Der „schwer erziehbare“ Hund: eine kritische Betrachtung
Manche Hunde haben den Ruf, „schwer erziehbar“ zu sein. Was meinen Hundehalter:innen mit dieser Aussage? Ist der Hund weniger intelligent und benötigt eine Förderung für Förderschüler? Oder „ordnet er sich nicht unter“, hat er nicht den „will to please“, um seinem Menschen alles recht zu machen? Die Hunde mancher Rassen werden oft als stur, dickköpfig oder eigenwillig beschrieben.
Hier einige Kommentare von Hundefreund:innen im Internet: Nach Einschätzung eines Dackelliebhabers sei es ganz normal, dass Dackel den eigenen Kopf hätten und diesen durchsetzen würden. Der Jack Russell Terrier, Prototyp des „typischen“ Terriers, soll furchtlos, rauflustig, hart im Nehmen, lebhaft und agil sein. Allerdings sei er aufgrund seines Selbstbewusstseins und seines Dickschädels nicht leicht zu erziehen und deshalb nicht als Anfängerhund geeignet. Der Beagle stelle zwar einen lustigen Spielgefährten für Kinder dar, aber er brauche von klein auf eine strenge Erziehung, da er als Einzeljäger die Begleitung des Menschen nicht benötige. Eine Besitzerin eines Afghanen beschreibt ihren Hund so: „Assi“ war anhänglich, eigenwillig wie eine Katze, zutraulich, dann wieder stolz bis stur, verschmust und trieb mich oft auch zum Wahnsinn. Harte Worte brachten gar nichts, aber auch übertriebene Freundlichkeit oder “einschleimen” halfen nicht.”
Natürlich hat der Mensch bei der Schaffung mancher Rassen gezielt gut trainierbare Hunde ausgewählt, um mit ihnen auf die Jagd zu gehen oder Schafe zu hüten. Verschiedene Wissenschaftler:innen haben bei Untersuchungen des Temperaments und der Persönlichkeit von Hunden unter anderem die Trainierbarkeit als ein Merkmal untersucht. Viele gut trainierbare Hunde aus Gebrauchsrassen können auch in Stresssituationen und bei Anwendung traditioneller, auf Strafe basierender Ausbildungsmethoden mit dem Menschen arbeiten.
Jedoch spielte bei der Entstehung vieler anderer Rassen die Kooperationsfähigkeit eine geringe Rolle. Bei Molossern und Herdenschutzhunden war eine imposante und abschreckende Körpergröße wichtig, ihre Arbeit als Wachhunde übten sie ohne Menschen aus. Viele Jagdhunde wie die Terrier, Dackel, Laufhunde und auch die Windhunde arbeiten selbstständig, indem sie das Wild ober- oder unterirdisch, je nach Rasse, aufspüren, hetzen und stellen. Ein großer Jagdeifer war für den Menschen wichtig, hingegen die Fähigkeit zur Zusammenarbeit eher unbedeutend. Viele dieser Hunde haben die Tendenz, einen Gehorsam fordernden Menschen zu meiden, zu erstarren oder sogar mit Aggression auf körperlichen Zwang zu reagieren.
In Anbetracht der Tatsache, dass bei einem großen Teil der Hunde das dem Menschen zugewandte Arbeiten kein Auslesekriterium war, ist es umso erstaunlicher, wie viele Menschen die Erwartungshaltung gegenüber dem Hund haben, dass er gehorsam sein muss. Bei einer Katze würden sie das nicht einfordern, obwohl Katzen sehr gut trainierbar sind, unbedrohliche Trainingsmethoden vorausgesetzt.
Die enge Beziehung zwischen Mensch und Hund fördert Missverständnisse.Viele Menschen neigen dazu, den Hund wie einen Mitmenschen zu behandeln. Obwohl der Haushund Menschen sehr gut beobachtet und viele seiner Gesten leicht versteht, kann er menschliche Erwartungshaltungen und die Bedeutung komplexer Sätze nicht entschlüsseln.
Viele Hundehalter:innen nehmen ihren Hund überall mit hin. Dadurch erleben sie mit ihrem Hund mehr problematische Situationen, insbesondere auch im öffentlichen Gelände. Die Öffentlichkeit erwartet einen gut erzogenen Hund, der sich ruhig und angenehm verhält.
Der Alltag mit dem Menschen birgt für manche Hunde auch Stresssituationen. Sie empfinden Angst oder Frustration. Ab einer gewissen Stärke hemmt Stress die Fähigkeit zu lernen und Erlerntes abzurufen. Wenn der Stresslevel auf dem Spaziergang hoch ist, kann es sein, dass der Hund auf ein Signal, welches er in der Wohnung zuverlässig befolgt (z.B. das Rückrufsignal), nicht oder nur zögerlich reagiert.
Hunde, die als Welpen nicht die Chance hatten, in einem optimalen Umfeld aufzuwachsen, sind als erwachsene Hunde oft ängstlich und leiden unter chronischem Stress, da jeden Tag typische Alltagssituationen, z.B. Begegnungen mit fremden Hunden, Furcht oder hohe Erregung auslösen. Oft werden sie als dickköpfig oder schwer erziehbar eingestuft, und die Hundehalter:innen übersehen die eigentliche Ursache.
Kann man in Anbetracht dieser verschiedenen Tatsachen erwarten, dass ein Hund gehorsam ist und ihn als schwer erziehbar, also als mehr oder weniger verhaltensauffällig, einstufen, wenn er es nicht ist? Ein alternativer Ansatz wäre angemessener:
Jeder gesunde Hund hat ein großes Lernvermögen. Er verknüpft nur nicht unbedingt das, was dem Menschen wichtig erscheint. Ein gut gestaltetes Training erhöht die Chance, dass jeder Hund wichtige Basisfähigkeiten wie an der Leine laufen, ruhig warten oder Kommen auf Ruf beherrscht.