Kopfhalfter für Hunde – über Sinn, Unsinn und die richtige Anwendung
Im Januar 2022 hatten wir Easy Dogs eine interne Fortbildung mit Dr. Stephan Gronostay zum Thema Verhaltenstherapie. Neben der Theorie und zwei eindrücklichen Fallbeispielen, durften wir auch praktisch arbeiten. Eine unserer Trainingsaufgaben lautete:
“Der Hund läuft an der Körperseite des Menschen an kurzer Leine, die am Kopfhalfter befestigt ist. Der Mensch geht 3x eine achtförmige Runde um 2 Eimer (Distanz ca. 2 m). Auf einem Eimer befindet sich ein Unterteller mit Katzennassfutter (o.Ä.). Während der 3 Runden bleibt der Mensch 2x stehen und verharrt ungefähr 5 Sek. Im Gehen wirft der Mensch einmal einen Ball (oder ein Quietschspielzeug) auf eine Art und Weise, dass er vom Hund aus nach seitlich vorne wegrollt. Der Hund wird am Ende der Aufgabe belohnt.
Erlaubt: Positiv trainierte Signale für Mitlaufen und Anschauen.
Nicht erlaubt: Aktives Einwirken über die Leine und Verwendung eines auf Frustration basierenden Abbruchssignals zum Unterbrechen von Verhalten.”
Wie immer haben wir die Menschen in den sozialen Medien an dem, was wir tun, teilhaben lassen und bezüglich des Kopfhalfters haben wir viele Fragen und auch negative Kommentare erhalten. Was klar wurde: Es gibt viele Vorurteile, Ängste und Sorgen, was die Verwendung eines Kopfhalfters betrifft, was vor allem auch daran liegt, dass das Kopfhalfter in vielen Fällen auf eine Art und Weise genutzt wird, die mit gewaltfreiem Training nicht vereinbar ist. Aber es ist wie mit so Vielem: Ein Hilfsmittel ist nicht per se schlecht, nur weil es Menschen gibt, die es missbrauchen. Vermutlich würde niemand einen Gürtel verteufeln, nur weil es Menschen gibt, die andere Menschen damit strangulieren, oder?
Bei vernünftigem Einsatz lässt sich ein Kopfhalfter mit dem Sicherheitsgurt im Auto vergleichen. Wenn wir ganz normal Auto fahren, dann merken wir den Sicherheitsgurt kaum. Er liegt schräg über unserem Oberkörper und nur wenn wir uns darauf konzentrieren, merken wir eine leichte Spannung. Passiert uns ein Auffahrunfall und wir werden plötzlich ruckartig nach vorne geschleudert, dann zeigt sich die schützende Wirkung des Gurtes, der sofort blockiert und so verhindert, dass wir mit dem Gesicht im Lenkrad einschlagen oder gar durch die Windschutzscheibe katapultiert werden.
Genau den gleichen Zweck erfüllt sinngemäß ein Kopfhalfter: Es sorgt für Sicherheit für Hund, Mensch und Umwelt unter sehr besonderen Bedingungen.
Ich werde in diesem Artikel erklären, welche Typen Kopfhalfter es gibt, unter welchen Umständen die Verwendung eines Kopfhalfters sinnvoll ist, ob und welche Alternativen es gibt und wie man einen Hund mit Kopfhalfter führt, so dass möglichst wenig Beeinträchtigungen für den Hund damit verbunden sind und das Verletzungsrisiko minimiert wird. Denn ja, natürlich birgt die Verwendung eines Kopfhalfters auch Risiken. Genau wie die Verwendung eines Sicherheitsgurtes. Der kann uns im Fall eines Unfalls Quetschungen und Blutergüsse zufügen. Das ist nicht schön, aber doch immer noch besser als das, was uns zustoßen würde, wenn wir uns gar nicht erst anschnallen würden.
Wichtig: Wie der Sicherheitsgurt sollte ein Kopfhalfter ein rein passives Hilfsmittel sein, das dazu dient Gefahren zu minimieren. Ein Kopfhalfter zu verwenden, um Leinenführigkeit zu trainieren, um damit aktiv den Blickkontakt zu anderen Hunden oder Menschen zu unterbrechen, indem man an der am Kopfhalfter befestigten Leine zieht, oder den Hund gar durch Rucken am Kopfhalfter zu korrigieren ist NICHT gewaltfrei und NICHT tiergerecht und damit INDISKUTABEL!
Schauen wir uns also einmal an, welche unterschiedlichen Arten von Kopfhalftern es überhaupt gibt.
ARTEN VON KOPFHALFTERN
Grundsätzlich gibt es zwei Arten von Kopfhalftern, die sich darin unterscheiden, wo die Leine befestigt wird:
Entweder unter der Schnauze (z.B. Halti®, Halti OptifitⓇ, Master ControlⓇ, Easy WalkⓇ)
oder im Nacken (z.B. NewTrixⓇ, Canny CollarⓇ).
Bei den Kopfhalftern, bei denen die Leine unter der Schnauze eingehängt wird, gibt es dann noch die mit losem und die mit feststellbarem Nasenriemen, es gibt welche mit gepolstertem und welche mit ungepolstertem Nasenriemen.
Bei beiden Varianten wird der Hund keinesfalls ausschließlich am Kopfhalfter geführt, sondern die Leine wird immer auch hinten an dem Ring befestigt, der am Rückenteil des Brustgeschirrs befestigt ist. Der Hund wird also “doppelt geführt”.
So wie es auf dem verlinkten Foto (rechtes Bild unten (lila)) dargestellt ist, also schon mal definitiv nicht! Wie genau die Führtechnik aussehen muss, damit das Schmerz- und Verletzungsrisiko für den Hund so gering wie nur irgendwie möglich ist, dazu weiter unten mehr.
Wie auf beiden Bildern (das erste Bild oben und das verlinkte Foto im Absatz zuvor) allerdings gut zu sehen ist, kann der Hund mit einem Kopfhalfter in der passenden Größe selbstverständlich gut hecheln. Kann er das nicht, passt das Kopfhalfter entweder nicht oder es ist falsch eingestellt.
Die Wirkweise der Kopfhalfter unterscheidet sich je nachdem, ob das eine Ende der Leine im Nacken oder unter der Schnauze befestigt wird:
Bei Kopfhalftern, bei denen die Leine im Nacken befestigt wird, wird der Oppositionsreflex ausgelöst, wenn der Hund nach vorne geht, weil durch den Riemen im Nacken dort Druck entsteht. Der Hund kann mit dieser Art Kopfhalfter weiterhin gerade nach vorne ziehen, wenn er den Oppositionsreflex überwindet. Und wenn ein Hund richtig am Eskalieren ist, dann passiert das in der Regel schneller als man schauen kann. Das ist auch der Grund, warum ich persönlich diese Art von Kopfhalfter nicht einsetze. Mir geht es bei der Verwendung des Kopfhalfters ja ausschließlich darum, den Hund sicher halten zu können und dazu brauche ich eine Wirkung, die die Vorwärtsbewegung zuverlässig stoppt.
Bei den Kopfhalftern, bei denen die Leine unter der Schnauze befestigt ist, wird die Vorwärtsbewegung sehr zuverlässig gestoppt.
Der Nasenriemen liegt bei richtigem Sitz des Halfters auf dem knöchernen Nasenrücken auf und hier entsteht im Falle der Eskalation auch Druck. Ein gepolsterter Nasenriemen mindert diesen Druck, bei manchen Hunden sitzen die gepolsterten Halfter jedoch nicht so gut. In diesen Fällen muss dann das kleinere Übel gewählt werden und das ist definitiv sicherer Sitz vor Komfort, denn es geht bei der Verwendung eines Kopfhalfters ja wie bereits erwähnt einzig und allein um den Sicherheitsaspekt in SEHR KRITISCHEN Situationen.
Und damit landen wir direkt bei den Umständen, unter denen die Verwendung eines Kopfhalfters sinnvoll ist.
WANN IST DIE VERWENDUNG EINES KOPFHALFTERS SINNVOLL?
Vorneweg: Am allerallerallerschönsten wäre es, wenn man gar kein Kopfhalfter bräuchte. Wenn das Zusammenleben mit dem Hund einfach immer ein rosarotes Regenbogenland mit Zuckerwattewiesen und Schokoladenblümchen wäre. Überraschung: Ist es aber nicht.
Es gibt große, schwere Hunde – wir reden hier von 35 bis 40 kg AUFWÄRTS, die Angst haben, reaktiv sind oder Aggressionsverhalten gegenüber Menschen, Hunden oder anderen Tieren zeigen und deren Bezugspersonen körperlich nicht den Hauch einer Chance haben, sie festzuhalten, sollten sie, aus welchem Grund auch immer, eskalieren.
Jetzt können die “Gscheidhaferl der Nation” natürlich argumentieren, dass man sich nur einen Hund anschaffen darf, dem man körperlich gewachsen ist. Oder lamentieren, dass die Leute sich halt mal mehr Mühe geben sollten, denn man müsse dann halt da gehen, wo man niemanden trifft und überhaupt, das kann man doch alles trainieren!
Wie sehr mich solche Äußerungen ärgern, weil ich sie so gnadenlos überheblich und unfair finde.
Die Menschen, die zu mir ins Coaching kommen und mit einem Hund zusammenleben, der ohne ersichtlichen Anlass, oder wenn überraschend jemand auftaucht, oder wenn jemand zu schnell zu nah kommt, brüllend nach vorne geht und es deshalb schon einmal oder gar mehrfach zu wirklich gefährlichen Situationen kam, diese Menschen haben Angst! Sie stehen unter massivem Stress und trauen sich mit ihrem Hund kaum noch vor die Tür, weil sie befürchten, dass ihr Hund, sie selbst oder – für die meisten das schlimmste Szenario – jemand anders durch ihren Hund verletzt werden könnte. Es geht nur selten darum, dass der Hund jemanden beißen könnte. In so einem Fall muss der Hund zusätzlich zum Kopfhalfter selbstverständlich noch mit einem Maulkorb gesichert werden. Es geht darum, dass der Hund vor ein Auto auf die Straße springt, weil er auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen Auslöser entdeckt hat, selbst angefahren wird und seinen Menschen ggf. auch noch vor das Auto zieht. Es geht um den Autofahrer, der dann einen Hund und vielleicht einen Menschen angefahren oder gar überfahren hat. Es geht darum, dass ein Hund einen Fahrradfahrer zu Fall bringt oder einen Passanten anspringt und umwirft, darum, dass sich der Hund auf einen freilaufenden Der-Tut-Nix stürzt, diesen unter sich begräbt und so traumatisiert und/oder körperlich verletzt. Alles, weil das Kräftegleichgewicht so unausgewogen ist und der Hund so heftig reagiert, dass die Gesetze der Physik eben wirken. Es geht nicht darum, dass es sich hier um Leute handelt, die gedankenlos sind, die nach einem einfachen Mittel suchen ihren Hund gefügig zu machen, sondern das Gegenteil ist der Fall. Die Leute, die zu mir ins Coaching kommen und über die Verwendung eines Kopfhalfters nachdenken, sind sich ihrer großen Verantwortung bewusst. Ob wir ein Kopfhalfter verwenden oder nicht, das klären wir dann gemeinsam. In den allermeisten Fällen brauchen wir es nicht, weil es eine ausreichende Alternative gibt. Dazu gleich mehr.
Ich habe in über 15 Jahren als Verhaltensberaterin in insgesamt drei Fällen ein Kopfhalfter eingesetzt:
- Labradormischling Charly, 4 Jahre alt, 40 kg schwer. Aus dem Tierheim an eine zart gebaute Studentin Anfang 20 als verträglich mit allem und jedem vermittelt. Als sein Frauchen zu mir ins Training kam, hat sie sobald irgendetwas aufgetaucht ist – Hund, Mensch, Fahrrad, Kind auf einem Tretroller – nach dem nächsten Baum oder Laternenpfahl Ausschau gehalten, Charly daran mit der Leine festgemacht und gehofft und gebetet, dass die Karabiner halten und derjenige, der sich da nähert ausreichend Abstand zu Charly hält.
- Dobermann Neo, mit 16 Wochen bei meiner Kundin gelandet, nachdem die ursprüngliche Käuferin ihn an eine andere Person abgegeben hat, weil er so “dominant” ist, die ihn wiederum an die Züchterin zurückgeben wollte. Während der Jugendentwicklung war Neo extrem reaktiv und ist für sein sehr erfahrenes Frauchen oft völlig unvorhersehbar in die Leine gedonnert. Auslöser konnte bspw. ein Blatt sein, das auf der gegenüberliegenden Straßenseite entlang wehte. Besonders an Straßen und Engstellen bestand deshalb großes Gefahrenpotential. Er wog 38 kg, als wir uns dazu entschieden haben für solche Situationen das Kopfhalfter zu nutzen.
- Rottweiler Bertl, der sich während der Jugendentwicklung und dann stolzen 42 kg auch sehr reaktiv zeigte. Training war nur schwer möglich, weil sein Frauchen befürchtete ihn nicht halten zu können und sie deshalb die für Bertl schwierigen Situationen, wie Hundebegegnungen und auch die Begegnungen mit manchen Menschen gemieden hat. Das hat das Problem zum Teil verschärft, denn Bertl mag andere Hunde gerne und hat sich dann oft aus purem Frust brüllend in die Leine geworfen, wenn ein Hund auftauchte und er nicht hin durfte.
In allen drei Fällen war Training erst mit der Verwendung des Kopfhalfters wirklich möglich, weil alle drei Halterinnen damit zum ersten Mal erlebt haben, dass sie ihren Hund sicher halten können, auch wenn er komplett eskaliert. Diese Sicherheit hat den Halterinnen Stress genommen und so waren sie in der Lage, die Dinge, die wir im Coaching miteinander besprochen und geübt haben, auch in ihrem Alltag umzusetzen. Um Charly sicher zu führen, hat sein Frauchen nach wenigen Monaten gar kein Kopfhalfter mehr gebraucht, Neos Frauchen bis zu seinem viel zu frühen Tod im Alter von vier Jahren nur noch sporadisch und Bertls Frauchen nutzt es mittlerweile auch nur noch in engen und unübersichtlichen Situationen. Er ist jetzt vier Jahre alt und wirklich gebraucht wurde das Kopfhalfter schon länger nicht mehr. Bertl kann inzwischen viele Situationen, in denen er früher vollkommen ausgeflippt ist, auf allen Vieren stehend und mit klarem Kopf gut meistern, er kann häufig sogar schon eine richtig coole Socke sein und wenn man ihn heute so sieht, dann mag man kaum glauben, wie heftig der Bub mal ausrasten konnte.
ZUSAMMENFASSUNG
Ein Kopfhalfter zu verwenden ist dann sinnvoll, wenn Gewicht, Reaktivität und Trainingsstand des Hundes es unmöglich machen, den Hund jederzeit so sicher halten zu können, dass er weder sich selbst, noch seine Bezugsperson oder Dritte gefährden kann.
Wir sprechen hier von Hunden mit einem Gewicht von 35 kg aufwärts.
Bei Hunden mit weniger Gewicht ist die Verwendung eines Kopfhalfters in der Regel nicht notwendig, hier gibt es eine gute Alternative.
ALTERNATIVEN ZUM KOPFHALFTER
In den Sozialen Medien sind viele Fragen und Kommentare zu möglichen Alternativen zum Kopfhalfter aufgetaucht. Die drei bekanntesten sind vermutlich:
- Geschirre mit Zugwirkung
- Doppelte Führung an Halsband und Brustgeschirr.
- Doppelte Führung am Brustgeschirr mit Brustring.
Zu 1. Geschirre mit Zugwirkung – DEFINITIV UND ABSOLUT KEINE ALTERNATIVE
Hier gibt es unterschiedliche Modelle und keines ist dazu geeignet einen Hund zu führen geschweige denn, einen eskalierenden, tobenden Hund sicher halten zu können. All diese Geschirre verursachen entweder Schmerzen (die, die dünne Bänder haben, die in den Achseln verlaufen und richtig schön einschneiden, sobald Zug auf die Leine kommt) oder sie wirken so ungünstig auf den Bewegungsapparat ein, dass der normale Bewegungsablauf eingeschränkt wird (Geschirre in Norwegerform, bei denen ein Riemen über die Brust verläuft, wo auch der Zugmechanismus angebracht ist, der bei Zug auf der Leine dafür sorgt, dass der komplette Schultergürtel des Hundes nach vorne gedrückt wird und sich der Brustgurt schmerzhaft in die Achseln hineinzieht), was Scheuerstellen, Schonhaltungen und daraus folgend Verspannungen (Kopfschmerzen!) nach sich zieht. (Bild zur Ansicht siehe Link)
Zu 2. Doppelte Führung an Halsband und Brustgeschirr – KEINE ALTERNATIVE
Für mich persönlich kommt es nicht in Frage eine Leine am Halsband zu befestigen.
Das Halsband wirkt auf eine Struktur am Hundekörper ein, wo eine Einwirkung grundsätzlich mindestens unangenehm, wenn nicht sogar schmerzhaft ist.
Im Halsbereich befinden sich Luft-, Speiseröhre und Kehlkopf, alle drei werden stark in Mitleidenschaft gezogen, wenn ein Hund am Halsband tobt. Die sich unweigerlich einstellende Atemnot verursacht noch mehr Stress, als der Hund in diesem Moment sowieso schon hat. Auch auf das Zungenbein wird unter Umständen Druck ausgeübt, der Augeninnendruck kann sich erhöhen, das Schilddrüsengewebe und die Halsvenen bekommen definitiv etwas ab.
Beim Kopfhalfter entsteht Druck auf dem knöchernen Nasenrücken. Jeder darf selber einmal ausprobieren, wie es sich anfühlt, wenn man mit dem Zeigefinger etwas Druck auf den eigenen Nasenrücken ausübt und wie es sich im Vergleich dazu anfühlt, wenn man den gleichen Druck auf eine beliebige Stelle im vorderen Halsbereich ausübt.
Zu 3. Doppelte Führung am Brustgeschirr mit Brustring – MEINE BEVORZUGTE LÖSUNG
Diese Lösung nutze ich bei allen reaktiven Hunden, bei denen es die Kombination von Gewicht und Reaktivität erfordert und erlaubt. Das ist der Großteil aller Hunde, bei denen eine doppelte Führung überhaupt notwendig ist. Wie gesagt, ich hatte in 15 Jahren drei Hunde, bei denen ich ein Kopfhalfter verwendet habe, weil es in diesen Fällen die einzig vernünftige Lösung war.
Damit die doppelte Führung am Brustgeschirr mit Brustring funktioniert, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein:
- Das Geschirr muss einen fest vernähten Ring vorne an der Brust haben. Die Stelle, an der der Ring sitzt, sollte unterpolstert sein.
- Das Geschirr muss perfekt sitzen und darf nicht so verrutschen, dass der Hund herausschlüpfen kann. Damit fallen die meisten normalen handelsüblichen Geschirre schon mal aus, auch die, die es immer wieder in den hübschen bunten Sonderfarben gibt.
- Geeignet sind deshalb eigentlich nur maßgefertigte Doppel-X-Geschirre oder Sicherheitsgeschirre, die hinter dem Brustgurt noch einen weiteren Gurt um den Bauch herum haben, der verhindert, dass der Hund herausschlüpfen kann.
- Der Mensch muss auch hier über ein gutes Leinenhandling verfügen, genau wie beim Kopfhalfter übrigens. Einfach vorne einhängen und den Hund in die Leine donnern lassen ist vollkommen unangebracht! Dazu weiter unten dann mehr.
Sind alle diese Voraussetzungen erfüllt, dann kommt der vordere Fixpunkt genau wie beim Kopfhalfter nur dann zum Einsatz, wenn er wirklich gebraucht wird.
An Engstellen, an unübersichtlichen Stellen, an Stellen, an denen ein plötzliches Springen des Hundes Gefahrenpotential birgt und wenn damit gerechnet werden muss, dass der Hund auslöst.
Und damit sind wir angelangt bei der Führtechnik am Kopfhalfter und eben auch bei der doppelten Führung am Brustgeschirr mit Brustring.
FÜHRTECHNIK
Ich persönlich nutze bei der doppelten Führung eine Leine mit mindestens sechs Metern Länge. So hat der Hund trotzdem eine Leinenlänge von ca. drei Metern zur Verfügung, was für mich die absolute Mindestlänge darstellt, um dem Hund genügend Bewegungsspielraum zum Schnuppern und Lösen geben zu können. Die Leine wird dynamisch genutzt. Sie hängt nicht schlapp durch oder schleift gar auf dem Boden. Sie hängt genau so viel durch, dass sie locker ist, der Hund aber niemals mit Anlauf in die Leine brettern kann. Das gilt übrigens genauso, wenn der Hund ganz normal geführt wird, also nur hinten am Brustgeschirr eingehängt ist. Was ich im Alltag an Leinenhandling sehe, hat diesen Namen meistens nicht einmal verdient und es ist oft sogar wirklich gefährlich. Wer schon einmal das “Vergnügen” hatte, dass sich eine Schleppleine um seinen Knöchel gewickelt hat, weiß, was ich meine.
Ist man in vollkommen übersichtlichem Gebiet unterwegs und es besteht keine Gefahr für Hund, Mensch und Umwelt, kann die Leine jederzeit vom Kopfhalfter abgemacht und nur hinten am Rückenteil des Brustgeschirrs eingehängt werden.
Je nach Umgebung und Trainingsstand des Hundes bleibt die Leine im Zweifelsfall aber durchgängig doppelt eingehängt, also am Kopfhalfter/Brustring und am hinteren Ring des Brustgeschirrs oben auf dem Rückenteil. Beim normalen Gehen, wenn “nichts ist” und keine Gefahr im Verzug, wird die Leine dabei so gehalten, dass – sollte der Hund einmal an der Leine ziehen – der Zug am hinteren Ring ansetzt. In diesen Situationen kommt bei korrektem Leinenhandling keinerlei Zug vorne auf das Kopfhalfter/den Brustring.
Rechtzeitig bevor eine Engstelle, eine unübersichtliche Stelle oder eine Stelle mit Gefahrenpotential für Hund und Mensch passiert wird oder damit gerechnet werden muss, dass der Hund auslöst, geht dann die zweite Hand mit an die Leine und zwar ca. 20 cm entfernt von dem Karabiner, der am Kopfhalfter/Brustring eingehängt ist. Die andere Hand hält die Leine am anderen Ende etwa im gleichen Abstand zum Karabiner, der am Rückenring eingehängt ist. Löst der Hund jetzt aus, kann er keinerlei Schwung holen. Er kann faktisch nicht ins Kopfhalfter hineinrauschen, weil er keinen Anlauf nehmen kann.
Ein weiterer wichtiger Punkt in Sachen Handling: Auch im Falle des Auslösens wird dynamisch mit der Leine gearbeitet. Unsere Arme sind keine Betonpfeiler, an denen der Hund festgebunden ist! Wir haben die Möglichkeit wie beim Steuern eines Drachens immer genau an dem Ende festzuhalten, wo es gerade notwendig ist und wir können da nachgeben, wo es angebracht ist. Aber egal wie sehr der Hund auch tobt, durch die zwei Haltepunkte können wir ihn sicher festhalten. Und es wird niemals aktiv am Hund gezogen! Ich persönlich ziehe auch dann nicht am Hund, wenn die Leine nur hinten am Rückenring eingehängt ist, aber am Kopfhalfter zu ziehen ist ein absolutes No-Go!!! Hier besteht nämlich tatsächlich Verletzungsgefahr, weil beim Hund der Oppositionsreflex ausgelöst wird, wenn wir an ihm ziehen. Er lehnt sich dagegen. Das ist schon ungünstig, wenn der Hund hinten am Brustgeschirr eingehängt ist, wenn der Zug aber vorne am Kopfhalfter ansetzt, dann wirkt die Kraft direkt auf die Halswirbelsäule ein und das muss unter allen Umständen vermieden werden. Mit der richtigen Technik ist das problemlos möglich, aber es erfordert Übung und einen achtsamen Umgang mit der Leine.
Der dynamische Umgang mit der Leine, also das Halten und Nachgeben zum richtigen Zeitpunkt und niemals aktiv daran zu ziehen, ist übrigens auch bei der doppelten Führung am Brustgeschirr mit Brustring wichtig. Andernfalls ist – vor allem, wenn das Geschirr eben nicht perfekt sitzt und verrutscht – die Gefahr groß, dass der Hund sich ratzifatzi aus dem Geschirr windet und dann ist die Katastrophe perfekt.
In diesem Video sieht man Deutsch Drahthaar-Hündin Jara beim Beobachten einer Katze. Sie hält es super aus, Futter nehmen ist in dieser Situation aber nicht möglich und sie ist auch nicht ansprechbar. Als sich die Katze bewegt, löst Jara aus:
Video Jara löst aus bei doppelter Führung am Brustgeschirr:
TRAINING
Grundsätzlich ersetzt weder das Kopfhalfter noch die doppelte Führung am Brustgeschirr mit Brustring das Training mit dem Hund. Selbstverständlich muss der Hund die Chance bekommen, durch belohnungsbasiertes Training und bedürfnis- und bindungsorientierten Umgang so viel Gelassenheit im Alltag zu erlangen, dass er schlicht und ergreifend nicht mehr eskalieren muss. Dazu gehört vorausschauendes Handeln, so dass der Hund auch während der Trainingsphase möglichst selten in Situationen gerät, in denen ihm die Sicherungen durchbrennen. Für die Situationen, die sich nicht vermeiden lassen und wo es eben doch passiert, weil die Umwelt nun mal nicht zu 100% kontrollierbar ist, gibt das Kopfhalfter die nötige Sicherheit für alle Beteiligten.
Auch das Tragen des Kopfhalfters selbst muss natürlich erst mit dem Hund geübt werden. Einfach Kopfhalfter drauf und los – das geht AUF GAR KEINEN FALL. Der Hund wird in diesem Fall versuchen das Kopfhalfter loszuwerden und er wird riesen Stress dabei haben. Das ist nicht nur kontraproduktiv, sondern mit den Prinzipien des gewaltfreien Trainings nicht zu vereinbaren. Kleinschrittiges, gründliches Training ist also erforderlich. Dann trägt der Hund sein Kopfhalfter so selbstverständlich, wie die meisten Menschen ihre Brille.
Da sowohl das Tragen des Kopfhalfters selbst, als auch das richtige Leinenhandling geübt werden müssen, empfehle ich persönlich auf jeden Fall die Anleitung durch eine:n erfahrene:n Verhaltensberater:in. Diese:r sollte sich, was die Verwendung eines Kopfhalfters betrifft, den Prinzipien verpflichtet fühlen, die ich hier in diesem Artikel genannt habe.
DAS WICHTIGSTE NOCHMAL IM ÜBERBLICK
- Das Kopfhalfter dient nicht dazu dem Hund Leinenführigkeit beizubringen oder um damit den Blickkontakt zu potentiellen Auslösern zu unterbrechen, indem man an dem am Kopfhalfter befestigten Ende der Leine zieht.
- Ein Kopfhalfter sollte ausschließlich eingesetzt werden, um einen großen, schweren Hund in kritischen Situationen sicher festhalten zu können.
- Das Tragen eines Kopfhalfters muss kleinschrittig und belohnungsbasiert mit dem Hund trainiert werden, so dass er es ganz selbstverständlich trägt, wie die meisten Menschen ihre Brille.
- Die Leine darf niemals ausschließlich am Kopfhalfter befestigt werden; es muss immer eine doppelte Führung mit Brustgeschirr sein.
- Bei Hunden bis zu einem Gewicht von ca. 35 kg ist die Verwendung eines Kopfhalfters in der Regel nicht notwendig; die doppelte Führung an einem perfekt sitzenden Doppel-X- oder Sicherheitsgeschirr ist meistens ausreichend.
- Am Kopfhalfter wird NIEMALS AKTIV gezogen. NIEMALS.
- Sowohl für das Führen am Kopfhalfter als auch die doppelte Führung am Brustgeschirr mit Brustring ist ein sehr gutes Leinenhandling notwendig.
- Die Leine muss an beiden Enden rechtzeitig so kurz genommen werden, dass der Hund keinerlei Anlauf nehmen oder Schwung entwickeln kann, um das Verletzungsrisiko zu minimieren.
Mein besonderer Dank geht an Martina mit ihrem verstorbenen Neo und Heike mit meinem Lieblings-Weiler Bertl. Danke, dass ihr euch zeigt und dass ihr euren Hunden solch wunderbare Bezugspersonen seid.
(Beitrag aktualisiert: Juli 2023)