Auf der Suche nach einer Erklärung für die Domestikation des Hundes
Zucht & HaltungODER „VOM TÖTER ZUM MÖTER”[1]
Die Überschrift ist natürlich provokant und impliziert, dass ich im Laufe des Textes ein Ergebnis, das belegbar ist, offenbaren werde. Dem ist nicht so, wie auch. Wenn man (fast) alle Fakten zusammenträgt, wird klar, dass es noch keine abschließende Erklärung zum Phänomen „Hund“ in unserer Gesellschaft gibt. Sein tatsächlicher Ursprung, die Anfänge seiner Domestikation und der genaue Zeitpunkt an der die Hund- Mensch Beziehung ihren Lauf nahm, liegen noch im Dunkeln der Zeitgeschichte.
Immerhin gab es im Laufe der letzten Jahrzehnte einige Thesen zum Ursprung des Hundes der Jetztzeit. Die Meisten erwiesen sich früher oder später als falsch oder unwahrscheinlich. Oftmals, weil sie auf verkehrten Annahmen aufbauten, blind für andere Wege, nur eine Spur verfolgten, Studien und ihre Wissenschaftler immer auch Teil ihrer Geschichte und ihrer Auftraggeber sind oder weil wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse aufgrund fehlender Möglichkeiten nicht vorhanden waren.
Ich möchte in diesem Text widerlegte Ideen erwähnen, die derzeit wahrscheinlichste Erklärung darstellen und den Begriff „Domestikation“ kurz beschreiben. Die Betonung liegt in diesem Fall auf „kurz“, denn wenn man sich intensiver mit dem Thema „Domestikation und Hund“ auseinandersetzt, bemerkt man sehr schnell, wie komplex diese scheinbar einfache Frage sich darstellt.
“DOMESTIKATION”
Wenn ich mich mit der Geschichte des Hundes beschäftige, komme ich nicht um den Begriff der Domestikation herum.
Was heißt domestikation, woran erkenne ich domestikation, was bedeutet es für eine art, domestiziert zu sein?
Domestikation ist biologisch betrachtet, eine Anpassung einer Art an den Menschen und seine Umwelt, der als Prozess zu verstehen ist und dem evolutionäre, selektive und mutative Entwicklungen zu Grunde liegen. Die Rolle des Menschen dabei kann sowohl aktiv als auch passiv sein.
Zitat:”,…domestication is defined as that process by which a population of animals becomes adapted to man and the captive environment by some combination of genetic changes occurring over generations and environmentally induced developmental events reoccurring during each generation.” (Price, 1984, S.3 http://lib.ysu.am/open_books/312516.pdf)
Dies ist ein wichtiger Unterschied zu der oft geteilten Meinung, dass das Domestizieren von Tieren immer zwangsläufig vom Menschen aktiv forciert wird. Das sich Tiere auch durch das Leben im Umfeld des Menschen ohne dessen bewusstes Zutun zu einer domestizierten Art entwickeln kann, ist sicher für den Einen oder Anderen, eine neue Erkenntnis. Auch dass wir die Domestizierung als Entwicklung betrachten müssen, die nicht einfach einteilt in den Ursprung, die „Wildform“ und das „Endprodukt“ der domestizierten Form.
Wie sieht die entwicklung für die einzelne art aus? Kann man merkmale herausarbeiten, die eine „domestizierung“ kenntlich machen?
Tatsächlich haben wir sehr deutliche Veränderungen in Verhalten und Aussehen, die sich auf der hormonellen, genetischen Ebene nachweisen lassen. Unter Anderem, zeigen domestizierte Tiere Veränderungen in der Größe bestimmter Gehirnareale, veränderte Sexualzyklen, erhöhte Weißanteile in der Pigmentierung von Fell und Federn („Piebald Spotting“), verlängerte Sozialisierungsphasen, verzögerte Entwicklung, Veränderungen in der Schädelform, Veränderungen der Sinnesleistungen, Veränderungen des Serotonin- und des Cortisolstoffwechsels, Veränderung im Verhalten, insbesondere die verringerte Fluchtdistanz zum Menschen oder potentiellen Gefahren.
Als einziges Beispiel einer Langzeitstudie über die Folgen der Domestizierung einer Art, dient das „Dmitri Belyaev Experiment“, des russischen Verhaltensforschers, das über 80 Jahre die Selektion der Wildart „Silberfuchs“ auf Zahmheit und Fortpflanzungsfähigkeit in Gefangenschaft verfolgt und dokumentiert. http://www.bbc.com/earth/story/20160912-a-soviet-scientist-created-the-only-tame-foxes-in-the-world.
Selbst nach Belyaevs Tod im Jahre 1985, lief das Projekt bis in die Jetztzeit weiter. Hierbei wurde nicht mit Hilfe von Training ein Tier gezähmt, sondern über einen festgelegten Auswahlprozess nach bestimmten Verhaltenstests, die jeweils dem Menschen gegenüber am freundlichsten, angst-und aggressionsfreien Tiere miteinander verpaart. Es besteht ein absoluter Unterschied zwischen der „Zähmung“ eines Einzelnen oder eine Gruppe von Tieren einer Wildart und der bewussten Selektion in Bezug auf „Zahmheit“ einer Art hinzu einer domestizierten Form. Das sogenannte „Piebald Spotting“, sehen wir heute an vielen Tieren, die „frei“ in der Umwelt des Menschen leben. So haben viele Wildarten in urbanen (städtischen, belebten) Lebensräumen, diese weißen Pigmentierungen. Ein augenfälliges Zeichen von Domestikation, die ohne bewusstes Zutun des Menschen erfolgt ist.
Zusammenfassend kann man also sagen, dass im Allgemeinen, die Domestikation einer Art, eine vom Mensch gewollte oder zufällige Anpassung an das menschliche Leben, menschliche Nähe und Umwelt darstellt, die sich durch einen immer währenden Prozess auszeichnet.
Wissenschaft kritisch hinterfragt
Betrachten wir nun unser zweitliebstes Haustier, den Hund oder im Fachjargon „Canis lupus familiaris“ auf seinem Weg zur “Haustierwerdung”. Schon diese Bezeichnung offenbart ein Problem, das die unvoreingenommenen Wahrheitsfindung in der Angelegenheit „Hund“, deutlich macht.
Mit der Kennzeichnung „Canis Lupus familiaris“ ordnet sie den Haushund eindeutig dem „Canis lupus”, dem Grauwolf als dessen Urvater unter. Das war nicht von Anfang an so, Carl von Linné, nannte den Haushund „Canis familiaris“. Das war Anfang des 19. Jahrhunderts. Mit den Auswertungen der ersten genetischen Entschlüsselungen, wurde die Nahe Verwandtschaft von Grauwolf und Haushund nachgewiesen und mit diesem Nachweis, der Hund dem Wolf zoologisch untergeordnet.
Diese Erkenntnis hat sich in das kollegiale Gedächtnis der Meisten gebrannt. Unser geliebter, kuscheliger “Couchpupser” war vor Urzeiten ein gefährlicher, menschenscheuer Jagdräuber. Vom gefürchteten „Töter“ zum vollintegrierten „Möter” und das in atemberaubender Geschwindigkeit.
Es gab und gibt, schon immer berechtigte Zweifel an dieser Theorie, die aber im Kern von der Masse der publizierenden Wissenschaftler und Medien kaum bis gar nicht diskutiert wurden. In der spannenden Detektivgeschichte, „Woher kam unser Hund?“, ähneln sich die Betrachtungsweisen und beschränken sich meistens auf wenige Beweise, die allein Hypothesen stützen, die im Wolf den Ursprung unseres Haushundes vermuten. Dabei wurden in der Vergangenheit Gegenbeweise weder gesucht, noch neuere Erkenntnisse berücksichtigt. Scheinbare kontroverse Diskussionen sind genau gesehen nur unterschiedliche Betrachtungsweisen und unterschiedliche Ebenen auf denen dieselbe Grundidee bearbeitet und die Kernaussage nicht in Zweifel gezogen wird.
Woran kann das liegen?
Nun, in erster Linie ist ein Wissenschaftler auch nur ein Produkt seiner Umwelt, daher bleibt eine Färbung der Daten und subjektive Wahrnehmung der Fakten immer ein Spiegel seiner eigenen Sozialisation, Zeitgeschichte, Kultur und Umwelt, in der er lebt und arbeitet. Zudem gehört zu jedem Forschungsauftrag auch die nicht unerhebliche Frage der Bereitstellung von Zahlungsmitteln. Die meisten Aufträge kommen nicht aus dem wissenschaftlichen Bereich, sondern haben ein wirtschaftliches Interesse. Das soll nicht heißen, dass die Wirtschaft grundsätzlich Einfluss auf die Ergebnisse der Forschungsarbeiten nimmt, aber Aufträge sind natürlich an bestimmte Fragestellungen, Zeitvorgaben und Budgets der Auftraggeber gebunden. Vielleicht würde es dem einzelnen Wissenschaftler auch helfen, wenn der Veröffentlichungsdruck nicht so hoch wäre. „Nur wer schreibt, der bleibt.“ Dieser banale Satz hat weitreichende Folgen für die Vergabe von Forschungsaufträgen und Geldern. Derart unter Zeitdruck, bleibt sicherlich kaum Raum über den eigenen Tellerrand zu schauen, internationale Erkenntnisse zu sichten und abzugleichen, interdisziplinär zusammenzuarbeiten. Das ist bedauerlich und macht das Zusammensetzten eines so komplexen Puzzles mit so vielen fehlenden Teilen für den Einzelnen mehr als schwierig. In einer idealen Welt könnte der Forscher in alle Richtungen frei fragen, ohne zeitlich oder finanziell begrenztes Budget, würde von Teams, aus unterschiedlichen Fachbereichen, Kulturkreisen, Geschlechtern, Alter und Geschichte als gegenseitige Supervision begleitet und hätten freien Zugang zu sämtlichen Daten weltweit. Wie gesagt in einer idealen Welt. So müssen Studienergebnisse immer auch auf diese Hintergründe abgeklopft werden und mit Rücksicht darauf interpretiert werden.
Im Falle des Hundes ist noch zu bedenken, dass eine breite Masse der Gesellschaft offensichtlich ein hohes Interesse daran hat, die Frage der Herkunft ihres vierbeinigen Sozialpartners zu klären. Dieses Interesse wird auch über populärwissenschaftliche Veröffentlichungen gestillt und befeuert. Nicht alle Autoren recherchieren in die Tiefe, nicht jeder Artikel ist seriös, gerne wird vermeintliches Wissen vielfach, ungefiltert, abgeschrieben, verkehrt zitiert, ohne nachvollziehbare Quellenangaben publiziert oder so lange leicht verständlich aufbereitet, dass es bis zur Unkenntlichkeit verwässert. Beim Hund ist diese Art der einseitigen Betrachtungs- und Informationsweise schon auffällig. Da drängt sich die Frage auf, wem diese Art der Information nützt.
Zäumen wir mal kurz das Pferd von hinten auf, indem wir uns fragen, wem es schadet? Wieso ist es denn so wichtig, ob Wolf oder ein eigener Canidenvorläufer? Was würde sich denn ändern, wenn wir den Hund uns bewusst zum „Untertan“ gemacht haben oder es zu einer zufälligen Domestizierung kam? In erster Linie ändert sich der Blick auf den Hund.
Reine Verhaltensbeobachtung ohne Vergleiche zum Wolf, Abkehr vom „Besitzdenken“ als vermeintlich höher stehendes Lebewesen, hin zur Wahrnehmung eines eigenständigen Individuums mit Bedürfnissen an Lebensbedingungen, Ernährung, und Beziehung.
EVOLUTION
Wie schwierig es ist den Weg einer Evolution, die vor mehreren Millionen Jahren begann, schlüssig und lückenlos zu klären, zeigt sich bei unser eigenen Spezies. Und dies, obwohl das Interesse an einer Aufklärung hierbei viel höher liegt als bei unseren vierbeinigen Freunden. War eben noch klar, ob die Wiege des Menschen in Europa oder Asien liegt, war der Stand des Wissens bisher, dass unser Ursprung in Afrika liegt. Bis zu zwei neuerlichen Funden eines Hominidengebisses bzw. Zahnes auf dem Balkan und in Griechenland im Jahr 2016, der sämtliche Theorien in Frage stellt. (http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0177127)
Das beschreibt allgemein das Problem der Paläoanthropologie. Es gibt nur wenige fossile Funde, die häufig eher per Zufall entdeckt wurden. Ging man anfangs von einer zeitlich stringenten Entwicklung von einer hominiden Lebensform zur Nächsten aus, zeigt es sich immer deutlicher, dass verschiedene Hominiden parallel nebeneinander gelebt haben müssen. http://www.wits.ac.za/homonaledi/whats-new/news/young-homo-naledi-surprises.html
Weiteres Beispiel ist der Neandertaler, der nicht, wie zunächst angenommen, einfach ausstarb, sondern einen Teil seines Erbgutes an uns weiter gab, indem er sich mit dem Homo sapiens vermischte. (http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-21197-2017-02-24.html)
Natürlich sind solche „Breaking News“ nicht an der Tagesordnung, aber sie zeigen deutlich dass wir viel zu wenige belegbare Beweise vorweisen können, um den Werdegang der menschlichen Evolution aufzuzeigen.
Jeder Fund ist nur ein winziges Puzzleteil, welches mit anderen Fossilien verglichen, in das richtige Zeitalter eingeordnet und mit seiner Auffindesituation in einen Gesamtzusammenhang gebracht werden muss. Dies gilt nicht nur für uns, sondern auch für unsere Hunde.
Konrad Lorenz Theorie („So kam der Mensch auf den Hund“ Konrad Lorenz, dtv Verlag, 1949), dass der Goldschakal der direkte Vorfahr des Haushundes sein könnte, wurde durch einige Wissenschaftler geteilt. Auch die Idee, dass der Haushund ein Mischling aus Goldschakal und Wolf sein könnte, stand zur Debatte. Spätestens mit der genauen Verhaltensbeobachtung von Wölfen, Schakalen und Haushunden, sowie der Tatsache, dass freiwillige Verpaarungen zwischen Schakal und Wölfen nicht nachgewiesen werden konnten, widerlegten diese These. Es rückte mehr und mehr der Wolf als alleiniger Urahn in den Fokus der Wissenschaftler. („Hundepsychologie“, Dr. Dorit Urd Feddersen- Petersen, S.25 ff, Kosmos Verlag, 2004). Die Entschlüsselung des Genoms von Hunden und Wölfen schien der endgültige Beweis, dass allein und in jedem Fall der Wolf der genetische Vater aller unserer Hunderassen sein muss. Schien. Auch hier lohnt es sich ein wenig in die Tiefe zu schürfen. Genmaterial konnte bislang nur von heutigen Wolfspopulationen gewonnen werden. Von diesen Ergebnissen auf die Vorfahren zu schließen, ist einer von mehreren der berechtigten Gründe, warum Kritiker die These Wolf = Hund, bezweifeln.
Die Gewinnung von Erbmaterial birgt viele Fehlerquellen, schon ob die mütterliche, väterliche Linie oder die beider Elternteile verfolgt wurde, verändert die Ergebnisse signifikant. „Entschlüsselung“, das hört sich an, als hätte man das letzte Rätsel um die Evolution aller Lebewesen gelöst. Nach über 20 Jahren und einem einzigartigen Wettlauf der Wissenschaft um die Entschlüsselung, Kartierung des Genoms von einzelligen Pflanzen, Haustieren, Menschen und sogar Erschaffung eigener DNA, die in Bakterien verpflanzt wurde, tritt seit 2010 so etwas wie Ernüchterung ein. Es war sicherlich ein erster revolutionärer Schritt in die Zukunft, aber es bleiben viele Fragen offen. Risiken für bestimmte Krankheiten lassen sich nun über Gentests voraus sagen (Alzheimer/ Diabetes), heilen kann man sie deshalb noch lange nicht. Es lässt sich einem Gen nicht eine bestimmte Funktion zu ordnen, ebenso wenig sagt die Anzahl der Gene etwas über die Komplexität des Lebewesens aus. Als Beispiel; Der Mensch mit „nur“ 23.686 Genen im Vergleich zum Wasserfloh mit über 30.000 Genen. Die Variabilität des Genoms von Mensch zu Mensch (bis zu 3 %), Mensch zu Primat bzw. von Hund zu Hund, war eine der erstaunlichen Erkenntnisse der Entschlüsselung. Es fand so etwas wie eine Entzauberung der menschlichen Einzigartigkeit statt, vielleicht einer der Gründe, warum sich Diktaturen, gerade religiös geprägte, so wenig mit den Ergebnissen der Evolutionstheorie und Genetik anfreunden können. Jüngstes Negativbeispiel liefert in diesem Zusammenhang unlängst die Türkei. (http://www.zeit.de/gesellschaft/schule/2017-06/evolutionstheorie-tuerkei-schulen-gestrichen-lehrplaene).
Abschließend lässt sich sagen, dass es sehr sinnvoll ist, die Wege der evolutionären Entwicklung von Homo sapiens und Canis lupus familiaris im direkten Vergleich zu verfolgen. Es erscheint als die einzige Möglichkeit heraus zu finden, wie, wann und warum diese einzigartige Beziehung ihren Lauf nahm. Dazu ist es wichtig sich von der lieb gewonnen These, dass Hunde nie eine eigene Art bildeten sondern nur gezähmte Wölfe sind, zu distanzieren, um frei in jede Richtung denken zu können. Alles andere wäre Stillstand.
DOMESTIKATION
Wie kam er denn nun zu uns?
Ist diese Frage befriedigend zu klären, wo schon das „Woraus entwickelte sich der Haushund?“ noch viele Fragen offen lässt? Um es vorweg zu nehmen: Leider nein, leider gar nicht.
Frühere Erklärungsversuche („Der Hund“, Erik Zimen, Goldmann Verlag, 1989) gingen davon aus, dass zum Einen, Jäger auf ihren Streifzügen Wolfswelpen mitnahmen und diese von den stillenden Frauen der Gemeinschaft mit ihrer Muttermilch aufgezogen wurden. Dies ist mehr als unwahrscheinlich.
Ray Coppinger bezeichnet diese Theorie als „Pinocchio Hypothese“, weil wohl mehr der Wunsch Vater des Gedankens ist, dass es so gewesen sei. Wölfe, auch Wolfswelpen ließen sich in Versuchen kaum zähmen, schlecht trainieren und bewahrten trotz früher Prägung auf den Menschen, ihr Misstrauen gegenüber Menschen.
In den 60er Jahren brach die sowjetische Armee ihren Feldversuch einen „Superhund“ zu militärischen Zwecken aus Wolf und Karpatenhund zu ziehen, wegen massiver Rückschläge ab. Die Wolfshybriden waren als Wunderwaffe mit Supersinnen, Kraft, Furchtlosigkeit und Kooperationsbereitschaft geplant, das genaue Gegenteil war der Fall.
Wie viel Wissen, Zeit und Logistik hätte wohl ein Urmensch aufbringen müssen, um Wolfswelpen auf bestimmte Merkmale zu selektieren? Man sollte auch nicht außer Acht lassen, dass ein erwachsener Wolf eine erhebliche Menge an Energie in Form von Fleisch verbraucht. In einer Zeit, in der der Mensch das Essen unter Gefahren und hohem Energieeinsatz verfolgen musste und nicht wie heute andersherum, war das Zusammenleben mit einem direkten Nahrungskonkurrenten ein Luxus, den man sich schlicht nicht leisten konnte.
Die These, dass Wölfe über die Hinterlassenschaften, sprich Müll in Form von Essenszeiten aber auch Exkrementen, ihre Fluchtdistanz aufgaben, um sich der einfachen Nahrungsquelle zu bedienen, weist auch einige Schwächen auf. Folgen wir den Regeln des „Shyness Boldness Continuums“ (http://animalstudiesrepository.org/cgi/viewcontent.cgi?article=1075&context=acwp_asie), die vereinfacht besagen, dass je geringer die selbstgewählte Fluchtdistanz des Individuums zu einer möglichen Gefahrenquelle ist, desto mehr Gefahr von ihm aus geht und umgekehrt. Eine freiwillige WG mit dem „Töter“ ist daher eher unwahrscheinlich, wenn wir unseren Vorfahren nicht suizidale Tendenzen oder grenzenlose Risikobereitschaft unterstellen wollen. Beides trifft nicht zu, denn dann gäbe es den Homo sapiens heute sicher nicht mehr.
Und wenn wir nun gerne auf die Vorteile für den Hominiden hinweisen, wenn er sich der einzigartigen Fähigkeiten des Jagdräubers zu bedienen wusste? Ist es der kurzsichtige Blick des modernen Menschen auf seinen neben ihm schlummernden, schnarchenden, alle Viere von sich und in die Luft gestreckten Puschelpöter, der unsere Ansprüchen an ihn komplett erfüllt. Egal ob als Sozialpartner, Jagdbegleiter, Herdenhüter, Sportgerät, Bewacher von Haus und Leben, Retter oder was auch immer. Und wo wir gerade dabei sind, so von aufgeklärtem Mensch zu aufgeklärtem Mensch – wie ist denn das werte Verhältnis zur Wiederkehr des „bösen Wolfes“ in unsere Nachbarschaft? Begeistert? Panisch? Ist diese Reaktion rational oder rein emotional? Nicht der Kontext, um dies hier weiter zu verfolgen. Aber ein Denkansatz. Wenn wir heute mit all unseren kognitiven Fähigkeiten und unserem Wissen so verunsichert auf den guten alten Isegrim reagieren, wie muss es dann wohl unseren Urahnen ergangen sein?
Eine seit 1901 bestehende, aber wenig verfolgte Hypothese, wird seit 2016 von Janice Koler – Matznick (https://www.researchgate.net/publication/233528162_The_Origin_of_the_Dog_Revisited) neu mit Beobachtungen und Daten belebt. Sie geht beim Hund von einer eigenen Spezies aus. Ein Ur-Canide, der ohne unser Dazutun existierte und aus dem Wolf und Hund hervor gingen. Also erst vollzog sich die „Hundwerdung“ und dann ein „Meet and greet with human beings“. Diese Theorie entbehrt (noch) fossiler Nachweise, aber viele Punkte sprechen für sie. So ist der Hund im Gegensatz zum Wolf viel weniger spezialisiert, sowohl in seinem Verhalten, seiner Ernährung als auch seiner Physis.
Jeder Erklärungsansatz hat seine Stärken und Schwächen. Ob wir dieses Rätsel in der Zukunft befriedigend aufklären, ist nicht sicher. Sicher ist nur, dass wir uns von lieb gewonnen Behauptungen und Lösungen verabschieden müssen, um offen zu werden für neue Wege.
UND HEUTE?
Heute leben überall dort, wo Menschen leben, auch Hunde. 75% von ihnen, nicht in menschlicher Obhut. Ein Großteil der 75%, bewegt sich frei und nimmt eine eigene Partnerwahl vor. Es sind „Free Breeding Dogs“.
Sie unterteilen sich in „Ferale Hunde“, die völlig unabhängig vom Menschen leben. Sie nutzen die Nähe des Menschen nicht einmal als Nahrungsquelle. Und „Village Hunde“, die frei leben, sich bewegen und paaren. Sie leben jedoch von den Nahrungsresten und in mehr oder weniger Akzeptanz in der Nähe des Menschen. Sie lassen sich genetisch einem bestimmten Landstrich zu ordnen. Die geographisch eingrenzbaren „Landschläge“ haben eine Selektion durch den Menschen erfahren. Ihre Abkömmlinge sind ihrer Umgebung angepasst und ihre Verpaarung einer bestimmten Funktion unterworfen. Es ist keine konsequente Selektion und die Hunde gleichen sich im Phänotyp, ohne uniform zu sein.
Last but least – der „Rassehund“, ein modernes Phänomen. Bezeichnet einen Hundetyp, der streng genommen nur dann einer Rasse angehört, wenn er sich in Zucht- und Abstammungsbüchern einer anerkannten Organisation (Beispiel FCI) wiederfindet. Sie zeichnet sich durch einen sehr eingeschränkten Genpool durch fortwährende Inzucht aus. Eine durch den Menschen gelenkte Selektion hatte in den Anfängen und in vielen Teilen der Welt heute noch, eine ganz klare Ausrichtung auf die Funktion, die der Hund erfüllen sollte. Die Form folgte in diesem Ansatz ganz klar der Funktion, diese Zielsetzung ist im Laufe der letzten Jahrzehnte weitestgehend verloren gegangen.
In einer industrialisierten Welt im Überfluss werden die Ansprüche an unsere Hunde immer vielfältiger, die moderne Zucht scheint diese Wünsche über immer neue Auswüchse befriedigen zu wollen. Rassebeschreibungen lesen sich wie Hochglanzreklame für ein industriell gefertigtes Produkt. Dabei soll die äußere Uniformität, Garant für ein erwünschtes Verhaltensrepertoire sein, bei einem immer kleiner werdendem Pool von Zuchttieren aus dem der Nachwuchs gezogen wird. Der Widerspruch, den dieser Ansatz in sich trägt, ist so offensichtlich, dass es verwundert, dass dieser Zug immer schneller vor die Wand gefahren wird.
So bleibt am Ende die Frage „ Woher kamst du Hund?“ ebenso unbeantwortet, wie die Frage „Quo vadis Canis lupus familiaris?“. Die Suche nach den Spuren der gemeinsamen Evolution von Hund und Mensch bleibt spannend, vorausgesetzt wir suchen mit freiem Geist und vorurteilsfrei in alle Richtungen. Die Frage nach der Zukunft unserer Hunde, liegt gerade in unseren Breitengraden in unserer Hand. Vorausgesetzt wir beginnen damit unsere Haltung, Zucht und Ansprüche offen und kritisch zu hinterfragen.
QUELLEN
Bücher:
- Konrad Lorenz, „So kam der Mensch auf den Hund“, dtv Verlag, 1949.
- Erik Zimen, „Der Hund“ ,Goldmann Verlag, 1989
- Dr. Feddersen- Petersen, „Hundepsychologie, Kosmos Verlag, 2004
- Dr. Adam Miklosi, „Evolution, Kognition und Verhalten“, Franck Kosmos Verlag, 2011
- Coppinger & Coppinger, „Hunde: Neue Erkenntnisse über Herkunft, Verhalten und Evolution der Kaniden“ Animal Learn Verlag, 2003
Links:
- Price, 1984, S.3 lib.ysu.am/open_books/312516.pdf)
- Fuss,Plus One, journals.plos.org/plosone/article
- Scinexx, www.scinexx.de/wissen-aktuell-21197-2017-02-24.html
- Koler- Matznick, https://www.researchgate.net/publication/233528162_The_Origin_of_the_Dog_Revisited
- C. Brown, animalstudiesrepository.org/cgi/viewcontent.cgi
- „Die Zeit Online“, www.zeit.de/gesellschaft/schule/2017-06/evolutionstheorie-tuerkei-schulen-gestrichen-lehrplaene
- „BBC Earth“, www.bbc.com/earth/story/20160912-a-soviet-scientist-created-the-only-tame-foxes-in-the-world.
Seminare:
- Gerrit Stephan „Vom CouchCaniden“ (Seminar)
- Dr.Ute Blaschke- Berthold „Domestikation“ (Seminar)
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[1] „Möter“ (halb Mensch/ halb Köter), Begriff aus Mel Brooks „Spaceballs“