Angst, Stress und Unsicherheit beim Pferd – Symptome, Ursachen, Training, Buch von Christine Dosdall, Viviane Theby und Kathrin Wycisk
Christine Dosdall, Viviane Theby, Kathrin Wycisk, Müller Rüschlikon Verlag
„Es ist so leicht, ein Pferd mit Hilfe von Druck und aversiven Mitteln in Angst zu versetzen, und damit eine Verhaltensveränderung herbeizuführen. Doch es ist um ein Vielfaches schwieriger, diesen Tieren ihre Angst wieder zu nehmen und ihnen Vertrauen, Mut und ihren eigenen Willen zurückzugeben.“
Vor einigen Jahren durfte ich Christine Dosdall, eine der Autorinnen, und ihre Stute “Chance” kennenlernen. Bei meinem ersten Besuch bei den beiden war ich einerseits erstaunt, wie anspruchsvoll der Umgang mit einem „speziellen“ Pferd wie “Chance” sein kann, das einen denkbar ungünstigen Start ins Leben hatte und infolgedessen ein ganzes Bündel psychischer und körperlicher Probleme mit sich herumträgt. Auf der anderen Seite war ich unfassbar beeindruckt von Christines Ruhe, ihrer Gelassenheit und ihrem planvollen Vorgehen im Umgang mit ihrem Pferd – und den Fortschritten, die sie über die Zeit gemeinsam erzielten.
Umso erfreuter war ich, als ich erfuhr, dass das Autorinnen-Trio Christine Dosdall, Viviane Theby und Kathrin Wycisk gemeinsam das Buch „Angst, Stress und Unsicherheit beim Pferd – Symptome, Ursachen und Training“ geschrieben und herausgebracht hat. Die Expertise der Autorinnen alleine war für mich Grund genug, das Buch unbedingt lesen zu wollen. Zudem ist dieses Buch meines Wissens nach das Einzige, das sich diesem so wichtigen und in der Pferdewelt tendenziell noch eher vernachlässigten Thema widmet.
Bereits beim ersten Durchblättern überzeugte mich das Buch durch seine Gestaltung. Das Layout ist ansprechend und übersichtlich, die Schrift gut lesbar und wichtige oder zusätzliche Informationen werden durch farblich abgesetzte Kästen hervorgehoben. Zudem begleiten viele Fotos und Beispiele aus dem Leben der Autorinnen und ihrer Pferde den Text und verdeutlichen ihn anschaulich.
Das Buch ist in zwei Teile gegliedert. Teil I beschäftigt sich mit den biologischen Grundlagen von Stress, Angst und Furcht sowie den dazugehörigen Vorgängen im Gehirn.
In diesem Teil erläutern die Autorinnen den biologischen Nutzen von Angst- und Stressreaktionen als Garant für das Überleben des Fluchttiers Pferd. Sowohl die Entstehung unserer heutigen Pferde inklusive ihrer Domestikation als auch ihre grundlegenden Bedürfnisse werden so weit thematisiert, wie es für das Verständnis des Lesers notwendig ist. Auch die unterschiedlichen Begriffe Furcht, Stress und Angst werden definiert und gegeneinander abgegrenzt sowie unterschiedliche Stresstypen und Bewältigungsstrategien vorgestellt.
Der zweite Abschnitt des ersten Teils beleuchtet die Stoffwechselvorgänge, die bei Stress- und Angstreaktionen im Gehirn ablaufen. Außerdem wird in diesem Abschnitt ein besonderes Augenmerk darauf gelegt, wie aus der eigentlich physiologisch wichtigen Stressreaktion ein den Organismus belastender Dauerstress oder auch eine Angststörung entstehen kann.
Teil II des Buchs widmet sich dem wichtigen Thema Lernen. In einem ausführlichen theoretischen Teil erklären die Autorinnen, wie Lernen funktioniert und was die Grundlagen für erfolgreiches Pferdetraining auf der Basis positiver Verstärkung sind. Es wird erklärt, warum es so wichtig ist, Verhalten objektiv zu beschreiben, statt es zu interpretieren und in gedankliche Schubladen zu stecken. Auch die Säulen des praktischen Trainings Kriterien, Timing und Verstärkerrate werden thematisiert. Es wird erklärt warum ein guter Trainingsplan wichtig ist und wie dieser erstellt wird sowie Anregungen zu Ausrüstung und Arbeitsplatz gegeben.
Besonders gefallen hat mir der Abschnitt zum „Faktor Mensch“, in dem auf die Bedürfnisse des Zweibeiners eingegangen wird und der Leser ermutigt wird, auch seine eigenen Gefühle sowie sein Bedürfnis nach Sicherheit ernst zu nehmen und auf sich Acht zu geben. Daran schließen Anregungen der Autorinnen zu den Themen Selbstschutz und Management an, um bereits eskalierte Situationen möglichst erfolgreich und sicher bewältigen zu können. Abgerundet wird der theoretische Part des zweiten Teils durch die Einführung wichtiger Trainingstechniken, die dem Pferd Mitbestimmung und damit Sicherheit geben, die eindringlichen Erklärung, warum die Abwesenheit von Strafe Grundvoraussetzung für den Erfolg der beschriebenen Trainingstechniken ist, sowie das Aufzeigen von verbreiteten Fallstricken. Der Theorie-Abschnitt des zweiten Teils wird mit einem wichtigen Plädoyer der Autorinnen beendet: dass das Training trotz aller Ernsthaftigkeit und wichtiger theoretischer Hintergründe auch Spaß machen soll und auch gemeinsam verbrachte Qualitätszeit ohne Trainingsanspruch essenziell für eine gute Beziehung ist.
An diesen trotz aller Theorie sehr kurzweiligen Abschnitt schließen sich verschiedene Praxisübungen an. Die Auswahl der vorgestellten Übungen verfolgt in erster Linie das Ziel, den Pferden einen möglichst stressarmen Alltag zu ermöglichen, in dem ihnen ein gewisses Maß an Mitbestimmung gewährt wird. An diesem Punkt empfehlen die Autorinnen, bei Zeichen von Stress, Unwohlsein oder bestehenden schlechten Vorerfahrungen des Pferdes, einen Trainer vor Ort um Unterstützung zu bitten.
Besonders gefallen hat mir, dass am Ende des Buchs die Pferde der Autorinnen einzeln vorgestellt werden. Diese Pferde und ihre Besonderheiten haben maßgeblich dazu beigetragen, dass das vorliegende Buch überhaupt entstanden ist und begleiten den Leser in zahllosen Fotos und Beispielen durch das ganze Buch. In diesem Abschnitt werden die Tiefe der Beziehung und die Zuneigung der Autorinnen zu ihren Pferden deutlich, sowie die Hintergründe und individuellen Entwicklungen der Pferde skizziert – das macht Mut und zeigt die Perspektive, die auch solche „schwierigen“ Pferde haben, wenn ihr Training entsprechend planvoll und achtsam durchgeführt wird. Außerdem betonen die Autorinnen, dass es ihnen wichtig war, für die Illustration des Buchs Pferde nicht absichtlich in Situationen zu bringen, in denen diese sich unwohl fühlten, weshalb sie fast ausschließlich auf Archivmaterial zurückgegriffen haben. Diese Entscheidung gefällt mir sehr – zeigt sie doch einmal mehr, wie wichtig den Autorinnen das Wohlbefinden ihrer Schützlinge ist.
FAZIT:
Insgesamt finde ich das Buch „Angst, Stress und Unsicherheit beim Pferd – Symptome, Ursachen und Training“ von Christine Dosdall, Viviane Theby und Kathrin Wycisk rundherum gelungen. Es bietet durch seinen strukturierten Aufbau und die einfachen Erklärungen der biologischen und lerntheoretischen Grundlagen einen guten Einstieg für Pferdehalter, die sich in die Materie einarbeiten möchten und Unterstützung beim Umgang mit ihrem Pferd benötigen. Doch auch für erfahrene Pferdebesitzer oder -trainer hat dieses Buch dank seiner übersichtlichen und guten Struktur, des logischen Aufbaus und des reichhaltigen Erfahrungsschatzes der Autorinnen viele wichtige Informationen und Anregungen zu bieten – ein echter Easy Dogs Insidertipp!
VERLAGSINFO:
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- Autoren: Christine Dosdall, Viviane Theby, Kathrin Wycisk
- Verlag: Müller Rüschlikon
- Umfang: 176 Seiten
- Format: 17.4 x 1.7 x 24.6 cm
- Sprache: deutsch
- ISBN: 978-3275020973
- Preis: 24,90 €
ÜBER DEN AUTOR UND WEITERE MITWIRKENDE:
- Christine Dosdall hat sich neben dem Psychologiestudium auf die Verhaltensanalyse und die Betreuung von Angst- und Problempferden und ihrer Bezugspersonen spezialisiert. Sie betreibt das Online-Angebot ClickerTiere.de und lebt in Berlin.
- Kathrin Wycisk ist TOP-Trainerin der Tierakademie Scheuerhof. Sie leitet die Tier-Schule KreativePferde in Niederrieden (Bayern). Dabei liegt ihr Tätigkeitsschwerpunkt neben der gewaltfreien Ausbildungsarbeit von Mensch, Pferd und Hund auf der Verhaltenstherapie von Angst- und Problempferden.
- Viviane Theby ist Tierärztin, spezialisiert auf Verhaltenstherapie. Sie leitet die Tierakademie Scheuerhof in Wittlich (Rheinland-Pfalz).