedene Hunde kennen und war fasziniert davon, wie aus drei Teilen – der Herde, dem Hund und dem Schäfer – ein harmonisches Ganzes entstehen konnte. Zu dieser Zeit war es auch, als immer wieder Berufskollegen an mich herantraten und mich baten, ihre Hunde als Schafsarbeitshunde anzulernen, da sie sahen, mit wieviel Freude und Begeisterung meine eigenen Hunde in ihrer Arbeit aufgingen. Nach einigen Jahren brachen auf dem Arbeitsmarkt in einigen Teilbereichen wieder rosigere Zeiten an und ich wechselte von der brotlosen Tätigkeit in der Landwirtschaft in eine lehrende Tätigkeit. Nebenher betrieb ich eine eigene Schafzucht. In meiner spärlich vorhandenen Freizeit vertiefte ich mein Wissen über Hunde, wobei mein Hauptinteresse nach wie vor den Hütehunden galt. Dabei war ich nicht nur Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Altdeutscher Hütehunde, der International Sheepdog Society und dem Club für Britische Hütehunde, sondern auch der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeten Haus- und Nutztierrassen, hielt Workshops für Neuschafhalter und Hütehundbesitzer in spe und half hier und da, einem unerwünschten Rescuehund (*) ein neues Zuhause zu suchen.
*) Immer wieder gab es Arbeitshunde, deren Besitzer – ein Schäfer – verstorben waren oder Hunde, die ausgebildet waren, bei denen aber die Schäferei, zu denen sie gehörten, aufgegeben wurde. Oder es gab alte Arbeitshunde, die aufgrund ihres Alters nicht mehr arbeiten konnten, oder aber Hunde, deren Talent und Interesse für die Arbeit nicht ausreichten. Häufig waren diese Hunde dann in ihrem früheren Zuhause unerwünscht und ich half, ihnen ein gutes, passendes neues Zuhause zu suchen, wo sie willkommen waren.
Heute bin ich weder in einem Verein, noch in einem Verband aktiv. Was ist geschehen? Erst wenn man aktiv ist, erhascht man einen Blick hinter die Kulissen, und was ich da mitbekam, erschütterte mich und veränderte alles. Ich lernte Züchter kennen, die eigentlich Vermehrer waren, andere Züchter, die resigniert aufgegeben hatten, weil sie erkannten, dass die von ihnen ausgesuchten Neubesitzer ihren Welpen nicht gerecht wurden. Ich erfuhr von Praktiken auf Wettkämpfen, im Sport und im Zuchtgeschehen, die nicht nur unglaublich und abstoßend, sondern geradezu tierschutzrelevant waren. Ich hörte und sah Dinge, die mich zutiefst betroffen machten – und musste erleben, dass ich dagegen machtlos war. Auch in der Nutztierhaltung und der Nutztierzucht sah und erlebte ich Dinge, die mich einfach nur sprachlos machten. Dies alles und einige andere Dinge setzten einen Prozess des Infragestellens, des Nach- und Umdenkens in Gang. Ich kündigte sämtliche Mitgliedschaften und kümmerte mich nur noch um meine eigenen Tiere, las sehr viel und lernte.
Die Bekanntschaft mit einer sehr guten Hundetrainerin, die zu dieser Zeit ihr Fernstudium als Hundeverhaltensberaterin absolvierte, und die anders trainierte als die meisten anderen Trainer, entzündete den Funken, noch tiefer als früher in das Verhalten der Hunde einzutauchen. Aus der Lehrerin wurde wieder eine Schülerin. Manche Dinge wusste ich schon, andere lernte ich neu und wieder andere ergaben durch das Studium erst einen Sinn. Ich lernte, was ich früher falsch gemacht hatte und lernte auch, viele Dinge anders zu sehen und neu zu bewerten. Auch heute lerne ich immer noch und immer wieder dazu. Lernen macht demütig, denn man kann noch so viel lernen, und dennoch kann man nie alles wissen. Trotzdem ist es wichtig und notwendig, um Dinge zu ändern.
Heute gebe ich mein Wissen und meine Erfahrung weiter – an diejenigen, die es interessiert, die aufgeschlossen sind und lernen wollen. Zwar lernen sie bei mir nicht mehr, wie sie ihren Hütehund an den Schafen ausbilden können. Aber gerade junge Menschen – Kinder – lernen in meinem Hauptberuf, dass Hunde – Tiere allgemein – Lebewesen mit einer eigenen, schützenswerten Würde sind, die es zu achten und zu respektieren gilt. Ältere Menschen – Erwachsene – versuche ich, durch das geschriebene Wort zu erreichen. Damit sie meine eigenen Fehler nicht wiederholen und manche eigene vielleicht gar nicht erst machen. Für sie und für ihre Hunde.