Medical Training für Hunde – Was ist das eigentlich und warum ist das Training sinnvoll?
Hunde können die unglaublichsten Dinge lernen! Ob sie Sprengstoff, Schädlinge oder Trüffel aufspüren, Schafe und Rinder hüten oder fehlerfrei durch den Agilityparcours flitzen sollen – gutes Training über positive Verstärkung bereitet Hunde auf nahezu jeden Job vor. Doch im Alltag der meisten Hunde gibt es Situationen, auf die sie nicht vorbereitet sind, und die für jede Menge Stress, Angst und Panik sorgen: Die Rede ist vom Tierarztbesuch und verschiedenen Körperpflegemaßnahmen.
Für viele Hunde und ihre Besitzer ist der Gang zum Tierarzt ein höhst lästiges Übel. Die meisten Hunde zeigen beim Tierarzt starke Stresssymptome. Viele stehen zitternd und wie versteinert auf dem Tisch und warten, dass das Unheil an ihnen vorüberzieht. Andere wiederum versuchen, ihrem Schicksal zu entgehen und sich durch Zappeln oder gar Knurren, Schnappen und Beißen aus der Situation zu retten. Auch für die Hundebesitzer ist der Tierarztbesuch in der Regel sehr belastend, da sie mit ihrem Hund fühlen.
Selbst zu Hause verzweifeln viele Hunde und ihre Besitzer bei der Durchführung von Pflegemaßnahmen. Bürsten, Kämmen, Baden, Krallen schneiden oder die Eingabe von Tabletten sind für viele Hund-Halter-Teams ein rotes Tuch. Doch wenn Hunde durch den Einsatz positiver Verstärkung lernen können, der individuellen Spur eines Menschen über Kilometer zu folgen oder abstrakte Konzepte zu verstehen, sollten wir dann nicht auch eine Möglichkeit finden, ihnen beizubringen, sich beim Tierarzt stressfrei untersuchen und behandeln zu lassen?
Ein Blick über den Tellerrand in den Bereich der Zoo- und Wildtierhaltung gibt die Antwort auf diese Frage: Das Medical Training. Ein Löwe, Eisbär, Nashorn oder ein Delfin kann nicht einfach festgehalten werden, um medizinische Untersuchungen oder Behandlungen durchzuführen, da sie zu groß und gefährlich sind, um sie mit körperlicher Kraft zu bezwingen, oder sich durch Flucht entziehen.
Um potenziell riskante Narkosen oder stark belastende Zwangsmaßnahmen zu vermeiden, werden solche Tiere in vielen zoologischen Einrichtungen schon seit langer Zeit durch gezieltes Training auf tiermedizinische oder pflegerische Prozeduren vorbereitet. So lernen Tiere, auf Signal Positionen einzunehmen, die eine Inaugenscheinnahme aller Körperteile ermöglichen, ohne das Tier zu fixieren. Selbst schmerzhafte Prozeduren wie das Geben von Injektionen oder Blutentnahmen können über sorgfältiges und kleinschrittiges Training mittels positiver Verstärkung (bei der Behandlung von Raubtieren ist es sicherer, auf Techniken der negativen Verstärkung zu verzichten) trainiert werden.
Medical Training bezeichnet zusammenfassend das gezielte Vorbereiten von Tieren auf alle Handlungen und Erfahrungen, die sie im Zusammenhang mit tierärztlichen oder pflegerischen Maßnahmen erleben können, sowie die bewusste Anwendung der Gesetze der klassischen und operanten Konditionierung während solcher Maßnahmen mit dem Ziel der Stressminimierung und -vermeidung.
Selbstverständlich ist Medical Training bei unseren Haustieren genauso gut möglich und genauso effektiv wie bei Wildtieren! Hunde können durch gut geplantes und umgesetztes Medical Training lernen, bei nahezu allen tierärztlichen oder pflegerischen Maßnahmen zu kooperieren. Den Anwendungsmöglichkeiten werden nur dort Grenzen gesetzt, wo diese Maßnahmen entweder so schmerzhaft sind, dass beim Menschen vergleichbare Prozeduren unter Lokal- oder Allgemeinnarkose durchgeführt werden (z.B. chirurgische Eingriffe), oder wenn sie so langwierig oder kompliziert sind, dass das nötige Training nicht verhältnismäßig wäre (z.B. CT- oder MRT-Untersuchungen).
Bereits bei Welpen können erste Elemente des Medical Trainings durchgeführt werden. Auf diese Art können junge Hunde von Anfang an lernen, dass Tierarztbesuche und Körperpflege einfach weitere der vielen merkwürdigen, aber spaßigen Ideen sind, auf die wir Menschen so kommen. Aber auch Hunde, die schon negative Erfahrungen gemacht haben, profitieren vom Medical Training. Sie können durch gutes Training wieder Vertrauen aufbauen und die Erfahrung machen, dass ein Tierarztbesuch durchaus auch Spaß machen kann!
FÜNF GUTE GRÜNDE…
heute mit dem Medical Training anzufangen – oder es mal wieder aufzufrischen:
- Geht der Hund gerne zum Tierarzt, sind auch viele Halter bereit, ihren Hund öfter in der Praxis vorzustellen. So können viele Erkrankungen bereits im Anfangsstadium entdeckt und gut behandelt werden!
- Die Anwendung von Zwang bei medizinischen oder pflegerischen Maßnahmen belastet immer auch die Hund-Mensch-Beziehung. Damit wirkt Medical Training extrem beziehungsfördernd, da Zwangsmaßnahmen vermieden werden!
- Medical Training gibt dem Hund die Kontrolle über seinen eigenen Körper und reduziert Stress. Dies trägt maßgeblich zum Wohlbefinden des Hundes bei!
- Medical Training minimiert die Gefahr von angstbedingter Aggression und damit die Gefahr, gebissen zu werden!
- Medical Training macht, wie jedes Training über positive Verstärkung, unglaublich viel Spaß!
MEDICAL TRAINING FÜR HUNDE – ERSTE SCHRITTE
Basis eines erfolgreichen Medical Trainings ist ein detaillierter Trainingsplan, in dem der momentane Trainingszustand des Hundes, das Trainingsziel und die einzelnen Trainingsschritte erfasst werden, die nötig sind, um vom Ist-Zustand zum Trainingsziel zu kommen. Das Trainingsziel, also der Ablauf der durchzuführenden Prozedur sowie das vom Hund dabei auszuführende Verhalten, müssen so genau wie möglich definiert bzw. beschrieben werden.
Für alle Maßnahmen, die die Anwesenheit Dritter erfordern (z.B. tierärztliche Untersuchung/Behandlung, Besuch beim Hundefriseur, Physiotherapie) ist daher eine enge Zusammenarbeit und gute Kommunikation zwischen Trainer/Besitzer und dem jeweiligen Spezialisten unerlässlich.
Eine Besonderheit des Medical Trainings ist, dass in vielen Fällen vom Hund verlangt wird, Situationen auszuhalten, die Unwohlsein oder auch Angst auslösen können. Daher ist im Medical Training ein extrem kleinschrittiges Vorgehen mit vielen Wiederholungen der einzelnen Trainingsschritte wichtig. Außerdem sollte die Körpersprache des Hundes bei jedem Trainingsschritt evaluiert werden, um das unbeabsichtigte Mitverknüpfen unangenehmer Emotionen zu vermeiden.
Arbeitet der Hund noch mit, zeigt aber eine Körpersprache, die auf Angst oder Stress schließen lässt, ist Vorsicht geboten. Durch positive Verstärkung lassen sich zwar unangenehme Gefühle an sich nicht verstärken. Diese werden aber durch klassische Konditionierung mit der gesamten Trainingssituation verknüpft und daher in ähnlichen Situationen unter Umständen wieder auftauchen. Außerdem ist es möglich, dass die Angst- oder Stresssignale an sich mit verstärkt werden und der Hund diese als zur Aufgabe zugehörig verknüpft. Es gibt Hinweise darauf, dass das Zeigen einer bestimmten Körpersprache oder Mimik die dazu passenden Emotionen auslösen kann. Dies kann jeder Mensch nachvollziehen, der sich schon einmal selbst im Spiegel angelächelt hat, um seine eigene Laune zu heben. Hat der Hund unbeabsichtigter Weise verknüpft, dass zum Medical Training das Zeigen von Stresssignalen dazu gehört, kann das absichtliche Zeigen dieser Signale allein unter Umständen wieder Stress auslösen. Daher sollte Medical Training stets so kleinschrittig aufgebaut sein, dass die Körpersprache des Hundes freudig-entspannt ist.
Das vom Hund auszuführende Verhalten beim Medical Training ist in den meisten Fällen das Einnehmen einer bestimmten Position und das Verharren in dieser. Dabei soll der Hund sich nicht bewegen, obwohl unangenehme oder auch leicht schmerzhafte Dinge passieren können. Um sicherzugehen, dass der Hund sich in jeder Situation wohlfühlt und ihm eine Möglichkeit der Kontrolle über die Situation zu geben, bietet sich das Training von Kooperationssignalen an.
Ein Kooperationssignal ist ein vom Tier einfach auszuführendes Verhalten, dass die Bereitschaft des Tiers für den nächsten Trainingsschritt zeigt. Mögliche und gut geeignete Kooperationssignale sind zum Beispiel ein Kinntarget oder der Sprung auf den Tierarzttisch. Zeigt der Hund das zuvor trainierte Kooperationssignal, beginnt das Training. Zeigt er es nicht oder verlässt er die Position, wird jede Manipulation sofort beendet. Somit hat der Hund die Kontrolle über die Situation und der Trainer immer ein sofortiges Feedback, ob er den passenden Trainingsschritt gewählt hat.
Das Zeigen des Kooperationssignals und anschließende Stillhalten werden selbstverständlich jedes Mal positiv verstärkt, so dass es sich für den Hund lohnt, mitzuarbeiten. Zeigt der Hund das Kooperationssignal nicht, ist dies in erster Linie eine Information darüber, dass der Trainingsschritt zu groß war. Ist der Trainingsplan gut an das jeweilige Hund-Trainer-Team angepasst, sollte dieser Fall selten eintreten. Somit stellt es kein Problem dar, den Hund nicht zu belohnen, sollte er das Kooperationssignal nicht zeigen. Im nächsten Durchgang kann der Schwierigkeitsgrad angepasst werden, so dass der Hund wieder Erfolg hat und belohnt werden kann.
In Einzelfällen kann es sinnvoll sein, den Hund auch dafür zu belohnen, dass er sich dagegen entscheidet, das Kooperationssignal zu zeigen. Somit entfällt der Druck auf den Hund, das Kooperationssignal zu zeigen, um die Belohnung zu bekommen, und dabei eventuell eigene Grenzen zu überschreiten. Durch dieses Vorgehen besteht weniger Gefahr von Frustration oder Stress, da der Hund in jedem Fall belohnt wird.
Hunde mit ernsthaften Phobien oder pathologisch gestörter Frustrationstoleranz können von einem solchen Vorgehen profitieren. Da hierbei aber das Risiko besteht, dass die zu erfüllenden Kriterien für den Hund schwer durchschaubar werden, sollte dieses Vorgehen nur in Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Trainer in Betracht gezogen werden.
EIN GROBER TRAININGSPLAN FÜR DIE EINGABE VON AUGENTROPFEN MIT HILFE EINES KOOPERATIONSSIGNALS KÖNNTE BEISPIELSWEISE SO AUSSEHEN:
Trainingsziel:
Der Hund legt auf das Handsignal „Linke Hand waagerecht auf Schnauzenhöhe vor dem Hund, Handrücken zeigt nach unten“ das Kinn in die Hand und lässt es dort für mindestens 5 Sekunden. Er verharrt unbeweglich, auch wenn die rechte Hand des Menschen sich mit einer Tropfflasche nähert, die Lider seines rechten Auges vom Daumen der linken und Handrücken der rechten Hand gespreizt werden und ein Tropfen aus der Flasche aus 2 cm Abstand in den Bindehautsack getropft wird.
Ist-Zustand:
Das Kinntarget wurde bereits trainiert. Der Hund reagiert auf das Handsignal „Linke Hand waagerecht auf Schnauzenhöhe vor dem Hund, Handrücken zeigt nach unten“, indem er sein Kinn in die linke Hand legt und für mindestens 5 Sekunden dort lässt. Er hat keinerlei Vorerfahrung mit der Gabe von Augenmedikamenten.
Trainingsplan: Eingabe von Augentropfen
Schritt 1:
Abfragen des Kinntargets, Marker und Belohnung (M&B) nach 5 Sekunden (s).
Schritt 2:
Abfragen des Kinntargets, dabei bewegt sich die rechte Hand in einem Abstand von ca. 20 cm über dem Hundekopf. M&B, wenn der Hund die Position für bis zu 5 s hält (Zeit schrittweise, und stets variabel, von 1 s bis auf 5 s erhöhen).
Schritt 3:
Wie Schritt 2, aber der Abstand der rechten Hand zum Hundekopf wird schrittweise verkürzt, bis die rechte Hand die Stirn des Hundes berührt.
Schritt 4:
Abfragen des Kinntargets, dabei bewegt sich der Daumen der linken Hand in Richtung des rechten Auges und zieht das Unterlid herunter. M&B, wenn der Hund die Position für 5 s hält (Zeit schrittweise von 1 s bis auf 5 s erhöhen).
Schritt 5:
Abfragen des Kinntargets, dabei berührt die rechte Hand die Stirn des Hundes und der Daumen der linken Hand zieht das Unterlid herunter. M&B, wenn der Hund die Position für bis zu 5 s hält (Zeit schrittweise von 1 s bis auf 5 s erhöhen).
Schritt 6:
Abfragen des Kinntargets, dabei zieht der Handrücken der rechten Hand das Oberlid nach oben und der Daumen der linken Hand zieht das Unterlid herunter. M&B, wenn der Hund die Position für bis zu 5 s hält (Zeit schrittweise von 1 s bis auf 5 s erhöhen).
Schritt 7:
Abfragen des Kinntargets, dabei bewegt sich die rechte Hand in einem Abstand von ca. 20 cm über dem Hundekopf und hält dabei die Tropfflasche. M&B, wenn der Hund die Position für bis zu 5 s hält (Zeit schrittweise von 1 s bis auf 5 s erhöhen).
Schritt 8:
Wie Schritt 7, aber der Abstand der rechten Hand mit der Tropfflasche zum Hundekopf wird schrittweise verkürzt, bis die rechte Hand die Stirn des Hundes berührt.
Schritt 9:
Abfragen des Kinntargets, dabei zieht der Handrücken der rechten Hand das Oberlid nach oben, während die rechte Hand die Tropfflasche hält, und der Daumen der linken Hand zieht das Unterlid herunter. M&B, wenn der Hund die Position für bis zu 5 s hält (Zeit schrittweise von 1 s bis auf 5 s erhöhen).
Schritt 10:
Wie Schritt 9, aber ein Tropfen aus der Tropfflasche wird in den Bindehautsack eingegeben.
Dieser Trainingsplan ist selbstverständlich nur ein grobes Grundgerüst. Abhängig vom jeweiligen Hund müssen passende Zwischenschritte gefunden werden. Es lohnt sich einen fachkundigen Trainer hinzuzuziehen und die Körpersprache des Hundes genau im Blick zu behalten.
MEDICAL TRAINING FÜR HUNDE – POSITIVE UND NEGATIVE VERSTÄRKUNG KOMBINIEREN?
Als Verstärker werden in der wissenschaftlichen Definition der operanten Konditionierung alle Konsequenzen eines bestimmten Verhaltens definiert, die dafür sorgen, dass dieses Verhalten in Zukunft häufiger gezeigt wird. Aus Sicht des Tieres sind dies also alle Konsequenzen eines Verhaltens, die für das Tier angenehm oder erstrebenswert sind. Verstärker können noch weiter unterteilt werden: in positive und negative Verstärker. Die Begriffe positiv und negativ sind in diesem wissenschaftlichen Zusammenhang nicht wertend, sondern mathematisch zu verstehen. Positiv bedeutet, dass etwas hinzugefügt wird, negativ, dass etwas entfernt wird. Demnach ist eine positive Verstärkung also eine Konsequenz auf ein gezeigtes Verhalten, bei der etwas Angenehmes hinzugefügt wird. Im Hundetraining ist dies häufig das Geben eines Leckerlis oder auch ein gemeinsames Spiel als Konsequenz eines erwünschten Verhaltens. Negative Verstärkung bedeutet, dass nach dem Zeigen eines bestimmten Verhaltens ein unangenehmer Reiz entfernt wird. Das klassische Beispiel im konventionellen Hundetraining ist der Druck auf das Hinterteil des Hundes, um ihn zu veranlassen, sich hinzusetzen. Der Druck ist dem Hund unangenehm. Um ihm zu entgehen, setzt er sich, woraufhin der Druck verschwindet. Der Hund lernt, dass er dem unangenehmen Druck entgehen kann, indem er sich setzt. Das Verhalten „Hinsetzen“ wird in diesem Kontext in Zukunft häufiger auftauchen, da es negativ verstärkt wurde.
Wie immer im Training über operante Konditionierung werden die Emotionen, die das Tier beim Training eines bestimmten Verhaltens hat, mit dem Verhalten selbst verknüpft. Die Emotion, die durch eine positive Verstärkung ausgelöst wird, ist Freude (z.B. über das Leckerli oder das gemeinsame Spiel). Die Emotion, die durch eine negative Verstärkung ausgelöst wird, ist Erleichterung (z.B. über das Nachlassen des unangenehmen Drucks). Damit Training über negative Verstärkung funktioniert, muss also erst ein unangenehmer Reiz hinzugefügt werden, der als Konsequenz auf das erwünschte Verhalten wieder entfernt werden kann. Hat ein Hund ein bestimmtes Verhalten, z.B. „Sitz“, über positive Verstärkung gelernt, wird er beim Hören des Wortsignals „Sitz“ und beim Ausführen des Verhaltens bereits Freude empfinden, da diese Emotion durch das Training mit dem Verhalten verknüpft wurde. Wurde „Sitz“ hingegen über negative Verstärkung trainiert, so wird der Hund beim Ertönen des Wortsignals ein unangenehmes Gefühl haben, da er sich an den unangenehmen Reiz aus dem Training erinnert, und beim Ausführen des Verhaltens Erleichterung empfinden, dem unangenehmen Reiz ausgewichen zu sein.
Grundsätzlich sollte Hundetraining also über positive Verstärkung erfolgen, um den größtmöglichen Spaß für Mensch und Tier zu bringen. Außerdem ist es wissenschaftlich erwiesen, dass Training über positive Verstärkung die mit Abstand effizienteste Methode ist, Tiere zu trainieren. Das Mischen von positiver und negativer Verstärkung birgt immer die Gefahr, dass sich die beiden gegensätzlichen Emotionen überlagern und gegenseitig abschwächen. Daher ist davon abzuraten. Warum sollten wir also im Medical Training plötzlich darüber nachdenken, es doch zu tun?
Medical Training durch positive Verstärkung ist effizient. Bei sachkundiger Ausführung kann ein Hund durch Medical Training theoretisch lernen, bei jeder in seinem Leben nötigen tierärztlichen oder pflegerischen Maßnahme vertrauensvoll und motiviert zu kooperieren. Mit dem richtigen Vortraining wird eine Blutentnahme zu einem Trick, den ein Hund genauso gerne und freudig zeigt wie eine Dog Dance-Choreografie, den Agility-Slalom zu laufen oder ein Dummy zu apportieren. Allerdings hat Medical Training einen Haken: Es kostet, wie jedes Training, Zeit, und muss sehr gut geplant und genau durchgeführt werden. Da im Medical Training häufig Prozeduren trainiert werden, die körperlich unangenehm oder emotional belastend sein können, muss besonderer Wert auf einen kleinschrittigen Trainingsaufbau gelegt werden. Wird eine bestimmte Prozedur mit dem Einsatz eines Kooperationssignals trainiert, so ist es von ausschlaggebender Wichtigkeit, dass der Hund immer die Kontrolle über die Situation behält. Gibt der Hund das Kooperationssignal in einer bestimmten Situation nicht, kann die Prozedur nicht durchgeführt werden. Wird sich darüber hinweggesetzt und der Hund überrumpelt oder im entscheidenden Moment doch gezwungen, ist das ganze vorherige Training nichtig. Damit der Hund das Kooperationssignal auch im Ernstfall zeigt, muss er im Training schrittweise auf alle Eindrücke vorbereitet werden, die in der Ernstsituation zu erwarten sind. Dies schließt auch beispielsweise die Gerüche einer Tierarztpraxis, das Stehen auf einem Edelstahltisch und die Manipulation durch fremde Personen mit ein. Im guten Zootiertraining ist ein derartig kleinschrittiges Vorgehen beim Medical Training Alltag. Dort werden auch fremde Hilfspersonen sowie das medizinische Personal in das Training eingebunden. Stellt sich heraus, dass ein bestimmtes Verhalten für eine Routineuntersuchung noch nicht sicher genug gezeigt wird, wird diese Untersuchung so lange verschoben, bis das Training dafür weit genug fortgeschritten ist. Für die meisten Hundehalter hat Medical Training jedoch nicht die oberste Priorität, so dass es illusorisch ist, zu erwarten, dass ein Familienhund durch Medical Training tatsächlich auf alle Situationen vorbereitet wird, die er in seinem Leben im Zusammenhang mit Tierarztbesuchen und Körperpflege erleben wird. Daher ist es sinnvoll, gerade mit Welpen und jungen Hunden das Konzept des Sich-festhalten-Lassens zu trainieren. Zu diesem Zweck kann positive und negative Verstärkung kombiniert werden. Der Hund wird anfangs nur sehr kurz festgehalten. Hält er still, bekommt er ein Leckerli und wird sofort wieder losgelassen. Zappelt er, wird er festgehalten, bis er einen Moment stillhält, und dann mit Leckerli und Loslassen für das Stillhalten belohnt. Allerdings sollten auch hier die Trainingsschritte so klein gewählt werden, dass der Hund so gut wie nie anfängt, zu zappeln. Auf diese Weise werden möglichst viele positive und möglichst wenige negative Emotionen mit verknüpft, und alle in der Situation verfügbaren Verstärker (Leckerli und Loslassen) konzentrieren sich auf das erwünschte Verhalten.
Hat ein Hund gelernt, dass er ab und zu festgehalten wird, und dass es sich in dieser Situation lohnt, ruhig und entspannt zu bleiben, da er dann ein Leckerli bekommt (positiver Verstärker) und wieder losgelassen wird (negativer Verstärker), so wird der Hund auch in einer unbekannten und potentiell beängstigenden Situation beim Tierarzt eher ruhig bleiben, da dies das Verhalten ist, was sich zuvor in ähnlichen Situationen ausgezahlt hat. Wann immer es möglich ist, einen Hund in Ruhe durch Training auf eine bestimmte medizinische oder pflegerische Maßnahme vorzubereiten, sollte dies rein über positive Verstärkung und unter Verwendung von Kooperationssignalen erfolgen, da so sichergestellt ist, dass der Hund sich im Training jederzeit wohl und sicher fühlt. Für den Fall, dass eine solche Maßnahme nicht durch Training vorbereitet werden kann, ist es aber hilfreich, wenn das Konzept des Sich-festhalten-Lassens kleinschrittig trainiert wurde.
MEDICAL TRAINING FÜR HUNDE –WAS TUN, WENN KEINE ZEIT FÜR TRAINING IST?
Jeder Hund wird im Laufe seines Lebens in die Situation kommen, spontan beim Tierarzt vorgestellt zu werden. Die Ursachen können mannigfaltig sein und erstrecken sich vom kurzfristig vereinbarten Impftermin bis hin zum echten Notfall einer lebensbedrohlichen Erkrankung oder Verletzung. Wünschenswert wäre, wenn jeder Hund so viel Medical Training durchlaufen würde, dass ein spontaner Tierarztbesuch keinen Stress auslösen würde, doch in der Realität sind leider viele Hunde gar nicht oder nur unzureichend durch Medical Training auf Tierarztbesuche oder Körperpflegemaßnahmen vorbereitet. Was kann getan werden, wenn ein spontaner Tierarztbesuch (oder ein Termin beim Hundefriseur oder Physiotherapeuten) notwendig ist und der Hund nicht so vortrainiert ist, dass er diesen ohne erheblichen Stress durchlaufen könnte?
Als erste Frage sollte geklärt werden, ob die geplante Maßnahme wirklich sofort durchgeführt werden muss. Handelt es sich um eine Untersuchung oder Behandlung, die ohne negative Konsequenzen verschoben werden kann, sollte gründlich überlegt werden, ob es nicht sinnvoll ist, einen späteren Termin auszumachen und den Hund durch Training vorzubereiten. Ist ein Aufschub nicht möglich, sollte alles darangesetzt werden, das Stresslevel des Hundes so gering wie möglich zu halten.
Als wichtigste Maßnahme sollte eine ständige Evaluation des Stresslevels durchgeführt werden. Diese Evaluation wird zu Beginn des Tierarztbesuchs durchgeführt sowie jedes Mal, wenn sich etwas an der Situation des Hundes ändert. Eine wichtige Information zum Einschätzen des Stresslevels ist: Kann der Hund in der jeweiligen Situation Futter nehmen? Es lohnt sich, nicht nur normale Leckerli auszuprobieren, sondern auf hochwertige Dinge wie Leberwurst, Schinken oder Käse zurückzugreifen. Falls der Hund Futter nehmen kann, kann mit der Behandlung fortgefahren werden. Allerdings sollten sowohl die Körpersprache des Hundes als auch die Art, wie der Hund das Futter aus der Hand nimmt, beobachtet werden. Zeigt der Hund vermehrt Stresssignale oder nimmt das Futter sehr unsanft aus der Hand, sind dies Warnsignale, dass das Stresslevel ansteigt. So lange der Hund Futter nehmen kann, sollte er hochfrequent für kooperatives Verhalten belohnt werden. Alternativ kann auch versucht werden, dem Hund über Dauerfütterung durch die potenziell stressige Situation zu helfen.
Kann der Hund hochwertiges Futter nicht annehmen, lässt das auf massiven Stress schließen! Ist eine Untersuchung oder Behandlung in diesem Moment nötig, muss das weitere Vorgehen gründlich abgewogen und zwischen allen Beteiligten abgesprochen werden. Lernen findet immer und überall statt. Auch, wenn der Ernstfall beim Tierarzt nicht als Training betrachtet und wahrgenommen wird, wird der Hund in dieser Situation etwas lernen. Ist es also unumgänglich, den Hund für eine medizinische Maßnahme zwangsweise festzuhalten, sollte dafür gesorgt werden, dass die Lernerfahrungen, die der Hund in dieser Situation sammelt, für und nicht gegen uns arbeiten. Der Hund sollte so fixiert werden, dass er es nach Möglichkeit nicht schafft, sich durch Abwehrbewegungen zu befreien. Je nach Hund kann auch der Einsatz eines Maulkorbs nötig sein. Wenn der Hund zappelt und es schafft, sich zu befreien, lernt er in dieser Situation, dass sich Zappeln lohnt, und wird in Zukunft in ähnlichen Situationen häufiger und intensiver zappeln. Wird der Hund aber immer in einem Moment losgelassen, in dem er gerade stillhält, lernt er, dass es sich lohnt, stillzuhalten. Um diesen Lerneffekt zu erzielen, kann es sinnvoll sein, einzelne Maßnahmen in kleine Untereinheiten aufzuteilen, und immer dann eine kurze Pause zu machen, wenn der Hund gerade stillgehalten hat. Doch auch, wenn alle Verstärker darauf ausgerichtet werden, das erwünschte Verhalten, nämlich das Stillhalten des Hundes, zu verstärken, werden die unangenehmen Emotionen (z.B. Angst durch Kontrollverlust oder Schmerz), die der Hund in dieser Situation empfindet, mit der Situation verknüpft. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Hund beim nächsten Tierarztbesuch erneut Angst empfindet, steigt. Daher sollte, wann immer es möglich ist, auf vorbeugendes Medical Training gesetzt werden.
Gerät der Hund in einer solchen Situation in Panik, ist Lernen nicht mehr möglich. Das Gehirn schaltet in eine Art Notfallmodus. Zeigt ein Hund länger als drei Sekunden am Stück Abwehrverhalten, ist das ein starkes Indiz für Panik. In diesem Fall muss etwas an der Situation verändert werden, um die Panik zu beenden. Dies kann z.B. die Art der Fixation oder die Position des Hundes sein. Führt diese Maßnahme nicht dazu, dass der Hund deutlich weniger Gegenwehr leistet, sollte der Einsatz sedierender Medikamente oder eine Narkose in Erwägung gezogen werden.
Ist es notwendig, bei einem Hund Zwangsmaßnahmen anzuwenden, der bereits Erfahrung im Medical Training hat, weil das Training noch nicht weit genug fortgeschritten ist, so sollte sich die Situation, in der Zwang angewandt wird, so deutlich wie möglich von der Trainingssituation unterscheiden. Auf diese Weise kann eine Verknüpfung zwischen dem durchgeführten Training und den Zwangsmaßnahmen in den meisten Fällen vermieden werden. Möglichkeiten zur Unterscheidung sind beispielsweise, einen anderen Raum in der Praxis zu nutzen, in einer Gemeinschaftspraxis einen anderen Tierarzt oder Tiermedizinischen Fachangestellten zu konsultieren, oder ein spezielles Halsband oder Geschirr zu nutzen. Für den Hund sollte klar erkennbar sein, dass die Situation, in der Zwang eingesetzt wird, nichts mit dem Training zu tun hat. Andernfalls verliert der Hund das im Training mühsam aufgebaute Vertrauen unter Umständen komplett.
Durch den Einsatz von hochwertigem Futter beziehungsweise durch kluges, vorausschauendes Handling lässt sich das Stresslevel von nicht ausreichend vortrainierten Hunden während tierärztlicher Untersuchungen und Behandlungen häufig auf ein erträgliches Maß reduzieren. Vorbeugendes Medical Training sollte aber, wann immer möglich, eingesetzt werden, um Hunden das Erfahren von Stress, Angst und des Gefühls von Kontrollverlust zu ersparen. Im Notfall sollte auch der Einsatz einer Sedation oder Narkose erwogen werden.
MEDICAL TRAINING
ALS BESCHÄFTIGUNGSMÖGLICHKEIT FÜR FAMILIENHUNDE
Viele Hundebesitzer möchten ihre Hunde über die täglichen Spaziergänge hinaus beschäftigen. Hundesportarten gibt es zur Genüge, für die meisten werden aber Platz und spezielles Equipment benötigt. Daher trainieren viele Besitzer mit ihren Hunden gerne Tricks, die niedlich anzusehen sind und Spaß machen. Beim Training über positive Verstärkung macht es für den Hund letztendlich keinen Unterschied, ob das, was trainiert wird, einen ernsthaften Sinn hat oder nur zum Spaß und zur Beschäftigung trainiert wird. Für einen Hund ist das Gehen an lockerer Leine genauso ein Trick wie Pfötchen geben oder Männchen machen. Demzufolge kann auch das Medical Training als Beschäftigungstraining für den Hund angesehen werden. Wird dabei nach einem guten Trainingsplan auf ein realistisches Ziel hin trainiert, können zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: Hund und Halter gehen einem gemeinsamen Hobby nach und trainieren für den nächsten Tierarztbesuch!
Besonders geeignet für ein solches Vorhaben sind verschiedene Positionen, die als Kooperationssignale verwendet werden. Ein Kooperationssignal ist ein vom Hund einfach auszuführendes Verhalten, zum Beispiel das Einnehmen einer bestimmten Körperhaltung, dass die Bereitschaft des Hundes für den nächsten Trainingsschritt zeigt. Gibt der Hund das Kooperationssignal, so kann mit dem Training begonnen werden. Gibt er das Kooperationssignal nicht, so stoppt das Training. Für das Medical Training gut geeignet sind ein Kinntarget, bei dem der Hund sein Kinn in die Hand des Menschen legt und so bewegungslos verharrt, sowie die flache Seitenlage. In diesen beiden Positionen können die meisten tierärztlichen Untersuchungen sowie Pflegemaßnahmen durchgeführt werden. Wird es dem Hund in einer bestimmten Situation zu viel, gibt er das Kooperationssignal entweder gar nicht erst, oder er hebt es selbständig auf. Auf diese Weise hat der Trainer immer ein direktes Feedback.
Im ersten Schritt wird das Zeigen und Halten des Kooperationssignals trainiert. Wie dabei vorgegangen wird, muss stets im Einzelfall entschieden werden. Bei vielen Hunden lassen sich sowohl das Kinntarget als auch die Seitenlage über Locken mit Futter recht schnell trainieren.
Zeigt der Hund das Kooperationssignal auf ein spezifisches Signal hin, kann mit dem Training der eigentlichen Prozedur begonnen werden. Dabei werden erst kleine Reize hinzugefügt, die der Hund problemlos aushalten kann, ohne das Kooperationssignal aufzuheben. Je nach Hund kann dies zum Beispiel eine Bewegung der Menschenhand in 50cm Abstand sein. Hält der Hund das Kooperationssignal, wird er belohnt. Hebt er es auf, ist dies eine wertvolle Information darüber, dass der Trainingsschritt zu groß war. Das Training sollte sich als Dialog gestalten. Dem Hund wird eine Frage gestellt, die er möglichst immer mit „Ja“ beantworten kann. Der Mensch fragt durch sein Verhalten sinngemäß: „Kannst du flach auf der Seite liegen bleiben, wenn ich meine Hand mit 10 cm Abstand über deine Schulter halte?“ Antwortet der Hund mit „Ja“, indem er bewegungslos liegen bleibt, wird er belohnt. Die nächste Frage könnte beispielsweise lauten: „Kannst du flach auf der Seite liegen bleiben, wenn ich meine Hand mit 5 cm Abstand über deine Schulter halte?“ Anschließend könnte, je nach Hund, gefragt werden: „Kannst du flach auf der Seite liegen bleiben, wenn ich dich mit meiner Hand an der Schulter berühre?“ Auf diese Weise liegt der Fokus des Trainings auf dem Verhalten, dass das Kooperationssignal darstellt. Die eigentliche medizinische oder pflegerische Prozedur, die dabei trainiert wird, fungiert somit als Ablenkung, die der Hund ignorieren beziehungsweise tolerieren soll, um seine Belohnung zu erhalten.
Viele Hunde haben bereits negative Erfahrungen mit den Bereichen Tierarztbesuch und Körperpflege gemacht. Gerade Hunde, die bisher in vergleichbaren Situationen festgehalten und gezwungen wurden, Manipulationen über sich ergehen zu lassen, reagieren häufig anfangs gestresst, wenn das Training so weit fortgeschritten ist, dass es um Berührungen geht. Sie befürchten möglicherweise, ausgetrickst und im entscheidenden Moment doch noch festgehalten zu werden. Für solche Hunde kann es hilfreich sein, vor dem eigentlichen Medical Training das Kooperationssignal mit für den Hund verlockenden Ablenkungsreizen unter Druck zu setzen. Dies kann beispielsweise durch Futter oder ein Spielzeug erfolgen. Baut man diese verlockenden Ablenkungen kleinschrittig genug auf, kann man dem Hund beibringen, das Kooperationssignal zu halten, auch wenn er buchstäblich mit Futter überschüttet wird oder sein Lieblingsspielzeug vor seiner Nase fliegt. Hat ein Hund über positive Verstärkung gelernt, flach auf der Seite liegen zu bleiben, wenn Käsestückchen 5 cm neben seiner Nase landen und diese zu ignorieren, um danach mit eben diesem Käse belohnt zu werden, ist es häufig sehr viel einfacher für den Hund, auch liegen zu bleiben, wenn sich die Krallenschere seiner Pfote annähert.
Richtig aufgebaut, ist Medical Training eine großartige Beschäftigungsmöglichkeit für Hund und Halter. Der positive Nebeneffekt der Stressreduktion beim Tierarzt und bei der Körperpflege ist dabei natürlich das absolute Sahnehäubchen!