Markertraining verschiedener Tierarten, Intensiv-Trainingswoche Spezial im Animal Training Center
Vor einem Jahr wurde auf der ClickerCon die Idee einer ganz besonderen Fortbildung geboren: Eine praktische Trainingswoche im Animal Training Center für eine geschlossene Trainergruppe aus gut bekannten und befreundeten Trainerinnen mit ähnlichem Vorwissen aus der Gruppe der TOPTrainer und Trainingsspezialist-Absolvent:innen.
Nach fast einem Jahr Planung war es dann am 5. Oktober 2020 soweit – eine Gruppe von 12 Teilnehmerinnen traf sich zum Icebreaker im ATC (Animal Training Center). Eis gab es nicht zu brechen, dafür aber sehr leckere Cocktails, Lagerfeuer und Stockbrot. Aus dem ATC waren Anna Oblasser-Mirtl, Barbara Glatz und Elke Grablechner als Referentinnen und Coaches angetreten.
Die Erwartung an diese Fortbildung war im Gegensatz zu beispielsweise den Hühnermodulen der Tierakademie Scheuerhof oder dem Trainingsspezialisten nicht, Neues über Lerntheorie zu erfahren. Das war im Vorfeld von Seiten des ATC auch klar so kommuniziert worden, da sie wussten, dass wir auf diesem Gebiet schon viel Vorwissen mitbringen. Es ging darum, zu erfahren, was Besonderheiten im Training mit anderen Tierarten sind und warum bei nicht domestizierten Tierarten der Fokus im Training teilweise ein anderer ist, als wir ihn kennen. Außerdem ging es darum, von beiden Seiten einen Blick über den Tellerrand zu werfen und sich auszutauschen.
Bereits am ersten Abend wurden die zu trainierenden Tiere und die jeweiligen Trainingsaufgaben verteilt. Jede Teilnehmerin bekam zwei Tiere, die sie die Woche über in jeweils zwei Sessions pro Tag trainieren durfte. Das Training fand in Vierergruppen statt, die jeweils eine der Referentinnen als Betreuerin hatten.
Das praktische Training mit neuen Tierarten war eine unfassbar spannende Erfahrung, die uns allen viel Spaß gemacht hat. Das wirkliche Highlight der Woche waren aber der Austausch untereinander und die langen, intensiven Diskussionen. Unsere größten Erkenntnisse möchten wir euch in diesem Artikel vorstellen:
WARUM MAN AUCH EINEM NUTRIA KEIN FUTTER WEGNEHMEN SOLLTE:
Beim Training mit Nutria „Emmerich“ fiel in der ersten Session ein Stückchen Futter herunter. Um zu verhindern, dass „Emmerich“ seine Station verließ und durch das Futter belohnt würde, hoben wir es – vom Nutria unbemerkt – schnell auf. Anna Oblasser-Mirtl, Inhaberin des ATC und Betreuerin unserer Gruppe, erklärte uns daraufhin eine der Grundregeln im ATC: Nimm einem Wildtier niemals Futter weg. Unser erstauntes „Warum?“ wurde abends in einer langen Diskussion bei Wein und Stockbrot zufriedenstellend beantwortet.
Einem Wildtier kein Futter wegzunehmen ist eine Frage der Sicherheit für die Trainer:in. Anders als bei unseren Haustieren ist die Gefahr von frustbedingtem Aggressionsverhalten gegen Menschen bei Wildtieren deutlich höher. Hunde lernen meist von klein auf, dass Menschen heruntergefallenes Futter aufheben und ihnen in vielen Fällen geben. Bei einem Wildtier kann das gleiche Verhalten ohne diese Lernvorerfahrung (und vielleicht genetische Komponente durch Domestikation) eine Attacke provozieren. Daher wurde Anna in ihrer Ausbildung am Moorpark College von Anfang an eingeschärft, heruntergefallenes Futter liegen zu lassen, auch wenn das Tier augenscheinlich kein Interesse daran hatte. Aus Sicherheitsgründen sollte dies als allgemeine Grundregel betrachtet werden, die auch bei eigentlich harmlosen Tieren immer gilt, um bei Trainer:innen feste Gewohnheiten zu etablieren.
Die Anweisung, heruntergefallenes Futter liegen zu lassen, stellte für unsere hühnermodulgeschulten Impulse eine echte Herausforderung dar! Ein weiterer guter Grund, konstant an seinen handwerklichen Fähigkeiten zu arbeiten: Wer kein Futter fallen lässt, kommt auch nicht in Versuchung, es aufzuheben…
WARUM ES EINEN UNTERSCHIED MACHT, OB MAN ZIEGEN ODER TAUBEN TRAINIERT:
Ein Evergreen unserer Diskussionen war, wann eine Trainingssession wie (und warum) beendet wird. Generell machen sich die Trainerinnen des ATC sehr viele Gedanken darüber, wie eine Trainingseinheit möglichst frustarm für das Tier beendet wird. So bekamen beispielsweise die Nutrias bei Trainingsende jeweils eine Weinranke als Enrichment überreicht, mit der sie sich ausgiebig beschäftigten. Anfangs verwirrten uns die scheinbar widersprüchlichen Anweisungen, bei z.B. den Ziegen das Training tendenziell nur dann zu beenden, wenn es gerade sehr gut lief, und beispielsweise bei den Maras und Tauben manchmal zu warten, bis sie den Trainingsort selbstständig verließen. Doch auch hier brachten unsere Nachfragen die Antwort: Bringt man eine Ziege frustriert in ihr Gehege zurück, boxt sie ihre tierischen Mitbewohner. Maras und Tauben hingegen haben eher kein Problem mit frustbedingter Aggression gegen Artgenossen, können sich aber erschrecken, wenn sie dicht beim sitzenden Menschen sind und dieser plötzlich aufsteht.
WARUM MAN KÄNGURUS NICHT IN DER MORGENSONNE TRAINIEREN SOLLTE:
Ein für uns erstaunlich großer Unterschied zwischen den uns aus dem Training bekannten Tieren und den Wildtieren, mit denen wir trainiert haben, war, wie stark und schnell sich die Wertigkeit von Verstärkern ändern kann. Waren die Kängurus bei bewölktem Himmel gerne bereit, Gemüseringe als Verstärker zu nehmen, saßen sie bei schönem Wetter lieber in der Morgensonne und nahmen ein Sonnenbad. Dabei ließen sie selbst vor ihre Nase geworfenes Futter einfach links liegen und beschäftigten sich lieber mit ausführlicher Fellpflege. Pech für die Trainerin!
WARUM MAN MIT EINEM MARA NICHT ALS ERSTE AUFGABE EIN TARGET TRAINIERT:
Ein Begriff, der uns im ATC immer wieder begegnete, war der der „Trainingsbereitschaft“, die hergestellt werden muss und dann um jeden Preis erhalten werden sollte. Uns irritierte dieser Begriff anfangs, da die Gesetze der Lerntheorie ja speziesübergreifend immer gelten. Jedes Tier sollte doch in jeder Lebenslage bereit sein, zu lernen? Damit gemeint sind im ATC aber die Voraussetzungen, die es für „formale“ Trainingssessions braucht: Stressfrei in Anwesenheit der Trainer:in sein und in ihrer/seiner Anwesenheit Futter in einer gewissen Frequenz und Häufigkeit aus der Hand oder einer Schüssel nehmen, damit gezieltes Training über positive Verstärkung überhaupt stattfinden kann. Um an diesen Punkt zu gelangen, braucht es oft ein gewisses Vortraining. Dieses besteht in manchen Fällen aus einer Kombination von positiver und negativer Verstärkung, um eine Annäherung des Menschen zu ermöglichen oder das Tier zum Näherkommen zu bewegen.
Dieses Vortraining war bei den Maras nötig, da sie noch nicht lange im ATC sind. Anfangs warf Marleen, die die Maras trainierte, ihnen immer dann Futter zu, wenn sie sich in ihre Richtung orientierten. Dabei musste sie so still wie möglich sitzen und das Futter möglichst zielgenau über eine Distanz von mehreren Metern vor die Mara-Nasen werfen, ohne sie dabei zu erschrecken. Über die Zeit verringerte sich die Distanz deutlich, bis die Maras am letzten Trainingstag Futter aus der Hand nahmen und erste Berührungen eines Targets verstärkt werden konnten.
WARUM MAN BEI EINEM SCHAF MANCHMAL LÄNGER NACHDENKEN MUSS:
Im Training mit unseren Hunden sind wir es gewohnt, regelmäßige Pausen einzulegen, um in Ruhe das Training zu überdenken und die nächsten Trainingsschritte zu planen. Dafür haben wir in der Regel feste Pausenrituale etabliert wie z.B. der Rückzug in eine offene Box oder das entspannte Abliegen auf einer Decke. Beim Training im ATC stolperten wir daher erst einmal darüber, dass die Pausen, so wie wir sie machten, unstrukturiert und daher stressig für die Trainerinnen waren. Es brauchte einige Überlegungen und Evaluationen unsererseits sowie Input der Referentinnen, bis wir für die unterschiedlichen Tiere passende Pausensettings gefunden hatten, mit denen sich Trainerin und Tiere wohlfühlten. Bei Schaf „Lotte“ verlegten wir das Training in einen kleinen Auslauf, den Michaela in den Pausen verlassen konnte, während „Lotte“ Gras und verstreute Gemüseringe fressen konnte. Bei paarweise lebenden Tieren wie den Nutrias und den Ziegensittichen galt es immer auch zu bedenken, dass „unser“ Trainingstier in seiner Pause nicht das gleichzeitig stattfindende Training seines Partnertiers störte, weshalb es wichtig war, es bei uns zu behalten. Beim Nutria war die Lösung, unmittelbar vor der Pause einen großen Keks als Verstärker zu geben, der ihn die Pause über beschäftigte. Für uns bedeutete das allerdings, dass eine Nutria-Plan-Pause nur exakt so lange dauern durfte wie das Fressen des Kekses. Diese eigentlich banal klingende Erkenntnis ließ sich nicht in jedem Fall von jetzt auf gleich umsetzen, da wir die örtlichen Gegebenheiten berücksichtigen mussten (nicht überall gab es die Möglichkeit, Tiere zu separieren) und darauf achten mussten, die Tiere durch unsere Management-Maßnahmen nicht zu stressen (Ziege „Max“ positionierte sich anfangs immer so, dass wir die Tür des Auslaufs nicht hinter ihr schließen konnten). Nachdem wir diese Anfangsschwierigkeiten überwunden und einige Zeit in die Planung des Pausenmanagements investiert hatten, ging das nachfolgende Training deutlich leichter und störungsfreier vonstatten – eine altbekannte Erkenntnis in neuem Gewand.
WARUM MANCHE TRAINER MEHR GEFÜHL FÜR TRAINING HABEN ALS ANDERE:
Während eines Gesprächs im ATC begegnete uns die Gegenüberstellung von „Trainingstechnik“ und „Gefühl im Training“. Es wurde von Trainer:innen berichtet, die die Trainingstheorie gut verinnerlicht hatten, aber mangels „Gefühl“ im Training keine guten Resultate erzielten, und von Trainer:innen ohne theoretisches Hintergrundwissen, die „ein gutes Gefühl“ für Training haben. Im gemeinsamen Austausch fanden wir heraus, was mit „Gefühl im Training“ im ATC gemeint war. Trainer:innen, die sowohl das Tier sehr gut beobachten und feine Nuancen von Verhaltensänderungen wahrnimmen und mit gutem Timing darauf reagieren können sowie über einen großen Erfahrungsschatz verfügen, können unter Umständen sehr erfolgreich trainieren, ohne erklären zu können, warum sie etwas tun und warum das Vorgehen so erfolgreich ist. Daher kann ein:e Trainer:in beispielsweise ein gutes „Gefühl“ für das Training mit Pferden bei einer bestimmten Aufgabe wie dem Verladetraining haben, bei einer anderen Aufgabe oder Spezies aber kein „Gefühl“ haben. Hat ein:e Trainer:in bereits viel Erfahrung im Training mit unterschiedlichen Spezies und Aufgaben, so kann er oder sie auch generell ein gutes „Gefühl“ für Training haben. Mit diesem „Gefühl“ im Training ist keine Emotion wie beispielsweise Tierliebe und eben auch nicht ein „gutes Bauchgefühl“ gemeint, sondern es sind letztendlich Erfahrungen, Beobachtungen und technische Fähigkeiten, derer sich die Trainer:innen selbst nicht unbedingt bewusst sind und die sieunter Umständen nicht rational begründen können. Die gute Nachricht ist: Dieses „Gefühl im Training“ kann man lernen!
UNSER FAZIT:
Insgesamt hatten wir eine tolle gemeinsame Woche mit „Klassenfahrtfeeling“. Unsere Erwartungen an Input und Austausch wurden voll erfüllt. Auch kritische Nachfragen unsererseits wurden offen und engagiert beantwortet und ergaben letztendlich immer, dass trotz teilweise unterschiedlicher Gewichtung von Vor- und Nachteilen bei den verschiedenen Tierarten die Basis des Trainings im ATC immer auf einer soliden lerntheoretischen Grundlage fußt. Wir wurden rundum gut betreut und haben erleben dürfen, dass Wohlbefinden für Mensch und Tier oberste Priorität im ATC hat. Außerdem hatten wir tolle Begegnungen mit Tieren, die man nicht alltäglich vor den Clicker bekommt – inklusive der ein oder anderen spontanen Ausschüttung von Oxytocin!
Beitrag von Katja Frey und Dorothea Johnen
(Beitrag aktualisiert: Mai 2022)