Erwartung und Mindset: „Der Hund weiß schon, was ich von ihm will…“
Viele Hundehalter:innen erwarten von ihren Hunden, dass sie menschliche Gedanken lesen können. Das glauben Sie nicht? Wir Hundehaltende würden das so auch nie zugeben. Dennoch wünschen wir uns viel häufiger reibungsloses “Funktionieren” von unseren Hunden, als uns bewusst ist. In diesem Beitrag geht es bei der Hundeerziehung um die innere Einstellung, bewusste und unbewusste Erwartungshaltungen und unser Mindset.
Wir erkennen unsere Erwartungshaltung erst, wenn wir einen Hund haben, der uns vor ungewohnte Herausforderungen stellt. Erst dann sind wir gezwungen, unser eigenes Verhalten kritisch zu hinterfragen. Oder wir wären es. Ein paar Gedanken zu unseren Erwartungen (an Trainingsmethoden, an die Wirksamkeit unserer Handlungen…) und die menschliche Genauigkeit möchte ich in diesem Beitrag aufgreifen.
Oft sind wir hinsichtlich unserer Erwartungen zu ungeduldig bzw. zu unstrukturiert, viel zu global. Fehlverhalten wird schnell benannt. Aber wie oft benennen wir Wunschverhalten? „Der Hund soll nicht zu Jogger:in rennen“ – was soll er dann machen? Sitz? Darf er schnüffeln gehen? Normal weiterlaufen oder am Rand laufen, in 2 m Abstand laufen, Fuß laufen, auf der der Jogger:in abgewandten Seite laufen? Wie soll der Hund das Konzept „alles nur nicht die Radfahrende Person jagen“ für sich umsetzen können?
Lernen von Signalen bzw. eines Alternativverhaltens
Und so geben Hundehaltende leider oft auf, weil Ziele nicht klar definiert werden. Als nächsten Schritt stellt man dann gern die Lehrmethode oder die Kompetenz in Frage – die eigene wie die der Trainer:in.
Zunächst müssen wir uns einige generelle Aspekte verdeutlichen. Da ist erstens die Methodik, wie wir dem Hund etwas vermitteln. Manche gehen sehr strukturiert im Sinne eines Trainingskonzeptes vor. Andere machen das „irgendwie“, immer mal so, wie es gerade passt. Dann ist es am Hund, in der Menge von Signalen, die wir ständig senden, diejenigen zu erkennen, die ihm weiterhelfen. Wir helfen dem Hund mit klaren, gleichbleibenden Signalen, die ihm zunächst vermittelt werden müssen. Wir arbeiten also zuerst an uns selbst.
Trainingshäufigkeit
Der zweite Aspekt ist die Trainingshäufigkeit. Diese ist oft falsch dosiert. Statt „wir üben jetzt mal eine Stunde auf dem Hundeplatz“ übt man besser häufig in kurzen Sequenzen und vielen verschiedenen Situationen. Das erfordert wesentlich mehr Selbstdisziplin. Letztendlich ist Anstrengungsvermeidung aber ein biologisches Programm, welches uns an vielen Stellen hilft.
Fragen Sie sich auch, warum das Verhalten des Hundes geändert werden soll. Wenn Sie die Änderung für sich selbst wollen, werden Sie sicher konsequenter sein, als wenn Sie die Änderung innerlich ablehnen (Z.B.: Sie möchten den Hund auf dem Sofa haben, die Partner:in aber nicht.)
Verhaltenshistorie
Besteht ein Problem schon seit längerem (oder zeigt es sich häufig), wird es uns und auch dem Hund schwerer fallen, das Verhalten zu ändern. Das geht uns Menschen ähnlich, Raucher:innen sind da ein guter Vergleich: Wer wird eher zur Nichtraucher:in – jemand, der seit 20 Jahren täglich viel raucht, oder eine Gelegenheitsraucher:in?
Angst und Stress erschweren das Lernen
Bis ein neues Verhalten etabliert ist, vergeht auch mit häufiger Übung Zeit. Verhalten, das der Hund in ruhigen Situationen zeigt, kann unter Stress eventuell nicht abgerufen werden. Wir Menschen neigen dann gelegentlich zu dem Satz: „Der kann das aber.“ In Lernsituationen unter Angst und Stress lernt der Hund nicht das gewünschte Verhalten, sondern er lernt, dass er diese Situationen meiden möchte.
Rahmenbedingungen
Ein älterer Hund benötigt möglicherweise etwas länger zur Verhaltensänderung als ein junger Hund. Hunde, die hyperaktiv sind oder reizdepriviert aufwuchsen, benötigen gegebenenfalls auch mehr Zeit für eine Verhaltensänderung. Hier ist Geduld von uns Menschen gefragt, möglicherweise müssen wir auch unsere Strategien verändern, um Erfolg zu haben.
Hunde, die mit einer Erkrankung zu kämpfen haben oder unsicher sind, können ebenfalls in der Ausführung des gewünschten Verhaltens eingeschränkt sein. Man sollte die Motivationslage des Hundes im Blick haben: Was möchte mein Hund in diesem Moment. Ein Hund, der vor einem Angstauslöser fliehen möchte, wird möglicherweise das geforderte „Sitz“ nicht ausführen wollen und können.
Der Weg zur Zielerreichung
Fragen Sie sich auch, ab wann Sie merken würden, dass ein Verhalten sich geändert hat. Woran machen Sie das fest? Ab wann bemerken wir Veränderungen? Was ist für mich persönlich eine Veränderung? Was wäre anders, wenn das Problemverhalten wegfällt? Was passiert mit Ihnen, wenn das Problemverhalten/das unerwünschte Verhalten nicht mehr auftaucht?
Bevor wir uns nun an eine mögliche Vorgehensweise heranwagen, ein Modell aus der Psychologie. Ein Herr Ebbinghaus hat sich damit beschäftigt, wie Lernen in zeitlicher Hinsicht funktioniert. So hat er sich systematisch dem Lernen und Vergessen angenähert.
Im Wesentlichen gibt es zwei Wege:
Einmal am Anfang schneller Wissenszuwachs und dann immer weniger. Andererseits verläuft es genau anders herum: Der Anfang ist schwer, aber dann funktioniert es immer besser. Beide Formen können bei unserem Hund funktionieren, je nach Vorgehensweise, Fähigkeiten, Möglichkeiten. Letztendlich bleibt das Zusammenspiel zwischen dem Hund und seinem Menschen immer individuell. Wichtig ist und bleibt, dass wir auch kleine Erfolge erkennen müssen und uns auch gebührend darüber freuen dürfen.
Widmen wir uns aber nun einem konkreten Beispiel. Unser Hund soll aufhören, Radfahrende zu jagen. Die Vorgehensweise lässt sich auch auf jede andere Situation übertragen. Um sich das Vorgehen deutlich zu machen, kann man sich eines weiteren Modells aus der Psychologie bedienen. Interessanterweise stammt dieses Modell aus dem Projektmanagement und ist ein hilfreiches Instrument in der Mitarbeiterführung. Mit unserem Mitarbeiter Canis lupus familiaris starten wir also das Projekt „Radfahrende wollen leben“.
Ich unterstelle unserem fiktiven Hund-Mensch-Team, dass die Bezugsperson mit folgendem Satz bei der Hundetrainer:in anruft: „Also wissen Sie, ich möchte einfach, dass der Hund keine Radfahrende Personen mehr jagt“. Wir haben also das Problem, dass der Hund das anscheinend praktiziert, in einer Häufigkeit oder Intensität, die die Hundehalter:in bewegt, jetzt Geld in die Hand zu nehmen.
Nun ist „Ich will nicht mehr, dass der Hund das macht“ kein Ziel. Das ist ein Wunsch. Ziele lassen sich nach folgendem Modell beschreiben:
Spezifisch
Beschreiben Sie Ihr Ziel so genau wie möglich: Mein Hund soll im Freilauf jedes Mal, wenn eine Radfahrende Person am Horizont auftaucht, zu mir kommen und sich vor mich setzen. Ein anderes Wort für spezifisch wäre simpel: Radfahrende Person gesehen = Sitz. Ein unspezifisches Ziel wäre: „Na das kommt drauf an, wenn der Radfahrende langsam fährt oder keine grüne Jacke anhat, dann reagiert er ja nicht, da darf er dann weiterlaufen…“
Messbar
Verwandeln Sie Ihr Ziel in messbare Teilschritte. Je nach Vorgehen beim Training. Benennen Sie notwendigerweise Zwischenziele. Das kann Abruf auf Entfernung sein, Blickkontakt bei Radfahrendensichtung. Je kleiner die Zwischenziele, desto leichter lässt sich daran arbeiten. Und desto eher sehen Sie Erfolge.
Attraktiv
Das Ziel muss Ihnen etwas bringen. Sie müssen selbst damit einverstanden sein. Wägen Sie auch ab, welche positiven Aspekte wegfallen, wenn sich das Verhalten ändert.
Realistisch
Hinterfragen Sie bitte genau, ob das Ziel für Ihre Situation und Ihren Hund realistisch ist. Möglicherweise ist ein Spaziergang an einer Schleppleine realistischer als Freilauf.
Terminiert
Benennen Sie einen Zeitpunkt, an dem Sie das Problem gelöst haben oder Fortschritte erzielt haben wollen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Sonst wird das Projekt „Radfahrende Personen wollen leben“ eine frustrierende Lebensaufgabe. Ein Endpunkt muss nicht das perfekte Ergebnis bringen. Aber er bringt Ihnen eine Rückmeldung, ob Sie sich auf dem richtigen Weg befinden. Möglicherweise müssen Sie ihr Vorgehen verändern oder noch kleinschrittiger arbeiten.
Eine wesentlich konkretere Aussage als „Ich möchte, dass er keine Radfahrende Personen mehr jagt“ wäre also folgende: „Ich möchte erreichen, dass mein Hund bis Ende Oktober jedes Mal, wenn ein Radfahrender im Sichtfeld auftaucht, zu mir schaut“. Wie umsetzbar das ist, müssen Sie entscheiden oder mit Ihrer Trainer:in besprechen. Die genaue Planung, bis irgendwann Ihr selbst bestimmtes Ziel umsetzbar ist, können Sie auch abstimmen, wenn Sie sich unsicher fühlen.
Generell hilft es gut, wenn der Anfangszustand auf einem Video festgehalten wird. Dokumentieren Sie auch zwischendurch Trainings. Anhand von Videos lässt sich Verhalten optimal auswerten, das Ihre und auch das des Hundes.
Probieren Sie es aus und setzen Sie sich SMARTe Ziele.
Viel Erfolg wünsche ich Ihnen dabei!
(Beitrag aktualisiert: Juni 2024)