Darf’s ein bisserl mehr sein?
WAS MAN BEACHTEN SOLLTE, WENN MAN SICH EINEN ZWEITHUND ANSCHAFFEN MÖCHTE.
Kann, will, soll, darf ich einen zweiten Hund halten? Viele Menschen haben das Bedürfnis, nicht nur einem, sondern zwei oder mehr Hunden ein Zuhause zu geben. Die Entscheidung sollte man in keinem Fall leichtfertig treffen, denn es ist ein großer Unterschied, ob man einen oder zwei Hunde hält. Es kommt nicht nur einfach ein weiterer Hund dazu. Mit zwei Hunden ergeben sich ganz andere Alltagsprobleme, Dynamiken in der Interaktion, Kosten und organisatorische Herausforderungen.
Hier einige Überlegungen, die man vorab auf dem Schirm haben sollte:
Passt ein weiterer Hund zum Ersthund?
Zunächst einmal sollte man seinen Ersthund genau kennen: Was ist das für ein Typ Hund? Ist er gesellig? Mag er andere Hunde? Sucht er aktiv die Gesellschaft von Artgenossen? Voraussetzung für eine Mehrhundehaltung ist, dass mein Hund zumindest generell anderen Hunden gegenüber aufgeschlossen ist. Das muss nicht bedeuten, dass er alle Hunde mag, aber ein sehr auf den Menschen bezogener Eigenbrötler ist vielleicht nicht unbedingt begeistert, wenn ein Artgenosse einzieht.
Männlein oder Weiblein?
Auch die Frage nach dem Geschlecht ist wichtig: Habe ich einen intakten Rüden oder eine intakte Hündin zuhause? Wie verhält sich mein Hund gegenüber anderen gleichgeschlechtlichen, intakten Hunden? Wenn es da ohnehin im Alltag schon problematische Begegnungen gibt, ist es natürlich sinnvoller, nicht das gleiche Geschlecht ins Haus zu holen.
Dann wiederum ergibt sich ein anderes Problem: Eine intakte Hündin und ein intakter Rüde unter einem Dach bedeutet unter Umständen, dass einer oder beide kastriert werden müssen. Es gibt durchaus sexuell weniger aktive Rüden, die nicht durchdrehen, sobald eine Hündin gut riecht. Aber eine Garantie dafür gibt es nicht. Man muss sich also darauf einstellen, dass eines oder beide Tiere nicht dauerhaft intakt bleiben können.
Gibt es noch Trainingsbedarf beim Althund?
Eine wirklich wichtige Frage, die viele komplett unterschätzen, ist: Hat mein Hund noch Baustellen, die bearbeitet werden müssen? Zeigt er problematische Verhaltensweisen in Bezug auf Angst- oder Aggressionsverhalten?
Wenn dem so ist, rate ich in jedem Fall von einem Zweithund ab. Natürlich ist ein Hund nie “fertig” und entwickelt sich lebenslang – dennoch würde ich bei kritischen Verhaltensweisen immer erst einmal auf Ursachenforschung gehen und diese lösen, ehe ich schon den zweiten Vierbeiner auf der Matte stehen habe.
Grundsätzlich würde ich anraten, vor dem 3. Lebensjahr des Ersthundes keinen Nachwuchs ins Haus zu holen. Die Jugendentwicklung des Ersthundes sollte abgeschlossen sein, um seinen Charakter, seine Interessen und Bedürfnisse besser einschätzen zu können. Außerdem ist die Junghundentwicklung auch anstrengend und fordernd für alle Beteiligten, und bindet viele Ressourcen seitens der Halter. Wenn zu einem einjährigen Hormonkoloss ein Welpe mit völlig anderen, nicht minder herausfordernden Bedürfnissen und Themen stößt, ist die Überforderung des Menschen (und auch der Hunde) eigentlich schon vorgezeichnet.
Wie sehr kann und will ich mich einbringen?
Überhaupt, Überforderung: Zwei Hunde bedeuten ein sehr viel mehr an Management, Training, Zeit, Geduld, Empathie. Habe ich das emotionale Rüstzeug für zwei Hunde? Bringe ich genug Geduld auf? Bin ich gewillt, persönliche Bedürfnisse zurückzustecken, zeitliche Einbußen hinzunehmen und mehrere Stunden am Tag meinen Hunden zu widmen? Kann ich meine Hunde artgemäß halten, habe genug Zeit und Geduld für sie?
Wenn man diese Frage bereits mit “naja” beantwortet, erübrigt sich die Frage nach der Anschaffung weiterer Hunde. Ich erlebe es immer wieder, wie viele Menschen komplett falsch einschätzen, was es wirklich heißt, einen Hund zu halten. Gerade, wenn noch Kinder im Haushalt sind, fühlen sich viele Mütter (ja, es sind nach meiner Erfahrung überwiegend die Mütter, an denen alles hängen bleibt) zerrissen zwischen all den Bedürfnissen. Der Hund kann noch nicht allein bleiben, aber die Familie will ins Schwimmbad. Akuter Kinderarzttermin. Der Hund muss raus. Kindergeburtstag. Der Hund ist gestresst. Kinder da abholen und dorthin bringen. Futter kaufen. Leine durchgenagt. Tierarzttermin vereinbaren. Kinder währenddessen unterbringen. Spielplatz – ach nein, da darf der Hund ja auch nicht mit. Besorgungen machen – ah, da war die Sache mit dem Alleinbleiben. Diese Zerrissenheit zwischen Bedürfnissen kenne ich auch aus Mehrhundehaltungen: Susi will bei Regen nicht raus, Strolchi braucht aber seine Renneinheit; Susi schaut schrecklich traurig, wenn ich mit Strolchi allein rausgehe. Es ist emotional fordernd, Bedürfnisse zu erfüllen, und auch wenn Hunde unfassbar viel Freude machen, bedeuten sie einen ganzen Haufen an Organisation, Planung und Verantwortung. Bei zwei Hunden kann das ganz schnell uferlos werden, es ist wie bei Kindern: einer hat immer Durchfall, ein Wehwehchen, braucht Zuspruch, fühlt sich unter- oder überfordert. Bekommen alle gleich viel? Und zwar nicht das Gleiche, sondern das, was sie wirklich brauchen? Es ist nicht unmöglich, natürlich nicht. Aber es ist anstrengend – und das muss man vorher wissen.
Wohnen, Arbeit, Urlaub, Finanzen
Ich wohne in München und hier ist bezahlbarer Wohnraum knapp. Man muss sich schon gründlich überlegen, ob man sich hier einen zweiten Hund anschafft – mit zwei oder mehr Hunden steht man definitiv nicht auf der Wunschliste der meisten Vermieter. Deshalb sollte man sich fragen:
- Ist meine Wohnung groß genug für zwei Hunde?
- Finde ich später auch mit zwei Hunden eine bezahlbare Wohnung?
- Erlaubt der Vermieter:in überhaupt die Haltung mehrerer Hunde?
- Gibt es bereits Auseinandersetzungen mit anderen Mieter:innen wegen des Hundes?
Ein Hund kann den Alltag schon stark verändern, zwei Hunde stellen noch einmal ganz andere Ansprüche an die Organisation des Zusammenlebens. Nehmen wir die Arbeit: Als Angestellte:r mit Hund in einem Bürojob darf man in den letzten Jahren auf immer mehr Verständnis hoffen, „Bürohunde“ werden immer mehr. Aber gleich zwei? Selbst wenn man sich vorab die Zusage holt, kann sich jederzeit etwas verändern und es wird nicht mehr gestattet, die Vierbeiner mitzunehmen. Was dann? Gibt es einen Plan B?
Egal ob angestellt oder selbstständig, eine der wesentlichen Fragen ist: Wie überbrücke ich die Welpen- bzw. Eingewöhnungszeit? Wie lange kann ich einplanen für die Organisation des neuen Zusammenlebens? Habe ich Unterstützung?
Auch die Urlaube verlaufen mit zwei oder mehr Hunden anders als mit einem. Hunde sind in vielen Hotels mittlerweile gern gesehene Gäste, deren Aufenthalt man sich gut entlohnen lässt. Aber bei zwei Hunden ist es mit der Toleranz oft dahin. Wenn ich also die nächsten zehn, fünfzehn Jahre nicht auf Campingplätzen urlauben möchte, brauche ich Alternativen – und die sind rar. Wenn Familie oder Freunde nicht für die Betreuung der Hunde zur Verfügung stehen, muss ich rechtzeitig eine gute Betreuung finden, was sich oftmals gar nicht so einfach gestaltet. Und Fremdbetreuung kostet Geld, womit wir beim Thema Finanzen sind. Hier sollte man wirklich schonungslos ehrlich mit sich sein, weil jede gefühlsgeleitete Entscheidung im Desaster enden kann. Habe ich finanzielle Rücklagen für Futter, Pflege, Versicherung, Hundetraining, Tierarztbesuche? Es ist eine Menge Geld, die ein Hund im Laufe seines Lebens verschlingt. Ohne einen satten finanziellen Puffer ist das auf Dauer nicht machbar, schon gar nicht, wenn ein Hund (chronisch) krank ist. Und noch ein Thema, um das sich viele leider herumdrücken: Was ist im Krankheits- oder Todesfall? Was passiert mit meinen Hunden? Habe ich Familie oder Freunde, die einspringen können, wenn mir etwas passiert? Und würden sie auch zwei Hunde übernehmen? Denn eine Trennung ist oftmals in einer ohnehin belastenden Situation für die Tiere wirklich schlimm.
Hände weg von Geschwistern!
Ach, wär das schön! Wir nehmen einfach gleich zwei Welpen aus dem Wurf, dann wachsen sie zusammen auf, die Geschwister haben sich, beschäftigen sich miteinander und werden bestimmt dadurch ganz soziale Hunde? Bloß nicht!
Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Das so genannte Littermate Syndrome (Wurfgeschwister Syndrom) sorgt dafür, dass man nicht doppelt so viele Probleme bekommt, sondern zehnfach. Beim Littermate Syndrome kann es zu schlechterer Sozialisierung, starker Abhängigkeit voneinander, Problemen bei der Stubenreinheit, vermehrter Aggression gegenüber Artgenossen, und gravierenden Schwierigkeiten beim Alleinbleiben kommen. Eine Aufnahme von Wurfgeschwistern ist deshalb absolut nicht empfehlenswert und sollte von Seiten einer seriösen Züchter:in auch entsprechend kommuniziert werden.
Der richtige Altersunterschied
Es gibt viele Geschichten von Halter:innen, deren Althund regelrecht aufblühte, als ein Welpe einzog. Es gibt aber auch Hunde, die extrem genervt und gestresst sind vom Neuzugang. Deshalb gilt: Management ist alles! Der Althund muss genügend Zeit, Ansprache, Rückzugsmöglichkeiten und Ruhe bekommen. Lieb gewonnene Rituale müssen auch weiterhin Bestand haben, damit die neue Mitbewohner:in nicht die ganze Welt des Althundes auf den Kopf stellt. Der Welpe oder Neuzugang braucht jedoch ebenfalls altersgemäße und bedürfnisgerechte Beschäftigung und Auslastung: Toben, spielen, schlafen, die Welt und andere Hunde kennenlernen. Damit es einen als Menschen nicht zerreißt zwischen all den Bedürfnissen, muss man schon ein gehöriges Maß an Geduld, Zeit und Fachwissen mitbringen. Unverzichtbar ist für mich ein Kindergitter, um die Hunde separieren zu können, falls es zu viel wird. Außerdem sehr praktisch ist ein Welpenkarren, in dem der Neuzugang sich ausruhen kann, wenn ihn die großen Runden mit dem Althund noch überfordern. Ansonsten gilt: Hundefreundschaften entstehen oft nicht einfach so. Eine Zusammenführung birgt Konfliktpotential, das von Seiten der Menschen klug gelöst werden muss.
Einsam, zweisam, dreisam?
Hunde ziehen die Gesellschaft des Menschen ihresgleichen vor. Das ist ziemlich einzigartig in der Tierwelt, und deshalb ist es auch nicht notwendig, mehrere Hunde zu halten, um sie glücklich zu machen. Ein Zweithund löst auch keine Verhaltensprobleme und hilft nicht dabei, dass der Ersthund besser allein bleiben kann. Leider gibt es immer noch Menschen, die diesem Irrglauben aufsitzen und dann zwei jagende Hunde, zwei Hunde mit Trennungsstress oder zwei Hunde mit Aggressionsproblemen gegenüber Artgenossen haben.
Es muss schon sehr viel stimmen, damit man auch zwei Hunde glücklich machen kann (und man selbst dabei glücklich und nicht überfordert ist). Wer im Eigenheim mit großem Garten wohnt, finanziell gut aufgestellt ist, ein gutes soziales Netzwerk hat und relativ frei und flexibel arbeitet, für den ist es eine andere Herausforderung als in einer Mietwohnung in der Stadt mit knappen Budget und relativ starrem Alltagskorsett. Deshalb ist die Entscheidung stets individuell zu betrachten – dabei sollte man aber immer realistisch und ehrlich bleiben und sich nicht von emotionalen Böen davontragen lassen. Denn am Ende des Tages zahlen alle den Preis. Nur, dass der Hund kein Mitspracherecht bei der Entscheidung hat.
Lesenswert:
- Mehrhundehaltung, Maria Rehberger
- Wie viele Hunde?!, Debby McMullen
- Eins, zwei, drei… ganz viele, Anne Rosengrün
- Darf’s einer mehr sein?, Rolf C. und Madeleine Franck