Clickertraining mit Bären
Tiere zu trainieren ist für mich beides: Ein Hobby und ein Beruf. Zum Training gekommen bin ich – wie wahrscheinlich die meisten Hundetrainer:innen – über einen schwierigen Hund, der mir meine eigenen Grenzen und mein Unwissen deutlich bewusst machte. Ich begann, mich fortzubilden, tauchte ein in die faszinierende Welt des Tiertrainings über positive Verstärkung und wurde vom „Trainingsvirus“ befallen. Über die Jahre sammelte ich Trainingserfahrung mit vielen unterschiedlichen Tierarten, neben Hunden auch Pferde, Katzen, Hühner, Schweine und Schafe. Daher musste ich nicht lange überlegen, als ich die Gelegenheit bekam, an einem Seminar teilzunehmen, in dem es um das Training von Bären ging.
Gemeinsam mit meinen Trainerkolleginnen Viviane Theby, Katja Frey und Jeanette Glatter machte ich mich im Frühjahr 2013 auf die Reise nach Schweden in den Orsa Björnpark. Der Orsa Björnpark ist der größte Raubtierpark Europas. Hier leben neben verschiedenen Bärenarten auch Tiger, Leoparden, Luchse, Wölfe, Vielfraße und Raubvögel. Mit einer Gesamtfläche von 325.000 m2 ist dieser Park deutlich größer als normale Zoos und bietet seinen Bewohnern großzügige, naturbelassene Gehege, die sich in die bergige Waldlandschaft Grönklitts einfügen und dem natürlichen Lebensraum der Tiere so nah kommen wie möglich. Und in diesem Park sollten wir die einmalige Gelegenheit bekommen, Raubtieren Auge in Auge gegenüber zu stehen und sie zu trainieren. Das Training der Tiere im Björnpark dient nicht der Belustigung des Publikums. Vielmehr geht es darum, den Tieren mentale Stimulation zu bieten und kooperative Verhaltensweisen zu trainieren. Solche kooperativen Verhaltensweisen sind beispielsweise Targettraining oder Bereiche des Medical Trainings, wie das Maulöffnen oder das Einnehmen verschiedener Körperpositionen auf Signal. Mithilfe solcher Verhaltensweisen ist es möglich, den täglichen Umgang mit den Tieren deutlich stressärmer für diese zu gestalten. Außerdem sollten einige Verhalten aus dem natürlichen Repertoire der unterschiedlichen Tiere unter Signalkontrolle gebracht werden, um sie den Besuchern:innen gezielt zeigen zu können. Auf diese Weise sollen vor allem Kinder die Möglichkeit bekommen, etwas über diese Tiere zu lernen.
In der Woche im Bärenpark bekamen wir die Gelegenheit, unterschiedliche Verhaltensweisen mit verschiedenen Tieren zu trainieren. Zuerst jedoch mussten wir uns einer Sicherheitseinweisung unterziehen, da – obwohl wir selbstverständlich nur hinter Zäunen arbeiten würden – die Arbeit mit Raubtieren natürlich ein erhebliches Gefahrenpotential birgt. Das Futter (Weintrauben für die Braunbären, Fleischstücke für die Eisbären und anderen Raubtiere sowie Honig als „Superbelohnung“ für alle Bären) überreichten wir den Tieren mithilfe von Zangen. Da gute „Mechanical skills“ Grundvoraussetzung für gutes Training sind, übten wir die Handhabung der Zangen erst einmal mit menschlichen Partner:innen, und „fütterten“ uns durch den Zaun hindurch gegenseitig mit Weintrauben. Nach dieser Einführung waren wir bereit für die wirklichen Raubtiere. Im Laufe des Seminars konnte ich Trainingserfahrungen mit mehreren Braunbären, einem Eisbären und Vielfraßen sammeln. Zudem wurden wir beauftragt, einen Trainingsplan zu schreiben, mit dessen Hilfe es möglich sein sollte, die Fluchtdistanz des Wolfsrudels gegenüber den Mitarbeiter:innen des Parks zu reduzieren.
Von zwei Tieren, die uns ganz besonders beeindruckt haben, möchte ich im Detail berichten.
BRAUNBÄR “BAMBAM”
Braunbären verfügen über ungeheure Kräfte und schieben auf der Suche nach Fressbarem häufig ganze Felsbrocken beiseite, um an Insekten oder Würmer darunter zu kommen. Dies wollten die Mitarbeiter des Parks den Besuchern demonstrieren können. Daher hatten sie den Braunbären „BamBam“ bereits trainiert, einen bestimmten, weiß angestrichenen Stein in seinem Trainingsgehege zu bewegen. Dieses Verhalten konnte „BamBam“ bereits seit über einem Jahr. Allerdings war noch kein Signal trainiert worden, so dass es immer mehr oder weniger dem Zufall überlassen blieb, ob “BamBam“ den Stein bewegte oder nicht. Unsere Aufgabe war also das Auftrainieren eines Signals für das bereits etablierte Verhalten. Bevor es an das Training ging, machten wir uns einen detaillierten Trainingsplan. Die Schwierigkeit des Vorhabens sahen wir darin, dass „BamBam“ schon so oft dafür belohnt worden war, das Verhalten ohne Signal zu zeigen. Zudem erfuhren wir, dass „BamBam“ bisher noch nie darauf trainiert worden war, irgendein Verhalten auf Signal auszuführen. Wir rechneten damit, dass dies eine schwierige Aufgabe werden würde. Dementsprechend lang, kleinschrittig und mit vielen Ansätzen zur Problemlösung versehen war unser Trainingsplan. Als wir am nächsten Morgen hochmotiviert ans Werk gingen, überraschte „BamBam“ uns jedoch sehr. Ich führte das Signal ein, nachdem „BamBam“ das Verhalten dreimal ohne Signal gezeigt hatte und ich mir sicher war, dass er es gleich wieder zeigen würde. „BamBam“ betrachtete das Signal (ein Blinklicht), und bewegte den Stein. Nach einigen Wiederholungen begannen wir, das Signal langsam hinauszuzögern – und „BamBam“ wartete auf sein Signal. Drei Mal bewegte „BamBam“ den Stein ohne Signal und wurde nicht belohnt. Danach war es, als würde er sagen: „Ah, okay, ich habe es verstanden. Ich soll den Stein nur bewegen, wenn ihr vorher dieses Ding hoch haltet. Alles klar.“ Wir waren alle beeindruckt, wie schnell dieser Bär sein Verhalten änderte. Insgesamt haben wir vier Trainingseinheiten à 3 Minuten mit ihm gearbeitet.
EISBÄR “WILBÄR”
Mit „Wilbär“ sollten wir an zwei Verhalten arbeiten: Maul öffnen und Hinlegen auf Signal.
„Wilbär“ hatte bereits gelernt, sein Maul auf ein Handsignal hin zu öffnen. Bisher hatte er sein Maul immer nur kurz geöffnet und sofort wieder geschlossen und war dafür belohnt worden. Nun sollte er aber lernen, sein Maul so lange geöffnet zu halten, wie das Signal gegeben wird, damit man seine Zähne kontrollieren kann. Wir bekamen ein Video von „Wilbärs“ bisherigem Training zu sehen. Dort war klar erkennbar, dass das Timing nicht optimal gewesen war und oft unbeabsichtigt in dem Moment geclickt worden war, in dem „Wilbär“ sein Maul wieder schloss. Wir erstellten einen Trainingsplan, in dem wir nahezu bei null anfangen wollten. Anfangs belohnten wir das Öffnen des Mauls auf Handsignal sofort. Dann erhöhten wir die Zeit, die „Willbär“ das Maul offen halten sollte, sehr systematisch und kleinschrittig. Schloss „Wilbär“ das Maul zu früh, wurde er nicht belohnt und musste einige Sekunden warten, ehe das Signal erneut gegeben wurde und er eine neue Möglichkeit bekam, sich eine Belohnung zu verdienen. Bis zu einer Dauer von 3 Sekunden kamen wir sehr schnell. Doch wenn wir das Signal 4 Sekunden oder länger hielten, machte „Wilbär“ häufig Fehler. Als wir ihn genauer beobachteten, stellten wir fest, dass er nach längerem Maulöffnen häufig kurze Kaubewegungen machte oder den Kopf schüttelte, als hätte er einen Kieferkrampf. Wir vermuteten, dass es tatsächlich körperlich anstrengend für ihn war, das Maul so lange geöffnet zu halten. Als wir dies erkannt hatten, stellten wir unser Belohnungsschema um: Für kurzes Öffnen des Mauls auf Signal gab es seine normale Belohnung, für eine längere Dauer deutlich hochwertigere Belohnungen (Fettstückchen oder Honig). Zudem achteten wir darauf, die Dauer nicht linear zu steigern, sondern gute, lange Durchgänge neben der eigentlichen Futterbelohnung auch mit anschließenden kurzen, einfachen Durchgängen zu belohnen. Diese kleinen Änderungen brachten durchschlagenden Erfolg: Am Ende des Seminars konnte „Wilbär“ sein Maul zuverlässig bis zu 10 Sekunden geöffnet halten.
Das zweite Verhalten, was wir mit „Wilbär“ trainierten, war das Hinlegen auf Signal, wobei wir tatsächlich von null anfangen mussten. Da wir alle ursprünglich aus dem Hundetraining kommen, war es unser persönliches Ziel, nicht nur ein Hinlegen auf Handsignal, sondern auch ein „Bleib“ bis zum Freisignal zu trainieren, was von den übrigen Seminarteilnehmer:innen und den Tiertrainer:innen des Parks mit einigem Erstaunen zur Kenntnis genommen wurde. Auch hier überraschte „Wilbär“ uns wieder mit seiner ungeheuer schnellen Auffassungsgabe: In nicht einmal 30 Minuten hatten wir das Platz auf Signal so trainiert, dass „Wilbär“ liegen blieb, auch wenn wir uns bewegten, und erst auf sein Freisignal wieder aufstand. Hierbei zeigten sich zwei Schwierigkeiten: Einen Eisbären durch einen Zaun hindurch ins Platz zu locken, ist gar nicht so einfach. Beinahe 10 Minuten belohnten wir alle möglichen Zwischenstufen des Hinlegens, bis „Wilbär“ das erste Mal lag. Dies wurde natürlich besonders hochwertig belohnt, und von diesem Moment an legte „Wilbär“ sich zuverlässig hin. Die zweite Schwierigkeit war, dass es einen Eisbären deutlich mehr Energie kostet, aufzustehen, und damit der Schwerkraft entgegen zu wirken, als sich hinzulegen. Daher mussten wir das Aufstehen einige Male gut belohnen, damit es sich für „Wilbär“ lohnte.
Insgesamt waren wir erstaunt darüber, wie unglaublich schnell die Auffassungsgabe der Wildtiere war. Das Problemlösungsvermögen dieser Tiere, deren Eltern zum Teil noch wild gelebt haben und die für ihr eigenes Überleben verantwortlich waren, übersteigt das der Haustiere, mit denen ich bisher gearbeitet habe, eindeutig. In einigen Fällen reichte es, ein einziges Mal das richtige Verhalten zu belohnen, um es anschließend zuverlässig wieder zu bekommen. Auf der anderen Seite hatten wir teilweise mit Problemen zu kämpfen, die bei Haustieren häufig nicht auftreten. So waren die Vielfraße zu Beginn des Trainings extrem scheu und flohen häufig bei kleinen Bewegungen. Nach einigen Tagen waren sie jedoch deutlich entspannter – nicht nur mit uns Trainer:innen, sondern generell allen Menschen gegenüber. Wir Trainer:innen waren insgesamt deutlich mehr gefordert, schnelle Entscheidungen im Training zu treffen und klar, strukturiert und planvoll zu arbeiten, als wir es aus der Arbeit mit Haustieren kennen, und haben unglaublich viel von den beeindruckenden Wildtieren lernen dürfen.
(Beitrag aktualisiert: Februar 2022)