Typische Fehler im Medical Training
WENN DER HUND “NEIN” SAGT…
Häufige Fehler bei der Anwendung von Kooperationsverhalten im Medical Training
„Mein Hund hat bei der Anwendung von Kooperationsverhalten im Medical Training ab und zu keine Lust mehr und beendet die Mitarbeit – Ist das normal?“
Diese Frage wurde mir bei Social Media unter einem Beitrag zum Thema Medical Training gestellt. Ich begann eine Antwort zu tippen, doch während ich schrieb, wurde mir klar, dass diese Frage nicht einfach so zu beantworten ist.
Wenn der Hund „keine Lust mehr“ hat, also aus dem Training aussteigt, kann das unterschiedliche Gründe haben. Es ist spannend, einen genaueren Blick auf mögliche Ursachen zu werfen. Oft können scheinbare Kleinigkeiten einen großen Einfluss haben!
Was könnte dahinter stecken, wenn der Hund sich eine Pause nimmt? In diesem Beitrag möchte ich euch einige mögliche Gründe vorstellen.
Ganz grundsätzlich ist es kein Problem, wenn der Hund uns signalisiert, dass er eine Pause braucht. Genau dieses Mitspracherecht ist ja das Schöne am Medical Training. Im Idealfall schaffen wir es aber, Medical Training mit Kooperationsverhalten so durchzuführen, dass der Hund sich dabei immer wohl fühlt und mit Spaß bei der Sache ist! Wenn wir also herausfinden, warum unser Hund zwischendurch eine Pause braucht, können wir unser Training bei Bedarf so anpassen, dass es keine versteckten Stressoren für unseren Hund beinhaltet, oder ihn selber rechtzeitig in eine Pause entlassen, ehe wir Gefahr laufen, ihn zu überfordern.
Was sind nun die häufigsten Ursachen dafür, dass der Hund bei der Anwendung von Kooperationsverhalten im Medical Training eine Pause braucht und das Verhalten unterbricht?
- Zu große Trainingsschritte: Oft sind wir Menschen im Medical Training auf das konzentriert, was wir mit dem Hund tun, z.B. Scheren/Fellpflege, Krallen schneiden/schleifen oder eine kleine Wunde versorgen. Dabei passiert es schnell, dass wir das tolle, kooperative Verhalten des Hundes weniger oft belohnen, als wir es bisher im Training getan haben, oder wir übersehen Stresssignale. Damit überfordern wir den Hund versehentlich und lösen unter Umständen Angst oder Frust aus. Beides kann dazu führen, dass der Hund das Kooperationsverhalten weniger gerne zeigt oder sogar die Kooperation für den Moment ganz einstellt.
- Es lohnt sich nicht, länger mitzuarbeiten: Aus Hundesicht lohnt sich das Zeigen des Kooperationsverhaltens nicht dauerhaft, wenn die Belohnung nicht hochwertig genug ist. Eine höhere Belohnungsfrequenz durch mehr oder qualitativ höherwertigere Leckerchen könnte hier einen großen Unterschied machen. Wird das Kooperationsverhalten für eine längere Dauer gezeigt, sollte am Ende mehr Belohnung gegeben werden als bei einer kürzeren Dauer, damit die Verhaltensökonomie aus Hundesicht stimmt. Oft wird auch beim Aufbau von Dauer nicht kleinschrittig genug vorgegangen. Ein guter Trainingsplan ist hier essenziell.
- Der Hund ist satt: Gerade bei Kleinsthunden passiert es bei hoher Belohnungsfrequenz sehr schnell, dass sie einfach satt sind. In diesem Fall bleibt, abgesehen von der Verwendung wirklich kleiner Mengen zur Belohnung (winzige, weiche Stückchen oder kleine Mengen schleckbarer Pasten) nur, die Prozedur in kleineren Einheiten durchzuführen und Verdauungspausen einzulegen.
- Der Wert des Verstärkers ist nicht ausreichend: Soll der Hund beim Medical Training unangenehme Reize entspannt aushalten, so muss sich das kooperative Verhalten aus seiner Sicht lohnen. Eventuell ist eine Futtersorte, für die der Hund im Alltag gerne kooperiert, im Medical Training nicht hochwertig genug als Verstärker. Hat ein Hund Magen-Darm-Probleme oder fühlt er sich körperlich nicht wohl, ist Futter vielleicht in diesem Moment überhaupt nicht als Verstärker geeignet. Außerdem kann es sein, dass der Hund bei mangelndem Timing die unangenehmen (Schmerz-)Reize aus dem Medical Training mit einer bestimmten Futtersorte verknüpft hat und diese nun nicht mehr nehmen möchte. Es lohnt sich, verschiedene hochwertige Futtersorten als Verstärker auszutesten. Möchte der Hund generell oft kein Futter als Verstärker nehmen, sollte er gegebenenfalls einer Tierärzt:in vorgestellt werden.
- Das Zeigen des Kooperationsverhaltens über längere Zeit ist körperlich anstrengend: Je nach gewähltem Kooperationsverhalten und körperlicher Verfassung des Hundes kann es anstrengend sein, eine bestimmte Position länger zu halten. Gerade für sehr junge, alte oder (chronisch) kranke Hunde kann zum Beispiel das Kinntarget im Stehen oder Sitzen auf Dauer wirklich unbequem werden. Auch ein eigentlich entspanntes Liegen in Seitenlage kann je nach Untergrund irgendwann zu Druckbelastungen führen. Es lohnt sich, verschiedene Kooperationsverhalten zu trainieren, um bei Bedarf wechseln zu können, und auf regelmäßige Pausen mit Möglichkeit zur Bewegung zu achten. Auch die Wahl eines geeigneten Untergrundes kann entscheidend sein.
- Unklare Kriterien durch suboptimales Timing: Kleine Fehler im Timing beim Markern bzw. der Übergabe der Futterbelohnung können dazu führen, dass die Kriterien für den Hund doch nicht so klar sind, wie wir denken. Im Klartext: Der Hund wird versehentlich immer mal wieder auch für eigentlich unerwünschte Bewegungen verstärkt. In der Folge wird er sich öfter bewegen, was wiederum die Belohnungsfrequenz absinken lässt und Frust auslöst. Frust fühlt sich unangenehm an – der Hund steigt aus dem Training aus, um ihm zu entgehen.
- Die durchgeführte Prozedur ist unangenehm oder schmerzhaft: Durch Medical Training können Tiere lernen, auch bei unangenehmen oder gar schmerzhaften Prozeduren vertrauensvoll zu kooperieren. Wann immer es möglich ist, sollten wir aber versuchen, unangenehme oder schmerzhafte Sinneseindrücke zu vermeiden. Oft kann durch eine Veränderung der Pflegeroutine viel verbessert werden. So finden viele Hunde nach entsprechendem Training Krallen schleifen deutlich angenehmer als schneiden. Durch die vorherige Anwendung geeigneter Fellpflegeprodukte können Knötchen reduziert werden, so dass Bürsten oder Scheren nicht mehr ziept, und für den jeweiligen Felltyp geeignete Bürsten und Kämme sowie die richtige Bürsttechnik machen oft einen entscheidenden Unterschied.
Auch wenn der große Vorteil des Kooperationsverhaltens im Medical Training genau darin liegt, dass der Hund uns durch sein Verhalten zeigen kann, wenn er eine Pause braucht oder überfordert ist, sollte unser Ziel immer sein, nur Manipulationen am Hund durchzuführen, die dieser entspannt tolerieren kann. Man kann sich die Anwendung des Kooperationsverhaltens wie ein Frage-und-Antwort-Spiel vorstellen.
Dabei stellen wir dem Hund die Frage: „Kannst du das Kooperationsverhalten zeigen, während ich XY mit dir tue?“ Bei gut aufgebautem Medical Training sollte die Antwort des Hundes so oft wie möglich ein klares „Ja!“ sein. Diese Antwort gibt der Hund durch das entspannte Halten des Kooperationsverhaltens.
Jedes „Nein“ des Hundes (also Unterbrechen des Kooperationsverhaltens) sollte beim Menschen für Aufmerksamkeit sorgen – gegebenenfalls sollten wir etwas an unserem Training verändern, um das gemeinsame Medical Training für den Hund entspannter, leichter und/oder lohnenswerter zu machen.