Verletzung durch Grannen – eine unterschätzte Gefahr für den Hund beim Spaziergang
Ein vorsichtiger Entfernungsversuch mit der Fremdkörperfasszange scheitert. Obwohl Ellie bei medizinischen Prozeduren grundsätzlich sehr kooperativ ist, kann sie hierbei nicht stillhalten. Die Granne im Ohr tut ihr zu sehr weh, und ich muss zu nah am empfindlichen Trommelfell arbeiten. Um die Granne schnell und sicher entfernen zu können, kommen wir um eine Narkose leider nicht herum. Als Ellie schläft, lässt sich die Granne gut greifen und an einem Stück aus dem Gehörgang entfernen. Ellie hatte Glück im Unglück: Das Trommelfell ist intakt und der Gehörgang lediglich ein wenig gereizt, aber nicht verletzt. Schon zwei Stunden später ist sie wieder munter und hat die Prozedur ohne bleibende Schäden überstanden.
- Vom späten Frühling bis zum Ende des Sommers sind Hundehalter und Tierärzte mit einem unscheinbaren, doch leider potenziell gefährlichen Pflanzenteil konfrontiert, der Ursache für teils schwere Verletzungen ist: Der Granne.
Grannen sind Fortsätze von Pflanzenorganen verschiedener Gräser und Getreidearten. Häufig sind sie mit einer rauen Oberfläche und kleinen Widerhaken ausgestattet. Diese Widerhaken sorgen dafür, dass Grannen im Fell von Tieren hängenbleiben und fördern so die Verbreitung der Pflanzen. Einmal im Fell festgesetzt, kann sich die Granne nur noch in eine Richtung bewegen, da die Widerhaken die Bewegung in die andere Richtung blockieren. Bei jeder Bewegung des Tieres wird die Granne ein wenig weiter vorgeschoben. Im besten Fall fällt sie irgendwann aus dem Fell oder wird vom Tierbesitzer rechtzeitig entfernt. In einigen Körperregionen können Grannen jedoch großen Schaden anrichten, wenn sie zu lange unbemerkt bleiben.
- In den Ohren:
- Haken sie sich, wie in Ellies Fall, in der Ohrmuschel fest, können sie schnell in den äußeren Gehörgang gelangen. Dort wandern sie weiter in Richtung des Trommelfells, was für das betroffene Tier sehr schmerzhaft ist. Durch die Widerhaken können sie im Gegensatz zu anderen Fremdkörpern nicht einfach hinaus geschüttelt werden, sondern bleiben im Gehörgang. Werden sie dort nicht rechtzeitig entdeckt und entfernt, können sie schwere Entzündungen hervorrufen und sogar das Trommelfell zerstören.
Zehen und Pfoten:
Ebenfalls gefürchtet sind Grannen, die sich zwischen den Zehen festsetzen. Durch die Widerhaken bohren sich Grannen zwischen den Zehen in die Haut und können in kürzester Zeit ganz in der Pfote verschwinden. Betroffene Tiere belecken die Pfote meist sehr stark und lahmen oft deutlich. Von außen sieht man teilweise nur eine deutliche Schwellung. Die kleine Eintrittspforte an der Pfotenunterseite ist so unscheinbar, dass sie manchmal auf den ersten Blick übersehen wird, oder bereits wieder abgeheilt ist, wenn der Hund beim Tierarzt vorgestellt wird. Da die Granne in der Pfote ein Fremdkörper ist und Bakterien in das Gewebe trägt, entstehen innerhalb kürzester Zeit schlimme, oft eitrige Entzündungen. Im besten Fall wandert die Granne von unten nach oben durch die Pfote und tritt oben zwischen den Zehen wieder hervor. Ein Verband mit Zugsalbe kann diesen Prozess in einigen Fällen unterstützen. Teilweise bleibt die Granne jedoch irgendwo im Gewebe stecken oder wandert weiter am Bein entlang. In solchen Fällen bleibt nur eine operative Entfernung der Granne in Vollnarkose, um die Entzündung einzudämmen. Häufig sind solche Operationen recht kompliziert, da die Granne einen weiten Weg zurücklegen kann und nicht immer einfach zu finden ist. Zudem sind die anatomischen Strukturen der Hundepfote sehr filigran, was eine Herausforderung für den Chirurgen darstellt. In jedem Fall sollte ein Hund mit einer durch eine Granne hervorgerufenen Entzündung nach der Entfernung der Granne aus dem Gewebe mit einem Antibiotikum versorgt werden, um die Entzündung durch Bakterien möglichst schnell in den Griff zu bekommen und ernsthafte Folgeschäden zu vermeiden.
Grannen können auch an anderen Körperstellen ins Gewebe wandern. Selbst unter den Augenlidern oder hinter der Nickhaut (dem sogenannten Dritten Augenlid des Hundes) können sie sich verfangen und das Auge reizen und verletzen. Nicht immer sind Grannen im Auge von außen zu erkennen, da betroffene Hunde das Auge oft zusammenkneifen und die Granne komplett hinter der Nickhaut verschwinden kann. Die Entfernung einer Granne aus dem Auge ist in den meisten Fällen schon mit einer lokalen Betäubung des Auges möglich, sofern die Granne noch keinen großen Schaden angerichtet hat. Wird sie nicht schnell genug entdeckt, kann sie aber auch hier schlimme Verletzungen und Entzündungen hervorrufen.
Auch in die Nasenlöcher können Grannen einwandern. Durch die massive Gewebereizung kommt es zu anfallsartigen Niesanfällen und teilweise auch zu Nasenausfluss. Wird eine Granne in der Nase nicht rechtzeitig entdeckt und entfernt, kann sie im Laufe der Zeit über die Atemwege bis in die Lunge wandern und dort schwerste, teils lebensgefährliche Entzündungen verursachen. Während eine Granne aus den oberen Atemwegen in der Regel endoskopisch entfernt werden kann, bleibt nach einer Wanderung in das Lungengewebe häufig nur noch eine chirurgische Entfernung des betroffenen Lungengewebes. Diese schwere Komplikation tritt glücklicherweise nur sehr selten auf.
Der beste Schutz ist das Vermeiden des Kontakts mit grannenbewehrten Gräsern und Getreidearten. In der Stadt wachsen solche Gräser häufig an Straßenrändern und auf Baumscheiben und sind gut zu erkennen. Den Zutritt zu Getreidefeldern sollte man seinem Hund generell verwehren, um zu vermeiden, dass das Getreide zertrampelt wird oder der Hund Wild aufscheucht. Doch beim Spaziergang im Grünen kommt jeder Hund früher oder später in Kontakt mit Grannen. Hier hilft nur, den Hund nach jedem Spaziergang gründlich nach Grannen abzusuchen. Vor allem der Bereich zwischen den Zehen und in den Ohrmuscheln sollte besonders intensiv inspiziert werden. Zudem macht möglichst kurzes Fell es den Grannen schwer, sich anzuheften. Seit dem Vorfall vor zwei Jahren ist Ellies Fell an den Pfoten und den Ohrmuscheln ab dem späten Frühjahr bis zum Herbst sehr kurz geschoren. Seitdem hatten wir glücklicherweise kein Problem mehr mit Grannen.
Doch in der Praxis bin ich im Sommer regelmäßig mit den lästigen Plagegeistern konfrontiert.
Bei Symptomen, die durch eine Granne verursacht sein könnten, wie zum Beispiel heftiges Kopfschütteln, Kratzen am Ohr, Belecken der Pfote mit oder ohne Schwellung oder sichtbare Verletzung, Zusammenkneifen der Augenlider oder anfallsartigem Niesen oder Husten während oder direkt nach dem Spaziergang sollte daher immer schnellstmöglich ein Tierarzt aufgesucht und der Hund gründlich untersucht werden.