Dominanz bei Hunden – keine gute Erklärung für Problemverhalten
„… und er ist auch ziemlich dominant…!“
So oder so ähnlich klingt die Beschreibung manchen Hundes durch dessen Menschen bei der ersten Anfrage nach Training in meiner Hundeschule.
Klar! Dominanz gibt es!
Aber was hat es damit eigentlich auf sich?
Und kann ein Hund per se überhaupt „dominant“ sein?
WAS IST DOMINANZ?
In der deutschsprachigen Wikipedia findet man folgende Beschreibung:
„Unter Dominanz versteht man in der Biologie und in der Anthropologie, dass ein Individuum oder eine Gruppe von Individuen gegenüber einem anderen Individuum bzw. einer Gruppe einen höheren sozialen Status hat, worauf Letzteres unterwürfig reagiert. Das Gegenteil von Dominanz ist Unterwürfigkeit bzw. Subordination / Submissivität.“
Aha! Dominanz tritt also nur in Beziehungen, also gegenüber anderen, auf und scheint somit kein Persönlichkeitsmerkmal zu sein.
Auch die Mehrheit der Ethologen betrachtet Dominanz nicht als Persönlichkeitsmerkmal (Schilder, Vinke & Van der Borg, Review, 2014). Die Persönlichkeit ist ein – vom Kontext unabhängiges – stabiles Merkmal eines Individuums, während der Dominanzstatus von dem oder den interagierenden Partner(n) abhängt (Jones & Gosling, Review, 2005).
Die Aussage „mein Hund IST dominant“ ist daher grundsätzlich mit Vorsicht zu betrachten!
DIE DOMINANZTHEORIE
BEOBACHTUNGEN AN NICHT-VERWANDTEN WÖLFEN IN GEFANGENSCHAFT
Die Dominanztheorie entstand Mitte des 20. Jahrhunderts durch das Studium von Wölfen in Gehegehaltung. Man fand heraus, dass diese Wölfe lineare, geschlechtlich getrennte Hierarchien bildeten (Zimen 1975). In diesem Zusammenhang trat auch häufig Aggressionsverhalten auf.
Da Wolf und Hund bekanntlich gemeinsame Vorfahren haben, wurden diese Beobachtungen eins zu eins auf den Hund übertragen. Fortan unterstellte man dem Hund, dass er stetig versuchen würde, in der Hierarchie aufzusteigen – v.a. auch über uns Menschen – und dass er buchstäblich die „Weltherrschaft“ an sich reißen wollte.
Die Problematik an diesen Wolfsstudien war jedoch, dass einerseits die Haltung in Gehegen auf begrenztem Raum sowie das Zusammenleben nicht verwandter Tiere für das Wildtier Wolf unnatürlich sind und in freier Wildbahn so nicht vorkommen.
WOLFSBEOBACHTUNGEN IN FREIER WILDBAHN
Nachfolgende Studien an freilebenden Wölfen zeigten dann auch ein völlig anderes Bild:
Wölfe leben ausschließlich im sozialen Familiengefüge, d.h. streng biologisch gesehen ist ein Wolfsrudel immer ein Elternpaar und dessen Nachkommen der letzten 1-3 Jahre. Junge, erwachsene Wölfe verlassen das Rudel und gründen ein eigenes Rudel – werden also nach der Definition der Forscher Mech und Bloch selbst zu Alphatieren, denn Alpha ist nicht mehr und nicht weniger als ein Elternteil. Im Rudel sind die Jungtiere von ihren Eltern abhängig – wie auch in einer menschlichen Familie die Eltern für ihre Kinder verantwortlich sind. Rangstreitigkeiten, wie sie bei den Gehegewölfen beobachtet worden waren, treten in freilebenden Wolfsrudeln (Wolfsfamilien) de facto nicht auf (Mech, 1999).
Auch Günther Bloch (Bloch, 2003) spricht – nach 11-jähriger Studie von Wölfen in freier Wildbahn – nicht mehr von einem „Alphakonzept“, sondern vom „Eltern-Nachwuchs-Dominanz-System“. Er ist der Ansicht, dass die „Macht“ (= hoher Sozialstatus) der „Alphawölfe“ (= Elterntiere) auf „Wissen und Erfahrung“ (= komplexe Kenntnisse über den Lebensraum und die Nahrungsbeschaffung) sowie auf einem ausgeprägten „Sinn für Gemeinsamkeit“ beruht.
Rudel agieren zudem „dynamisch“. Das bedeutet, dass – je nach Situation – unterschiedliche Tiere ihre Fähigkeiten zum Fortbestand des Rudels einsetzen bzw. sich unterschiedliche Tiere durchsetzen (Lockwood 2017). Ich persönlich vergleiche das auch gern mit der menschlichen Familie: Auch hier werden die lebensnotwendigen Aufgaben nach Möglichkeit so verteilt, dass sie von dem Familienmitglied ausgeführt werden, das dafür die bestmöglichen Fähigkeiten bzw. zeitlichen Verfügbarkeiten hat.
Ethologisch betrachtet ist der Rudelführer jenes Tier, das das Rudel auf einer Wanderung leitet. Auch das hat nichts mit dem Begriff Dominanz zu tun, sondern ist von zahlreichen Faktoren abhängig wie z.B. vom Gelände, von der Rudelgröße und -zusammensetzung und vom Reproduktionsstatus des Weibchens bzw. der Weibchen (Mech 2000).
In einem Wolfsrudel gibt es also eine situative Variabilität.
Dies zeigt sich auch ggf. in Streitigkeiten und Auseinandersetzungen: Bezogen auf eine konkrete Situation kann ein Tier stärker motiviert (z.B. hungriger) sein, wodurch seine Chancen, eine Auseinandersetzung um Futter zu gewinnen, massiv gesteigert werden!!! Manche Tiere setzen außerdem auch häufig andere Strategien als direkte Konfrontationen ein und gelangen dennoch an eine begehrte Ressource. Und last but not least gibt es Konstellationen, in denen bestimmte Tiere in bestimmten Situationen immer die Nase vorne haben (Begabungen), in anderen jedoch immer „versagen“ (Defizite).
Ergo sind die Beziehungen in Gruppen im Allgemeinen und in Rudeln/Familien im Besonderen vielfältig und extrem komplex. Das eigentliche Ziel der Dominanztheorie, nämlich Beziehungen zwischen Mitgliedern organisierter Tiergesellschaften, also z.B. in Wolfsrudeln, zu beschreiben, zu erklären und voraussagen zu können, wird also schwierig zu erreichen sein, da dies eine starre Rangordnung voraussetzen würde.
HUNDERUDEL – GIBT ES SIE?
SOWEIT ZUM WOLF – ABER WIE IST DAS BEI HUNDEN?
Studien an wild-/freilebenden Hunden zeigen, dass Hunde – egal ob im städtischen oder ländlichen Raum – tendenziell NICHT in sozial strukturierten Rudeln leben, sondern bestenfalls unstrukturierte Gruppen bilden. Am häufigsten bestehen diese losen Assoziationen aus 2-3 Tieren und werden nach kurzen Perioden wieder aufgelöst. Solche Gruppen bieten einen Selektionsvorteil, wenn Gefahr von Raubtieren ausgeht und dienen der Fortpflanzung. Ansonsten zeigen Hunde im städtischen Bereich sogar eine starke Tendenz, sich aus dem Weg zu gehen. Besonders Stadthunde ernähren sich von Abfällen, aber auch Hunde aus ländlicher Umgebung jagen kein Großwild, was das Jagen in Gruppen unnötig macht und dem Einzelgänger ernährungsmäßig sogar Vorteile bietet. Die Welpen werden – im Gegensatz zu Wölfen – ausschließlich von der Hündin versorgt und ihre Überlebenschancen sind gering.
FAZIT: Freilebende Hunde leben vorzugsweise nahe menschlicher Siedlungen und ernähren sich von Abfällen. Dadurch bringt es Hunden – verglichen mit ihren jagenden Artgenossen, den Wölfen – keinen Vorteil mehr, im Rudel zu leben.
(Bradshaw, Blackwell & Casey, 2009; Coppinger & Coppinger, 2003).
DIE FOLGEN DER DOMINANZTHEORIE FÜR DEN HUND
Für Hunde hatte die Dominanztheorie, wie sie aus den ursprünglichen Wolfsbeobachtungen abgeleitet worden war, gravierende Folgen!
Denn basierend auf der Dominanztheorie wurden u.a. folgende veraltete Rangordnungsregeln für Hunde erstellt:
- Essen Sie selbst etwas, bevor Sie den Hund füttern, denn der Alpha isst zuerst.
- Lassen Sie den Hund keinesfalls im Bett schlafen, denn der Alpha teilt sein Lager nicht mit Rangniederen.
- Gestatten Sie dem Hund nicht, sich oberhalb der Treppe hinzulegen, denn der Alpha beansprucht die höchstgelegene Stelle für sich.
- Erlauben Sie keinesfalls, dass der Hund im Eingangsbereich oder der Tür liegt, denn der Alpha beobachtet das Kommen und Gehen seines „Rudels“.
- Steigen Sie niemals über Ihren Hund. Er soll aufstehen und dem Alpha den Weg frei machen.
- Lassen Sie Ihren Hund niemals zuerst durch die Tür gehen, denn der Alpha hat das Privileg, als Erster zu gehen.
- Hunde, die an der Leine ziehen, sind dominant. Nur der Alpha führt das Rudel an.
- Lassen Sie nie den Hund bestimmen, wann ein Spiel beginnt oder endet, denn der Alpha kontrolliert das Spiel.
- Lassen Sie Ihren Hund niemals ein Beutespiel gewinnen, denn die Trophäe gewinnt immer der Alpha.
Zudem sollte man dem Hund immer mal sein Futter wegnehmen und es wurde noch die sogenannte Alpharolle propagiert, d.h. dass der Mensch seinen Hund bei Ungehorsam in einer unterwürfigen Position fixieren sollte.
Beachtenswert ist hierbei, dass – abgesehen davon, dass die zugrundeliegende Studie durch ihr fehlerhaftes Setting keine korrekten Daten geliefert hatte – Hunde seit zigtausend Jahren genetisch von den Wölfen separiert sind, aber dennoch derartige Dominanzregeln aus der Wolfsforschung auf Hunde übertragen wurden.
BEZIEHUNGEN ZWISCHEN HUNDEN, DIE IN EINEM HAUSHALT LEBEN
Betrachten wir aus dem gewonnenen Wissen zunächst einmal den Mehrhundehaushalt:
Hunde, die mit einem oder mehreren Artgenossen in einem Haushalt leben, unterscheiden sich meist durch Rasse und Alter und sind üblicherweise nicht verwandt.
Werden die Hunde bei deren Kennenlernen „sich selbst überlassen“, gewinnen sie nach optischem Taxieren und eventuell in einem Spiel zunächst Informationen zur Einschätzung des Gegenübers. Signalisiert keiner der Hunde Unterwerfung, kann es auch zur Auseinandersetzung kommen, die meist laut und kurz abläuft. Derartige Auseinandersetzungen sind ritualisiert und gehören auch zum Beurteilungsprozess dazu. Üblicherweise lösen sich diese Konfrontationen im stattfindenden Lernprozess von selbst auf und es entwickelt sich eine – wie auch immer geartete – Beziehung zwischen den Hunden. Auch diese Beziehung ist einem Entwicklungsprozess unterworfen.
Um die Weichen für die Zukunft optimal zu stellen, sollte der Mensch, wie weiter unten beschrieben, das Kennenlernen von Hunden, die künftig zusammenleben sollen, gut begleiten, denn Vorbeugen ist immer besser als Heilen, sofern Letzteres nach einer direkten Konfrontation überhaupt noch möglich ist.
Zu beachten wäre in jedem Fall, dass in einem Haushalt mit mehreren Hunden vermehrt Stress aufgrund von zu engen Bedingungen, Reizüberflutung oder unpassender Zusammensetzung der Gruppe (Antipathien) entstehen kann. Gar nicht so selten ist diese permanente Belastung auch Ursache für andauernde Reibereien unter den Hunden! Diese lassen sich – schon alleine wegen der bisher besprochenen Details – sicher nicht dadurch lösen, dass man den angeblich dominanten Hund in seiner Rangordnung unterstützt, sondern nur, indem die Ursache des Problems beseitigt wird.
Hilfreich bei der Konfliktlösung zwischen Hunden eines Haushaltes können z.B. Verhaltensinterventionen sein, die auf operanter und/oder klassischer Konditionierung beruhen. Das bedeutet z.B., dass man die Aversion eines Hundes gegen einen anderen abbaut, indem man ein Trainingsprogramm durchführt, das eine positive Verknüpfung mit dem Auftauchen des anderen Hundes herstellt.
Noch besser wäre, Konflikte von Hunden, die im gleichen Haushalt leben sollen, durch Planung und gutes Management gar nicht erst aufkommen zu lassen. Das Kennenlernen sollte zunächst gesichert durch Leine oder Zäune auf große Distanz stattfinden dürfen. Im Anschluss daran eignen sich gemeinsame Spaziergänge – zuerst auf so große Distanz, dass kein „Hundemagnetismus“ auftritt. Die langsame Annäherung kann auch mehrere Spaziergänge dauern. Erst, wenn die Hunde nicht mehr zueinander ziehen, sollten sie Kontakt zueinander haben. Hunde, die keine Ressourcen verteidigen, können auch gemeinsam Leckerli suchen und sich so ruhig kennenlernen, wie es in diesem Video von Nellie und Elliot zu sehen ist:
Bei Hunden, die regelmäßig Kontakt zueinander haben werden oder im gleichen Haushalt leben sollen, ist mir persönlich immer wichtig, dass von Anfang an ein ruhiges „NEBENeinander“ herrscht. Aktiv zueinander Kontakt aufnehmen oder sogar MITeinander spielen sind Aktionen, die sich dann im Laufe der Zeit entwickeln dürfen.
Hunde, die aufgeregt sind, aufeinander zu ziehen und (scheinbar) Kontakt haben möchten, lasse ich NICHT zueinander. Hier ist mir die Gefahr zu groß, dass die Aufregung in zu stürmischer Interaktion resultiert und dass die Stimmung kippt. Viele Hundehalter gehen zudem bei einer „körperlichen“ Interaktion zwischen Hunden fälschlicherweise von einem Spiel aus – ein schönes Spiel mit wechselnden Rollen ist häufig nur bei Hunden zu beobachten, die sich gut kennen.
Ich habe zum Thema Spielen einen Artikel für die VÖHT (Vereinigung Österreichischer Hunde-Verhaltenstrainer:innen) verfasst, der hier nachgelesen werden kann: https://www.voeht.at/2018/11/28/warum-mit-wem-und-wie-spielen-erwachsene-hunde-eigentlich/
DOMINANZ ZWISCHEN MENSCH UND HUND?
Wie sieht es eigentlich mit der Beziehung zwischen Menschen und Hunden aus?
Die Dominanztheorie überzeugt auch heute noch Hundebesitzer davon, vollkommen natürliche Verhaltensweisen von Hunden als Anzeichen dafür zu werten, dass der Hund alle Macht an sich reißen möchte und verlangt vom Menschen, aggressiv gegen seinen Hund um die Position des Rudelführers / Alphas zu „konkurrieren“. Dies wird auch immer noch von vielen Trainern empfohlen und von zahlreichen Hundehaltern leider so umgesetzt. Ergebnis ist häufig eine total ruinierte Beziehung zwischen Hund und Mensch und die Gefahr, dass die Situation endgültig eskaliert!
Vermeintliche „Dominanzprobleme“ zeigen sich – nach Meinung der Verfechter der Dominanztheorie – z.B. wenn der Hund an der Leine zieht, Futter verteidigt, Menschen anspringt oder aggressiv reagiert.
WIE MAN ANDERS MIT DIESEN UNERWÜNSCHTEN VERHALTENSWEISEN UMGEHEN KANN
Tatsächlich weiß man heute, dass jede Verhaltensproblematik – auch Aggression – eine Ursache und zumindest einen Auslöser hat und durch Verstärker (etwas, das der Hund als lohnend empfindet) gefördert und aufrechterhalten wird. Faktoren, die unerwünschte Verhaltensweisen auslösen und/oder begünstigen, sind Gesundheit, Genetik, Defizite in der Sozialisierung und Habituation sowie Lernprozesse.
Für die oben genannten unerwünschten Verhaltensweisen von Hunden möchte ich hier einige mögliche Lösungswege skizzieren, die nicht auf dem Dominanz-Konzept beruhen:
- Hunde, die an der Leine ziehen, haben einerseits nicht gelernt, an lockerer Leine zu gehen und andererseits in der Regel schon häufig Erfolg mit dem Ziehen an der Leine gehabt (z.B. indem sie durch das Leineziehen an eine begehrte Schnüffelstelle gelangt sind).
Zusätzlich ist häufig nicht das Gehen an Lockerer Leine per se, sondern der Grad der Aufregung Ursache für das Ziehen an der Leine!
Für das Training der Leinenführigkeit empfehle ich folgende Schwerpunkte:
- Gewöhnung an die (neue) Umwelt des Hundes, damit keine unnötigen Aufregungen oder Ablenkungen auftreten
- Von Anfang an sollte die freiwillige Nähe des Hundes belohnt werden.
- Zusätzlich erfolgt gezieltes Training der Leinenführigkeit an der „normalen Führleine“ neben dem Menschen in ansteigender Dauer und unter steigender Ablenkung.
Im belohnungsbasierten Training bedeutet das, dass man gar nicht erst auf das Ziehen an der Leine wartet, sondern den Hund AUFBAUEND für eine (im Durchschnitt) steigende Anzahl an Schritten gezielt belohnt, wie es z.B. in diesem Video zu sehen ist:
Und das geht richtig schnell. Die Hündin im Video hat 5 Jahre „Ziehgeschichte“ hinter sich und hat in 8(!) Trainingseinheiten gelernt, 100 Schritte sowohl rechts als auch links von mir an lockerer Leine zu gehen.
- Für das Training an „kurzer“ Leine empfehle ich zudem, dass der Hund anders angeleint wird – z.B. gleichzeitig an 2 Ringen des Brustgeschirres bzw. am Rücken des Brustgeschirres plus am Halsband mit je einem Karabiner der Leine. SOFORT nach einer kurzen Trainingseinheit macht der Hund Pause im „Freizeitmodus“ (nur am Rückenring des Brustgeschirres angeleint oder ohne Leine).
- Futter ist eine wichtige Ressource – ohne Nahrung kein Überleben! Wenn man jemandem – ob Hund oder Mensch – etwas Wichtiges wegnimmt oder wegnehmen möchte, löst das jedenfalls negative Emotionen aus.
Mein Jungspund hat heftigst sogar seinen leeren Napf verteidigt – und das bereits im Welpenalter!
Ich habe daraufhin zunächst etwas sehr Hochwertiges (Schinken) gegen den leeren Napf getauscht und dann über die Zeit das Apportieren des Napfes in meine Hand mit meinem Hund trainiert.
Auch das Ausspucken von Gegenständen und gefundenen Schätzen, wie z.B. Katzenkacke, haben wir erfolgreich und über Belohnung trainiert:
- Menschen anspringen ist nicht nur unangenehm, macht ggf. Kleindung schmutzig oder kaputt und kann durchaus auch gefährlich sein, wenn der Mensch dadurch stürzt oder verletzt wird. Hochspringen kann z.B. folgende Gründe haben:
- Aufgeregtheit bei Begrüßungen
- Erreichen von z.B. Spielzeug etc. in der Hand des Menschen
- Heischen nach Aufmerksamkeit
JEDE URSACHE ERFORDERT IHREN EIGENEN TRAININGSANSATZ:
- Bei Begrüßungen könnte man die Aufregung anfangs vermindern durch größeren Abstand zu anderen Menschen und durch gezieltes Training eines alternativen Verhaltens wie z.B. dem Sitzen, das man dabei hochwertig belohnt.
Bekommt man Besuch zu Hause, kann man dem Hund auch einen hochwertigen Kauartikel (Kugelknochen) oder etwas zum Schlecken (Kong, Lickimat) sowie soziale Unterstützung anbieten, während eine zweite Person den Gast hereinbittet. - Dass der Hund einem Spielzeug in der Hand nicht nachspringt, könnte man trainieren, indem man Ruhepositionen belohnt und mit dem Spielzeug kleinschrittig immer mehr Ablenkung ins Training einbaut.
Alternativ, aber auch zusätzlich kann man schlichtweg darauf achten, das Spielzeug immer nur dann zu werfen, wenn der Hund zuvor erwünschtes Verhalten (alle 4 Pfoten auf dem Boden, kein Bellen etc.) zeigt.
- Zum Heischen nach Aufmerksamkeit ist zu sagen, dass viele Hunde im Laufe ihres Lebens Folgendes lernen: Verhält der Hund sich ruhig und angemessen, rentiert sich das nicht – er wird NICHT beachtet. Ist der Hund „lästig“, bekommt er sofort die Aufmerksamkeit aller Menschen.
Hier kommt es ganz besonders auf das Timing an: Wer von Anfang an seinen Hund für Ruhe belohnt, wird einen ruhenden und angenehmen Begleiter an seiner Seite haben. Wer immer nur reagiert (egal ob mit Leckerli oder durch Strafe), wenn der Hund „lästig“ ist, wird einen aufmerksamkeitsheischenden Hund an seiner Seite haben. - Aggressionsverhalten wird häufig aufgrund von Schmerzen oder Angst gezeigt. Aber auch, wenn ein Hund sich z.B. überfordert fühlt.
Kürzlich kam ein Welpe(!) wegen Aggressionsverhalten zu mir ins Training. Er hatte sich bereits gegen zwei Hundefriseure und einen Tierarzt aggressiv verhalten.
Mit diesem Hund – der übrigens entzückend ist – trainieren wir nun Kooperationssignale. Nimmt der Hund eine bestimmte Position ein (z.B. indem er sein Kinn auf einen Hocker legt), ist er bereit, behandelt zu werden. Hebt der Hund diese Position auf, braucht er eine Pause, die der behandelnde Mensch respektieren muss.
So kann entspanntes Behandeln eines Tieres aussehen:
Kooperationssignale helfen Hunden z.B. auch beim Bürsten. Denn auch das Bürsten ist für einen Hund keine „Selbstverständlichkeit“, sondern der Mensch unterschreitet dabei die Individualdistanz und führt – häufig in bedrohlicher (übergebeugter) Haltung – unangenehme Dinge aus.
Auch zum Umgang mit unerwünschten Verhaltensweisen habe ich einen Artikel für die VÖHT geschrieben, der hier nachgelesen werden kann: https://www.voeht.at/2018/12/12/wenn-s-nicht-rund-läuft-vom-umgang-mit-unerwünschten-verhaltensweisen/
Probleme zwischen Hund und Mensch resultieren also in der Regel NICHT, weil der Hund „dominant“ ist, sondern häufig aus Distanzunterschreitung, Missachtung der Körpersprache, Überforderung oder schlichtweg, weil man dem Hund das erwünschte Verhalten nie durch aufbauendes Training beigebracht hat.
In einer Studie (Hibly 2004) konnte z.B. gezeigt werden, dass durch Bestrafung (definiert als: prügeln, strenge Kommandos geben, den Hund wegschicken, Leinenruck) KEINE der gestellten Aufgaben (Stubenreinheit, Zerkauen von Gegenständen, Stehlen, Sitz, Zurückkommen, einen Gegenstand abgeben, Fußtraining) effektiver und nachhaltiger erlernt wurde, als durch Belohnung (definiert als: Spiel, Futter, Lob). Außerdem korreliert der generelle Gehorsam eines Hundes signifikant mit der Anzahl der auf Belohnungsbasis durchgeführten Trainings. So können sowohl Hund als auch Mensch aus ihrer Interaktion Vorteile gewinnen, die Bindung wird gestärkt und wir fördern Ausbildungsmethoden, bei denen respektvoll mit Tieren umgegangen wird.
FAZIT:
Dominanz wird häufig als Synonym für z.B. Aggression, Gewinner, Fortpflanzungsstatus, Privilegien etc. verwendet. Besser wäre es, stattdessen die bereits verfügbaren Begriffe, die weniger umstritten und weniger missverständlich sind, zu verwenden. Wichtig ist, dass Dominanz in der Regel NICHT die Ursache für unerwünschtes Verhalten unserer Hunde ist – weder zwischen Hunden im Mehrhundehaushalt noch zwischen Hund und Mensch.
Verhaltensproblemen kann man häufig vorbeugen, indem wir Menschen ein freundliches, nicht von Konfrontation geprägtes und v.a. ein – für den Hund – vorhersagbares Verhalten zeigen.
Wir sollten so oft als möglich erwünschtes Verhalten belohnen und somit dessen Auftreten fördern.
Durch gut geplante begleitende Managementmaßnahmen (z.B. ausreichend Abstand, graduell steigende Ablenkungen, etc.), kann die Wahrscheinlichkeit von erwünschtem Verhalten weiter gesteigert werden.
Zu erwähnen wäre noch, dass belohnungsbasiertes Training – wie es dem Stand der Wissenschaft entspricht – zahlreiche Vorteile bringt:
Aufbauendes Training mit Belohnung ist in der Regel effizienter! Die abgefragten Übungen werden von Hunden verlässlicher und rascher ausgeführt. Und Training über Belohnung birgt jedenfalls deutlich weniger Gefahren als strafbasiertes Training (z.B. Mills, 2020).
Einziger Nachteil: Training über positiver Verstärkung verlangt weitaus mehr Wissen und Können als die „bescheidenen“ Rezepte, die die Dominanztheorie verwendet. Dieses Wissen und Können sollte ggf. mit Unterstützung qualifizierter Hundetrainer:innen erarbeitet werden, denn belohnungsbasiertes Training ist das stärkste Werkzeug, um gezielt Verhalten zu ändern (Schöning 2020).
REFERENZEN:
- MBH Schilder, CM Vinke, JAM van der Borg: Dominance in domestic dogs revisited: Useful habit and useful construct? Journal of Veterinary Behavior 9: 184-191, 2014
- AC Jones, SD Gosling: Temperament and personality in dogs (Canis familiaris): A review and evaluation of past research. Applied Animal Behaviour Science 95: 1–53, 2005
- E Zimen: Social dynamics of the wolf pack. In The wild canids: Their systematics, behavioral ecology and evolution (pages 336-362). WM Fox (Editor); New York: Van Nostrand Reinhold, 1975
- DL Mech: Alpha status, dominance, and division of labor in wolf packs. Canadian Journal of Zoology 77: 1196-1203, 1999
- G Bloch: Verhaltensbeobachtungen an Wölfen zur Bewertung der im Hundeerziehungsbereich gebräuchlichen Begriffe “Alphawolf”, “Rudelführer” und “Dominanz”. Internationales Hundesymposium 13-22, 2003
- R Lockwood: Ethology, Ecology and Epidemiology of Canine Aggression. In The Domestic Dog – ist Evolution, Behavior and Interactions with people. Ed. J. Serpell. 2nd Edition 2017
- LD Mech: Leadership in Wolf, Canis lupus, Packs. Canad. Field Naturalist 114:2 (2000). pp 259-263
- JWS Bradshaw, EJ Blackwell, RA Casey: Dominance in domestic dogs – useful construct or bad habit? Journal of Veterinary Behavior (2009) 4, 135-144
- R Coppinger, L Coppinger: Hunde: Neue Erkenntnisse über Herkunft, Verhalten und Evolution der Kaniden. Animal Learn Verlag 2003
- EF Hiby, NJ Rooney, JWS Bradshaw: Dog training methods: their use, effectiveness and interaction with behaviour and welfare. Animal Welfare 13: 63-69, 2004
- B Schöning: Aggressive Behavior in Dogs – An Overview of Diagnosis and Treatment. Advances in Small Animal Care 1 (2020) 9–23
- L China, DS Mills, JJ Cooper: Efficacy of dog training with and without remote electronic collars vs. a focus on positive reinforcement. Front. Vet. Sci. 7:508, 2020. doi: 10.3389/fvets.2020.00508
Weiterführende populärwissenschaftliche Literatur:
- Reizwort “Dominanz”. In Sitz Platz Fuß: Das Bookazin für anspruchsvolle Hundefreunde Ausgabe 41. Cadmos Verlag, 2020
- O’Heare J: Die Dominanztheorie bei Hunden. Eine wissenschaftliche Betrachtung., Animal Learn Verlag, 2005
- Eaton B: Dominanz – Tatsache oder fixe Idee?, Animal Learn Verlag, 2003