Das Kleingedruckte in der Körpersprache des Hundes, DVD von Dr. Ute BlaschkeBerthold
Dr. Ute Blaschke-Berthold, Tiertraining.tv
Unser Gehirn ist, etwas provokant ausgedrückt, eine Interpretations- und Weltvereinfachungsmaschine. Das ist mir nach meinem Psychologiestudium an der Universität Zürich klar geworden. Wir sehen die Welt nicht, wie sie ist, sondern wie sie unser Hirn gemäß unseren Sinnesleistungen, Vorerfahrungen, Vorurteilen und Kategorien rekonstruiert. Da es aber der einzige Zugang zur Welt ist, sind wir uns dieser Verzerrung nicht bewusst.
In der empfehlenswerten DVD über „Das Keingedruckte in der Körpersprache des Hundes“ von der Biologin Dr. Ute Blaschke-Berthold geht es darum, wie wir trotz diesen Einschränkungen zu einer möglichst realitätsnahen Interpretation des Hundeverhaltens kommen.
Der erste Teil der DVD dreht sich vor allem darum, den Zuschauer zu schulen, nicht mit Interpretationen und vorgefertigten Meinungen ins Feld zu schießen (z.B. „Der Hund hat Freude.“ oder „Dieser Hund hat Angst.“), sondern objektiv zu beschreiben, was man sehen kann (z.B.: „Der Fang ist geschlossen und die Maulspalte ist nach hinten gezogen.“ oder „Die Rute ist oberhalb der Rückenlinie.“). Denn diese Fertigkeit muss man gezielt trainieren, damit möglichst viele Informationen in kurzer Zeit neutral wahrgenommen werden können. Dies ist bildet die Grundlage, um Verhalten in seinem Kontext zu verstehen, zu interpretieren und optimal zu interagieren.
Hunde kommunizieren mit sehr feinen Körperveränderungen, bevor sie „großgedruckt“ werden müssen, also knurren, bellen, Zähne fletschen und dergleichen mehr. Es ist unsere Aufgabe, uns darin zu schulen, die kleingedruckten Signale zu erkennen. Dann können wir dem Hund das Großgedruckte ersparen, sofern dieses für den Hund stressig oder für die Umwelt gefährlich werden könnte. Dies bedingt eine geschulte Beobachtungsgabe, Wissen und auch Empathie und sowie Bauchgefühl.
Außerdem gefiel mir, dass die Referentin darauf hinwies, die Dinge immer im Kontext und im Gesamten (Display) zu betrachten. So kann das gleiche Signal, je nachdem mit welchen anderen Signalen oder in welchem Kontext es auftritt, unterschiedliche Bedeutungen haben und es gibt auch Veränderungen am Hundekörper, die nichts mit Kommunikation zu tun haben. Sie spricht sehr klar und gut verständlich. Illustriert wird alles anhand von Bildern und Filmen.
Für mich persönlich habe ich auch einiges aus der DVD entnehmen können. So ist es sicher richtig, dass gewisse Hundetypen auf andere Hunde bedrohlich wirken, auch wenn sie nicht drohen wollen. Das Paradebeispiel ist wohl der Mops, der mit starrenden Glubschaugen, vorstehenden Zähnen, gefaltener Haut im Gesicht und röchelndem Atem auf andere Hunde bedrohlich wirken kann.
Mein Scottish Terrier-Rüde hat von Natur aus eine sehr hochgetragene Rute, Stehohren und den typischen Terriergang. Wahrscheinlich haben andere Hunde häufiger angespannt auf ihn reagiert, auch wenn er freundliche Absichten hatte. Da er enorm sensibel ist, hat er schnell gelernt, dass es zu Anspannungen kommt mit anderen Hunden. Nun neigt er stark zum Freezing und Fixieren von anderen Hunden. In der DVD konnte ich noch mehr Tipps entnehmen, wie ich meinem Hund helfe, aus dem Freeze zu kommen und dadurch auch den anderen Hund beruhige.
Besonders wertvoll waren für mich die Erläuterungen der Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Phänotypen. Woran erkennt man den inneren Zustand eines Hundes, der über und über mit Fell zugewachsen ist oder eine Ringelrute und Stehohren hat.
Hier noch eine praktische Übung zum Abschluss. Wie sollte man vorgehen, wenn man folgende zwei Bilder sieht? Das zweite Bild entstand drei Sekunden nach dem Ersten. In einem ersten Schritt erfolgt eine möglichst neutrale Beobachtung der Szene:
Der Scottish Terrier steht rechtwinklig zum Kelpie und hat den Körperschwerpunkt nach vorn gelagert. Die Ohren sind aufrecht, aber das rechte Ohr geht leicht zur Seite. Der Blick geht in Richtung des anderen Hundes, die Rute ist aufgerichtet und oberhalb der Rückenlinie. Das Fell ist glatt.
Der Kelpie liegt auf dem Rücken, wendet den Kopf ab und der Blick geht weg vom anderen Hund. Das rechte Ohr folgt der Schwerkraft oder wird nach hinten gezogen – ist also nicht aufgerichtet. Man sieht ein kurzes, gerades Züngeln, die Pfoten sind angewinkelt.
Der Scottish Terrier befindet sich näher am Kelpie, der Körperschwerpunkt liegt etwas weiter hinten als beim ersten Bild. Ohren und Rute aufgerichtet, glattes Fell – Der Blick ist nicht ersichtlich, aber wahrscheinlich geht er in Richtung des anderen Hundes.
Der Kelpie hat seinen Oberkörper nun zur Seite vom anderen Hund weggedreht. Der Fang ist geschlossen, man sieht ein bisschen vom Weiß des einen Auges. Die Pfoten sind angewinkelt und der Blick vom anderen Hund abgewandt.
In einem nächsten Schritt integriere ich die Kontextinformationen. Der Scottish Terrier Flash ist mein Hund, ein damals unkastrierter Rüde in seinem Zuhause. Der Kelpie ist eine Junghündin zu Besuch. Wenn ich eine Interpretation wage – natürlich ohne Garantie auf Wahrheit: Der Scottish Terrier-Rüde verhält sich freundlich, aber für die Hündin in etwas aufdringlicher Weise. Darum zeigt sie Konfliktzeichen mit Abwenden des Kopfes und züngeln. Als er trotzdem noch näher kommt, wendet sie den ganzen Brustkorb ab und das Weiß in den Augen kann entweder physikalische Ursachen haben durch die Bewegung des Kopfes am Boden oder aber Ausdruck von erhöhter Erregung sein. Da die beiden Hunde nicht eng vertraut sind, könnte man den Rüden wegrufen.
In der DVD wurde auch thematisiert, in welcher Situation ein Eingreifen nötig wird. Dies ist eine schwierige Frage und kann nicht mit einem einfachen Rezept beantwortet werden. Hierfür muss man die Situation, die Individuen und das Verhalten beurteilen. Geht man immer dazwischen, ist dies nicht konstruktiv für das Entwickeln der Sozialkompetenz des Hundes. Wenn diese beiden Hunde zusammenleben würden, könnte man warten und schauen, ob die Kelpiehündin dem Rüden selber zeigen kann, bis wann sie seine Flirts toll findet. Die Kelpiehündin mag seit ihren Ferien bei uns übrigens kleine Hunde besonders gern und verhält sich ihnen gegenüber sehr rücksichtsvoll. Aber man sollte sich auch immer überlegen, was der Hund in der aktuellen Interaktion mit dem anderen Hund gerade lernt – z.B. dass es vielleicht Spaß macht einen unsicheren Hund über die Wiese zu verfolgen und zu mobben? Das sollte natürlich nicht das Ziel sein. Ich versuche eine Situation dann zu entschärfen, wenn ich meine, dass ein Hund sich sehr unwohl, verängstigt oder gestresst fühlt. Ebenso, wenn sich Dynamik oder Anspannung breit macht und deswegen bald mit „großgedrucktem“ Verhalten zu rechnen ist.
Was mir gefehlt hat in der DVD, sind Hinweise auf wissenschaftliche Quellen. Aufgrund des fachlichen Hintergrundes der Referentin zweifle ich nicht an der Seriosität der Aussagen, aber es würde mich interessieren, ob/welche Studien es gibt, die die durchwegs plausiblen Erläuterungen bestätigen.
Bei meinen philosophischen Studien an der Universität war wenig so klar, wie die Tatsache, dass wir in unserer Subjektivität gefangen sind. Unsere Standortgebundenheit verhindert es, die Gedanken und Gefühle anderer Menschen oder gar Tiere (es gibt ja zum Glück auch einige Philosophen, welche Tieren Gedanken und Gefühle zugestehen…) mit Sicherheit und völliger Wahrheit beschreiben zu können (Problem des Fremdseelischen). Man sollte deswegen aber nicht resignieren, sondern sich bei der Interpretation von Verhalten bewusst sein, dass es auch anders sein könnte. Jedoch sind wir durch unsere evolutionäre Nähe zu Säugetieren, unsere lange Koevolution mit Hunden, durch unsere Empathiefähigkeit, Intuition, antrainierte Beobachtungsgabe und dem angeeigneten Wissen zu guten prädiktorischen Leistungen fähig. Wir können, wenn gut geschult, das Verhalten der Hunde interpretieren lernen und eine zutreffende Einschätzung des zukünftigen Verhaltens aufstellen, was der Hund als nächstes tun wird. Dies zeigt, dass unsere Interpretationen nicht die Falschesten sein können.
Fazit:
Das Ziel der Weiterbildung im Kleingedruckten der Körpersprache sollte sein, eine harmonischere Beziehung zum Hund zu entwickeln und ihm zu einem möglichst erfüllten Sozialleben zu verhelfen. Auf diesem Weg ist dieser DVD eine sehr empfehlenswerte Unterstützung – und ein absoluter Easy Dogs Insidertipp!
VERLAGSINFO:
- Hier kaufen
- Autorin: Dr. Ute Blaschke-Berthold
- Verlag: Dreh-Punkt
- 330 Minuten
- Sprache: Deutsch
- ASIN: 3943892018
- Preis: 34,90 €
Beobachten und Interpretieren der Körpersprache des Hundes ist die Schlüsselqualifikation für jeden, der seinen Hund verstehen möchte. Verständnis ist hierbei nicht netter Selbstzweck, sondern Grundlage für eine erfolgreiche Erziehung und Führung jeden Hundes. Die Körpersprache des Hundes ist schön, komplex und enthält Unmengen an kleingedruckter Information. Es ist gerade dieses Kleingedruckte, das die großen Signale abändert, schwächt, verstärkt und betont.
Lange bevor ein Hund für uns deutlich reagiert, hat er im Kleingedruckten gezeigt, ob er meiden oder angreifen, in welche Richtung er sich wenden, in welches Körperteil er beißen und wie stark er reagieren wird. Wir hätten viel Zeit, um in den verschiedensten Situationen rechtzeitig zu reagieren. Wir hätten so viel Zeit, dem Hund Alternativen zu Angst und Aggression zu zeigen, würden wir dem Kleingedruckten die Bedeutung beimessen, die es hat. Das Kleingedruckte, das sind Geschwindigkeit, Amplitude und Geometrie von Bewegungen. Das Kleingedruckte, das sind winzige Veränderungen der Kopf- und Augenbewegungen, der Atmung und der Spannung einzelner Muskelgruppen. Es erwarten Sie Fotos, Videos, Beobachtungsübungen und spannende Vortragseinheiten.