Einfache Übungen, um die eigenen Ängste, Ärger oder Scham zu verringern und damit unseren Hunden in Alltagssituationen zu helfen
Vielleicht kennen auch Sie die Situation: Ihr Hund begegnet einem speziellen Nachbarshund und er führt sich auf, als wäre er der Hund von Baskerville. Oder Ihr Hund möchte jedem Radfahrer hinterherjagen und ist an der Leine kaum noch zu halten. Auch Hunde die Kinder oder andere Personengruppen anbellen, bereiten ihren Halter:innen meist schwierige Zeiten.
Es lässt uns ärgerlich werden, wenn der Hund Verhaltensweisen zeigt, die nicht ganz in unser eigenes Konzept passen. Besonders extrem ist es, wenn wir uns durch sein Verhalten selbst hilflos einer Situation ausgesetzt fühlen und dabei Unsicherheit oder sogar Angst erleben. Zum Glück gibt es viele einfache Methoden, um an eigenen Ängsten und Unsicherheiten etwas zu verändern.
Als Erstes ist es wichtig, neutrales Beobachten und Wahrnehmen zu lernen. Moshe Feldenkrais sagt: “Wenn du weißt, was du tust, kannst du tun, was du willst!”
Daher beginnt jede Veränderung mit dem Bewusstsein für den Ist-Zustand.
Nur wenn Sie sich bewusst sind, wie Sie reagieren, können Sie diese Reaktion verändern.
Die Verhaltensweise unseres Hundes, die uns unglücklich macht, gilt es möglichst detailliert zu beobachten und neutral zu beschreiben. Dabei beginnt das Beobachten damit, dass der Hund nicht so oder so IST, sondern sich lediglich in bestimmten Momenten so oder so VERHÄLT.
Es macht einen großen Unterschied, wenn für mich klar ist, dass er sich z.B. aggressiv oder ängstlich in spezifischen Situationen zeigt und nicht aggressiv oder ängstlich ist.
(Wie Ihr Hund sich fühlt, können Sie an seiner Körpersprache erkennen. Dazu ist es wichtig zu sehen, was er mit seinen Ohren, seiner Rute und seinem gesamten Körper in der Situation macht. Schön wäre es auch sein Gesicht zu sehen, doch das ist in diesen Situationen leider nur selten möglich.)
Denn habe ich einen aggressiven oder ängstlichen Hund, dann ist das ein Label, was sich nur sehr schwer wieder beseitigen lässt. Aggressives oder ängstliches Verhalten in bestimmten Momenten lässt mich weiter meinen Hund lieben und mich darauf konzentrieren, dieses Verhalten in diesen Situationen zu ändern. Das bedeutet: Wenn mir bewusst ist, dass mein Hund nicht grundsätzlich ängstlich oder aggressiv handelt, fällt es mir wesentlich leichter, mich auf die Situation zu konzentrieren.
Dabei geht es mir auch gar nicht darum meinen Hund zu ändern, sondern ihm bestmöglich dabei zu helfen, gelassener durchs Leben zu gehen. Denn auch für unseren Hund ist das Leben angenehmer, wenn es friedlich abläuft.
Nachdem Sie sein Verhalten beobachtet haben folgt der zweite Schritt, der da lautet: Beobachten Sie sich selbst wie Sie in dieser Situation reagieren? Je detaillierter Sie es schaffen, sich Ihr eigenes Verhalten bewusst zu machen, desto leichter ist es dieses Verhalten zu ändern. Versuchen Sie sich einen Spaß daraus zu machen, möglichst viele Details wahrzunehmen. Je mehr Sinneseindrücke Sie wiedergeben können, umso besser. Dann werden Sie sicherlich von Mal zu Mal besser darin werden.
An dieser Stelle möchte ich zur Verdeutlichung ein Beispiel anbringen: Ein Hund hat sich angewöhnt einen Nachbarshund anzubellen. Dabei ist es egal, ob er dem Hund auf der Straße begegnet oder dieser sich auf seinem umzäunten Grundstück befindet. Als nun Frauchen sich die Aufgabe stellt, das Verhalten ihres Hundes genau zu beobachten, fällt ihr auf, dass ihr Hund erst bellt, wenn sich der Hund auf 20 m genähert hat, obwohl er ihn vorher schon sehen konnte.
Dann fällt ihr auf, dass meistens der andere Hund beginnt und ihr eigener nur reagiert.
Außerdem bellt ihr Hund etwas höher, wenn er dem anderen Hund auf der Straße begegnet, als wenn er diesen hinter dem Zaun erblickt. So fallen ihr nun immer mehr Dinge auf, die dabei helfen, die Situation neutral zu betrachten, was dabei hilft gelassen mit ihr umgehen zu können.
Nun beginnt die Hundehalterin mit der zweiten Stufe des Beobachtens. Da der Nachbarshund nur drei Häuser weiter lebt, merkt sie bereits beim Anleinen ihres Hundes, noch im eigenen Hausflur stehend, wie ihre Gedanken beginnen sich auf eine eventuelle Begegnung zu konzentrieren. Sie realisiert, wie ihre Atmung etwas schneller geht und sie schon jetzt etwas hektisch und ungehalten wird. Ihre Hand krampft sich um die Leine und sie herrscht ihren Hund an bei ihr zu bleiben, obwohl dieser bisher nur die Nase aus der Tür gestreckt hat. Als es nun tatsächlich wieder zu der Situation kommt, dass ihr eigener Hund bellend zu dem anderen hinlaufen möchte, realisiert Frau P., dass ihre Aufmerksamkeit zu 90% bei ihrem Hund ist.
Es wurden gute Tiertrainer befragt mit wie viel Prozent Aufmerksamkeit sie bei sich und ihrem jeweiligen Tier sind. Dabei hat es sich herausgestellt, dass herausragende Tiertrainer mit 70 – 80% ihrer Aufmerksamkeit bei sich selber sind.
Die meisten Hundehalter gestehen, dass sie zu 90 – 100% bei ihrem Hund sind, wenn dieser sich gerade in einer schwierigen Situation befindet. (Persönliche Erfahrung)
Das bedeutet, dass zu Anfang der “worst case”, also der Zusammenstoß mit dem anderen Hund, möglichst mal für eine Zeit vermieden werden sollte. Die eigene Wahrnehmung sollte langsam und schrittweise zu dem Endziel geführt werden. Daher wird mit den Übungen dort begonnen, wo es noch möglich ist, sich selber zu spüren. Bis Sie dann irgendwann auch in den wirklich kniffligen Situationen bei sich bleiben können.
Spannend dabei ist, dass alleine das Bewusstsein für den Ist-Zustand bereits eine Änderung herbeiführt.
Falls doch wieder eine Situation eintritt, die einen selber aufregt oder gar ängstigt, dann ist die erste Maßnahme, die ergriffen werden sollte, tief auszuatmen. Würden alle Menschen tief ausatmen, wenn sie in schwierige Situationen geraten, dann würde es zu sehr viel weniger Auseinandersetzungen kommen. Den wenn wir tief ausatmen, dann signalisieren wir unserem Körper, dass alles in Ordnung ist. Außerdem haben wir einen Reflex, der uns wieder einatmen lässt, wenn wir sehr lange ausgeatmet haben. Damit haben wir erreicht, dass wir weiter atmen, was wiederum dem Hund signalisiert, dass die Situation gar nicht so schlimm sein kann. Dieses Ausatmen können wir noch mit einem leisen Ausatemgeräusch verbinden, da es uns dann noch bewusster wird. Es ist hilfreich das langgezogene Ausatmen zu üben. Eventuell jeden Morgen, bevor ich mit meinem Hund aus der Haustür trete, dann fängt der Spaziergang schon etwas entspannter an. Habe ich dieses langezogene Ausatmen oft genug gemacht, dann werde ich mich leichter daran erinnern, sollte ich mal in eine aufregende, ängstigende Situation geraten.
Eine zweite “Übung” ist zu singen, summen oder pfeifen. Das hört sich schon etwas albern an, doch es funktioniert sehr gut. Als ich in Dubai nepalesischen Hundepflegern dabei zusah, wie sie Hunde kämmten oder wuschen, die das nicht gewohnt waren und diese dementsprechend ängstlich reagierten, fiel mir auf, dass sie vielfach ein leises Lied sangen. Manchmal ist es auch in Gruselfilmen zu sehen, wie Menschen anfangen zu singen, wenn sie Angst verspüren. Tatsächlich hilft singen dabei, dass wir weiter atmen und uns weniger anspannen. Außerdem richten sich unsere Gedanken auf das Lied und somit lenken wir unsere Aufmerksamkeit um. Sicherlich wird der Eine oder Andere sich jetzt denken, dass es einen merkwürdigen Eindruck auf Außenstehende machen könnte, wenn wir plötzlich anfangen unseren Hunden etwas vorzusingen. Doch zum einen ist hierbei meine Prioritätenliste wichtig: Ist es mir wichtiger meine Angst zu mildern oder was irgendwelche Menschen von mir denken? Außerdem kommt es selbstverständlich auf die jeweilige Situation an, ob überhaupt andere Personen dabei sind und sicherlich ist es auch nicht unerheblich wie gut man singen kann. Den letzten Punkt habe ich nur im Spaß hinzugefügt. Das ist ja das Tolle an unseren Hunden, denen ist es egal wie schief wir singen, sie lieben uns weiterhin oder sogar noch mehr, weil wir ihnen vorsingen.
Ich habe mit einer guten Freundin gemeinsam eine Methode erschaffen, die “Hunde führen in Balance“ heißt. Dabei lehren wir sehr verschiedene Übungen, die dabei helfen in die eigene Balance zu kommen. Da Haltung jedes Individuums das Verhalten beeinflusst, ist es wichtig sich in die körperliche Balance zu bringen, um Ängsten und Aufregungen gelassener entgegentreten zu können. Um zu spüren, wie Haltung Verhalten beeinflusst, erkläre ich eine kurze Übung: Stellen Sie sich hin. Stellen Sie beide Beine zueinander, so dass Ihre Füße sich berühren. Drücken Sie die Knie durch. Nun lassen Sie Ihre Arme hängen und neigen ihren Kopf, so dass sie gen Boden schauen. Ihr Rücken ist dabei gerundet.
Jetzt stellen sie sich vor jemand würde etwas Bedrohliches zu Ihnen sagen. Wie würden Sie in dieser eingenommenen Haltung reagieren?
Schütteln Sie diese Pose etwas ab und nehmen eine neue Position ein. Dabei stellen Sie die Füße hüftbreit auseinander. Die Knie sind leicht gebeugt. Ihr Oberkörper und Ihr Kopf sind so aufgerichtet, dass Sie sehr entspannt nach vorne schauen können. Ihre Schultern sind entspannt, doch Ihre Arme hängen nicht besonders weit runter. Jetzt stellen Sie sich erneut vor, dass wieder jemand etwas Bedrohliches sagen würde. Würde Ihre Reaktion anders ausfallen?
Um diese gesunde Aufrichtung zu üben, gibt es aus “Hunde führen in Balance” die Krokodilschwanz-Übung. Bei der Krokodilschwanz-Übung wächst uns gedanklich in Verlängerung unserer Wirbelsäule ein Schwanz. Wem dabei Krokodile unsympathisch sind, der kann sich auch einen Pangolin-, Känguru- oder Drachenschwanz vorstellen. Wichtig ist, dass der Schwanz bis auf den Boden reicht und er ist recht schwer. Ein großes Krokodil kann bis 800 kg schwer werden, dementsprechend schwer ist auch sein Schwanz. Je detaillierter nun diese Vorstellung des Schwanzes wird, umso präsenter wird er werden und bei der eigenen Aufrichtung helfen. Ich stelle mir gerne einen Drachenschwanz vor, der violett und goldfarben ist und dazu Spitzen hat. Wichtig dabei ist es der Phantasie freien Lauf zu lassen und sich mit seinem Schwanz möglichst gut zu fühlen. Über diese einfache Visualisierungsübung ändern wir unsere Körperhaltung. Um noch deutlicher zu spüren, was dieser Schwanz bewirkt, ist es hilfreich ein Hohlkreuz zu machen. Wenn einem nun dieser Schwanz wächst, dann wird unser Becken ganz automatisch nach hinten unten gezogen, also genau in die richtige Position.
Haben wir also ausgeatmet und möchten uns möglichst gut aufrichten, dann lassen wir uns einen Krokodilschwanz wachsen und schon wird die Angst oder Aufregung weniger werden. Linda Tellington-Jones sagt: Ändere dein Verhalten und du änderst dein Pferd! Das Gleiche trifft auf alle unsere Tiere zu. Da durch unsere Haltung unser Verhalten geändert wird, ändern wir damit auch automatisch das Verhalten unserer Tiere. Immer unterstellt, dass das Verhalten unseres Tieres nicht auf eine körperliche Ursache zurückzuführen ist und selbst dann werden wir sein Verhalten durch unser eigenes Verhalten zumindest nicht noch bestärken.
Als Tellington TTouch Instruktorin möchte ich Ihnen zu Abschluss noch eine TTouch Übung mit auf den Weg geben, die Linda Tellington-Jones zu den Magischen Drei zählt. Dieser Tellington-TTouch wird “Herzumarmungs-TTouch” oder im englischen “Hearthug” genannt. Ich werde ihn für den Menschen erklären, doch selbstverständlich kann er auch am Hund angewendet werden. Er bewirkt wahre Wunder, wenn es darum geht Stress loszulassen und Situationen neutraler betrachten zu lernen.
Dabei werden beide Hände übereinander auf die Mitte der Brust gelegt, so dass beide Handflächen nach innen zum Herzen hin zeigen. Nun wird das Ziffernblatt einer Uhr visualisiert. Die sechs liegt auf der untersten Stelle des Kreises und hat somit die geringste Entfernung zum Boden.
Dann wird die Haut langsam und sanft in einer gleichmäßigen Kreisbewegung – dem Zifferblatt entlang – verschoben, wobei bei der Sechs begonnen wird. Die Bewegung wird nach einem vollen und einem Viertelkreis, also bei der Neun, beendet. Während die Hände liegen bleiben wird tief eingeatmet und wir stellen uns eine geliebte Person oder ein geliebtes Tier oder einen besonders schönen Moment unseres Lebens vor. Das Ganze machen wir mindestens drei Mal. Dieser TTouch kann helfen, wenn er einfach nur jeden Morgen oder jeden Abend ausgeführt wird. Doch er kann auch in stressigen Situationen helfen, dass es einem gelingt schneller wieder Mut zu fassen und gelassener zu werden. Auf diesen TTouch gehe ich auch in unserem Onlinekurs “Loving Animals” ein. Dort wird der Herz-TTouch noch etwas genauer beschrieben.
Jeder Hundehalter sollte sich immer wieder darüber bewusst werden, dass es in unserem Verhältnis zu unseren Hunden weniger um “Erziehung”, denn um “Beziehung” geht und welche Auswirkungen unsere eigenen Gefühlslagen auf die unserer Hunde haben. Es ist nur fair, wenn wir an uns arbeiten, um das Leben unserer Hunde einfacher zu machen.