Herausforderung Jugendentwicklung und Pubertät
Jede Phase im Leben eines Hundes hat so ihre Besonderheiten und Herausforderungen.
Die meisten Menschen stellen sich die Welpenzeit total schön vor und werden dann von messerscharfen kleinen Welpenzähnchen ziemlich hart auf den Boden der Tatsachen geholt. Mehr dazu hier.
Wenn es um Junghunde geht, dann ist es oft andersherum: Von allen Seiten wird man gewarnt: “Warte nur, wenn der erst in die Pubertät kommt.” Oder: “Das ist ein Junghund, der testet seine Grenzen, da musst du jetzt richtig konsequent sein, dem darfst du gar nix durchgehen lassen.” Unterschwellig schwingt da oft die Drohung mit, dass die Junghundezeit etwas ganz Furchtbares ist und dass man echt richtig aufpassen muss, dass man am Ende keinen totalen Problemhund daheim sitzen hat, der die gesamte Familie tyrannisiert… Kommt mir irgendwie bekannt vor. Sprechen Erwachsene nicht auch oft so von Jugendlichen? Woher kommen also diese Aussagen? Ein Körnchen Wahrheit steckt ja immer irgendwo drin, oder?
Die Jugendentwicklung ist tatsächlich eine spezielle Lebensphase des Hundes, weil zwei ziemlich dramatische Sachen gleichzeitig passieren:
- Die Hunde kommen in die Pubertät und erreichen die Geschlechtsreife. Sexualhormone beeinflussen das Verhalten des Hundes.
- Das Gehirn unterliegt starken Veränderungen.
Diese beiden Faktoren sind es, die das Leben mit einem Junghund teilweise wirklich zur Herausforderung, ja manchmal sogar zur Belastung werden lassen.
Aber schauen wir uns das Ganze mal etwas genauer an.
Die Jugendentwicklung beginnt ungefähr mit dem Zahnwechsel des Welpen. Spätestens, wenn der Zahnwechsel abgeschlossen ist, spricht man nicht mehr vom Welpen, sondern vom Junghund.
Der erste Abschnitt der Jugendentwicklung ist die Pubertät. Sie umfasst die Veränderungen, die der Hund durchläuft bis zur Geschlechtsreife. Bei Hündinnen ist das Erreichen der Geschlechtsreife leicht zu erkennen: Die erste Läufigkeit. Bei Rüden kann man leider nicht so ohne Weiteres feststellen, ob sie schon zeugungsfähig sind. Oft wird das Beinheben beim Pieseln als Indikator herangezogen. Jedoch muss ein Rüde nicht unbedingt das Bein heben, um geschlechtsreif zu sein, und umgekehrt gibt es sicher auch Rüden, die zwar das Bein heben, aber noch nicht in der Lage sind, Welpen zu zeugen.
Mit Erreichen der Geschlechtsreife ist die Pubertät abgeschlossen. Verhaltensprobleme oder Besonderheiten, die sich danach zeigen, sind also streng genommen keine Pubertätsprobleme mehr, sie zählen einfach zu dem, was eben die gesamte Jugendentwicklung so mit sich bringt. Wie wir alle wissen, sind geschlechtsreife Säugetiere noch lange nicht erwachsen – man muss sich nur mal 13-, 14-jährige Mädels und Jungs anschauen. In der Lage, Eltern zu werden? Ja, sicher. In der Lage, auch gute Eltern zu sein? Wohl eher weniger, denn sie sind ja selber noch halbe Kinder.
Bei Hunden ist das ganz genauso. Der Reifeprozess vom Kind, zum Jugendlichen, zum jungen Erwachsenen bis hin zum körperlich und mental wirklich ausgereiften Erwachsenen zieht sich eine ganze Weile hin.
Je nachdem in welches Buch man schaut, steht da oft, dass kleine Rassen mit ca. zwei bis zweieinhalb Jahren erwachsen sind, größere Rassen oder Spätentwickler aber durchaus auch bis zu drei oder dreieinhalb Jahren brauchen. Ich persönlich mache immer wieder die Feststellung, dass viele Hunde, egal ob groß oder klein, sogar erst im Alter von vier Jahren wirklich erwachsen sind. Woran ich das festmache, wird klar, wenn wir uns anschauen, was den typischen Junghund ausmacht.
Viele Junghunde haben ihre Endgröße mit etwa einem Jahr erreicht, danach kommt meistens nicht mehr viel. Allerdings nimmt im Verlauf der Jugendentwicklung die Muskelmasse zu und bei hundegerechter Bewegung entwickeln sich auch die motorischen Fähigkeiten immer mehr. Aus dem schlaksigen Spargeltarzan wird mit der Zeit ein stattlicher Rüde oder eine ansehnliche Hündin. Neben den körperlichen Veränderungen sind die Verhaltensveränderungen wohl das Auffälligste während der Jugendentwicklung und auch das, was uns vor die größten Herausforderungen stellt.
Der junge Hund kann auf einmal nicht mehr gut alleine bleiben, er hört nicht mehr so gut, hat “Watte in den Ohren”, entfernt sich draußen weiter von uns und auf einmal wird Jagdverhalten ein Thema. Umweltreize werden interessanter, gleichzeitig reagiert der Junghund aber auch schneller und heftiger auf sie. Auch das Verhalten anderen Hunden gegenüber verändert sich. Das Spielverhalten wird selektiver und es kann zu Streitereien mit anderen Hunden kommen.
All das ist nur einem anzulasten: Dem Gehirn des jungen Hundes. Er kann nichts dafür, rein gar nichts. Er ist Opfer seines eigenen Gehirns.
Entscheidende Veränderungen im Gehirn sorgen dafür, dass der Junghund sich verhält, wie er sich verhält:
- Der „psychologische Wachtposten“ oder auch die „Alarmanlage“ des Gehirns, die sogenannte Amygdala, ist super-scharf gestellt. Sie ist Teil des limbischen Systems, mitzuständig für emotionale Bewertungen von Reizen und Situationen und der Analyse von Gefahren. Während der Jugendentwicklung ist sie vergrößert und deutlich leichter erregbar als im Welpen- oder später im Erwachsenenalter. Das Gehirn des jungen Hundes sortiert entsprechend viel mehr Reize als potentiell gefährlich ein und Angst wird schneller und leichter ausgelöst.
- Der „denkende Teil“ des Gehirns, das Vorderhirn, der zuständig ist für rationales, problemlösendes Denken, funktioniert während der Jugendentwicklung nur eingeschränkt. Er reift erst spät aus und verkleinert sich während der Jugendentwicklung sogar. Neuronale Schaltkreise werden umgebaut, Wahrnehmung, Gedächtnis und Konzentrationsfähigkeit sind dadurch beeinträchtigt.
- Die Botenstoffe im Gehirn tanzen Samba: Insbesondere der Neurotransmitter Dopamin macht dem Junghund zu schaffen. Während der Jugendentwicklung sind mehr Rezeptoren für Dopamin im Gehirn vorhanden, die außerdem empfindlicher sind, als in anderen Lebensphasen. Dopamin sorgt für gesteigerte Neugier und eine erhöhte Risikobereitschaft.
Wir haben es also mit einem Lebewesen zu tun, das wegen seiner Alarmanlage im Gehirn deutlich schneller in Aufregung, Angst und Stress gerät und deutlich emotionaler reagiert, gleichzeitig aber nur eingeschränkt auf sein Vorderhirn zugreifen kann, um Situationen rational-sachlich zu betrachten und das sich noch dazu selber dauernd in Situationen bringt, die es nicht wirklich bewältigen kann, weil das Dopamin es dazu anstiftet. Das erklärt dann auch, wieso die Mülltonne auf einmal ein grässliches Monster ist, das heftigst ausgebellt wird, warum der Hund auf einmal auf fremde Menschen reagiert, obwohl das bisher nie ein Thema war, warum Hundebegegnungen nicht mehr so easy sind wie früher und warum es mit dem Alleinebleiben vielleicht nicht mehr so gut klappt.
Wichtig ist: Ein Junghund braucht jetzt nicht mehr Grenzen oder Konsequenz. Was der junge Hund braucht, ist ein Mensch, der versteht, was da eigentlich los ist, der die Bedürfnisse und die Tagesform seines Hundes gut einschätzen kann und ihm in dieser schwierigen Zeit Halt und Sicherheit gibt.
Ein bedürfnis- und bindungsorientierter Umgang hat oberste Priorität, wenn der junge Hund zu einem gelassenen, erwachsenen Hund werden soll, der sich gerne an seinem Menschen orientiert, gerne mit ihm kooperiert und ihm vertraut.
Wie das im Alltag aussehen kann, liest du hier.
(Beitrag aktualisiert: 13. Februar 2024)