Das Crossoverpferd: wie der Umstieg von klassischem Pferdetraining hin zum Training auf Basis positiver Verstärkung gelingt
Als Crossover (engl. Übergang) werden Pferde bezeichnet, deren Training einen Wechsel zwischen zwei unterschiedlichen Trainingsmethoden durchlaufen bzw. durchlaufen hat. In der Regel wechseln Pferdebesitzer:innen vom konventionellen, auf negativer Verstärkung und Strafen basierenden Training zu Methoden, die auf die sogenannte positive Verstärkung bauen, wie z.B. dem Marker- oder Clickertraining.
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Teile der Pferdeszene durchlaufen einen Wandel und immer mehr Menschen interessieren sich für neue pferdefreundliche Wege. Pferdebesitzer:innen wünschen sich einen fairen und ungezwungenen Umgang mit dem Partner Pferd. Harmonisch soll er sein und das geliebte Tier soll die gemeinsame Zeit genauso wie der Mensch genießen können. Über das belohnungsbasierte Pferdetraining können wir genau das erreichen und es bietet uns noch viele weitere Vorteile. Pferde lernen effektiv und stressfrei, da sie das Gefühl haben, die Situation unter Kontrolle zu haben. Sie sind mit Spaß, Freude und Feuereifer bei der Sache, weil ihr Verhalten für sie angenehme Konsequenzen hat. Außerdem fördert es Kreativität und selbständiges Denken. Doch wie gelingt der Übergang möglichst harmonisch, und was kommt danach?
Während anfangs oft schnelle Erfolge und viele positive Ergebnisse verbucht werden können, treten meist schon bald auch die ersten Probleme auf. Für so manche Besitzer:innen scheinen diese so unüberwindbar, dass sie den Clicker bald wieder an den sprichwörtlichen Nagel hängen. Es prallen Welten aufeinander, weil der Mensch sich von alten Gewohnheiten trennen muss.
Das beste Beispiel ist hier das am Anbindeplatz scharrende Pferd, das vom Menschen immer mit einem „Nein“ oder Ähnlichem bedacht wird. Das ist oft schon ein Automatismus und umso schwieriger zu durchbrechen, je unangenehmer das Verhalten des Pferdes für uns ist. Auf einmal gilt nicht mehr, was immer gegolten hat, Regeln verschwimmen und die ganze Situation wird als mehr oder weniger chaotisch und unkontrollierbar empfunden. Darf jetzt auf dem Weg zur Koppel noch am Halfter geruckt werden und was ist stattdessen zu tun, wenn das Pferd bisher nicht anders zur Weide gebracht werden konnte? Darf ich beim Schmied den Huf oder das Bein meines Pferdes einfach festhalten oder wäre es anders besser? Zu Recht heißt es spätestens hier, die Notbremse zu ziehen und sich zu informieren oder eine Trainer:in um Hilfe zu bitten.
WAS ALSO TUN, DAMIT DER UMSTIEG REIBUNGSLOS GELINGT?
Hier ein paar Tipps:
- möglichst viele Informationen über die Methode einholen
- von leicht zu schwer
(arbeiten Sie nicht gleich an der Piaffe, am Anfang steht die Höflichkeit) - eine angenehme Arbeitsatmosphäre schaffen
(hatten Sie Ärger im Büro, dann bitte lieber nicht sofort trainieren) - Timing schulen
- möglichst kleine Schritte machen
(finden Sie zu jedem Trainingsschritt mind. einen Unterschritt) - erst dann weiter zum nächsten Schritt, wenn der vorherige beherrscht wird
- Trainingstagebuch führen
- Timer stellen (anfangs ist eine Minute konzentriert trainieren schon sehr lang)
- immer nur an einer Übung arbeiten
- last but not least: während der Einheit immer bei einer Methode bleiben
Timing und Blick zu schulen ist eine der zentralen Aufgaben für jede angehende Clickertrainer:in, da die meisten Fehler zu Anfang aus Timing-Problemen entstehen (auch wenn man das nicht gerne hört). Wer ein Verhalten nicht sieht, kann es auch nicht markieren. Wer immer zu spät clickt, wird sein Pferd ungewolltem Stress aussetzen, weil es diesem einfach nicht gelingen kann, das Kriterium zu erkennen. Hier gilt der Satz: „You get what you click, not what you want!“ Es ist also NIE der Fehler des Pferdes, sondern immer der der Trainer:in. Wenn etwas mal nicht so klappt, fragen Sie sich, wofür Sie belohnt haben. Wenn das Pferd also beißt, seit es geclickert wird, hat sich dieses Verhalten wohl für das Tier gelohnt, oder das Pferd wurde durch unklare Kriterien so sehr frustriert, dass es dieses Verhalten als Ventil zum Frustabbau nutzt.
Mit diesen einfachen Regeln lassen sich wirklich viele Probleme aus der Welt schaffen, manche allerdings gehen tiefer.
DAS CROSSOVER-PHÄNOMEN – WENN PLÖTZLICH NICHTS MEHR GEHT
Während die einen Pferde bestimmte Verhaltensweisen zeigen, weil sie unbeabsichtigt dafür belohnt wurden oder Stress haben, gibt es Pferde, die nach dem Methodenwechsel scheinbar plötzlich neue Probleme bekommen. Pferde, die immer besonders brav und ruhig waren, sind nun wie ausgewechselt und Schwierigkeiten, die eigentlich schon lange als abgehakt galten, sind plötzlich wieder in vollem oder noch größeren Umfang da. Das sorgt bei Besitzer:innen für Unmut, lasten sie das Verhalten ihres Tieres doch meist dem Versagen der neuen Methode oder sich selbst an. Oft haben die Pferde früher besonders harmonisch mit ihren Besitzern zusammengearbeitet, nur der Weg zu dieser scheinbaren Harmonie hat deutliche Spuren beim Pferd hinterlassen.
Pferde sind Fluchttiere und Ängste ein großes Thema für diese hochsensiblen Wesen.
Im Training arbeiten wir an Verhalten, aber Gefühle sind trotzdem immer da, sie lassen sich nicht einfach ausschalten. Häufig wird darauf zu wenig Rücksicht genommen, weil uns Menschen auch die eigenen Haltungen und Glaubenssätze prägen. Wer, so wie ich, mit Pferden aufgewachsen ist, der lernt von Kindesbeinen an, dass Pferde nur dann Freunde sein können, wenn sie auch den nötigen Respekt vor uns haben. Dabei wurde Freundschaft gleichgesetzt mit Kontrolle, strenger Hierarchie und Dominanz, und über die tief verwurzelte Angst, die Kontrolle über das Pferd zu verlieren, stolpern wir gerade beim Umstieg immer wieder.
Fehlverhalten wird bestraft, indem immer mehr Druck aufgebaut wird, bis das Pferd tut, was der Mensch von ihm verlangt.
Das heißt, Angst als Motivator wird ganz gezielt im Training eingesetzt und das vermehrt, sobald ein weiteres negatives Gefühl wie Wut oder Frustration hinzukommt. So wird z. B. häufig davon ausgegangen, dass ein Pferd ganz instinktiv die Körpersprache des Menschen verstehen könne. Tut es das aber nicht, versuchen viele Besitzer:innen, noch deutlicher zu werden – indem sie lauter sprechen, schneller gehen oder zusätzlich mit Peitsche oder Strick arbeiten. Für das Pferd eine insgesamt unangenehme, bedrohliche Situation. Damit werden die negativen Emotionen fest mit bestimmten Verhaltensweisen, Gegenständen und auch den Bezugspersonen verknüpft. Im für den Menschen angenehmsten Fall wird das Pferd so nach und nach Eigeninitiative und das deutliche Zeigen von Emotionen in Anwesenheit des Menschen einstellen. Damit hat das Pferd aber noch kein anderes Verhalten gelernt und auch die unangenehmen, negativen Emotionen sind nicht weg.
Das ist etwa so, als würde der Menschen mit Farbe ein Bild übermalen. Je öfter und gründlicher das Bild übermalt wird, desto weniger wird vom ursprünglichen Bild zu sehen sein. Aber trotzdem ist es noch da.
Nun beschließt der Mensch das Training zu ändern, er kennt die Regeln der positiven Verstärkung und wendet diese konsequent an. Nach und nach fallen die Sanktionen, Fehlverhalten wird nicht mehr bestraft und das Pferd für richtiges Verhalten belohnt.
Die ersten Regentropfen fallen auf das Bild und legen so Schicht für Schicht das ursprüngliche Bild wieder frei. Dabei wird jedes Pferd eine ganz eigene Vorgehensweise benötigen und der Mensch oft viel Geduld. Da beim Vermeidungslernen meist unvorhersehbar ist, was das Pferd noch alles sozusagen nebenbei gelernt bzw. negativ verknüpft hat, wird jede Schicht Überraschungen bereithalten. Diese gilt es nach und nach abzuarbeiten.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, das dass Crossover-Phänomen vor allem dort Probleme verursacht, wo – vereinfacht gesagt – versucht wurde, angstmotiviertes Verhalten mit Zwangsmaßnahmen zu unterbinden oder es durch noch stärker ängstigende Reizen zu verändern. Diese Vorgehensweise schafft neue, evtl. weniger sichtbare Probleme und funktioniert scheinbar solange die Angst vor Sanktionen das eigentliche Verhalten hemmt. Häufig trifft es Tiere mit eher passivem Stresstyp, dazu gehören oft Kaltblüter, Haflinger oder auch Ponys. Ihre Art, mit Stress und Angst auslösenden Situationen umzugehen (erstarren/stur sein), fördert das menschliche Problemverhalten.
Die Herausforderung für Trainer:innen und Besitzer:innen liegt im Feststellen des Ist-Zustands und im konsequenten positiven Training. Es gilt eine neutrale Bestandsaufnahme zu machen und sich mit den gezeigten Verhaltensweisen intensiv zu beschäftigen, auch auf der emotionalen Ebene. Sich Stück für Stück vorzuarbeiten, dem Tier neue Alternativen für bestimmte Verhalten anzubieten und unangenehme Emotionen nach und nach durch positive zu ersetzen.
Wo das (noch) nicht möglich ist, kann auf Managementmaßnahmen zurückgegriffen werden, um das alte Verhalten nicht durch Wiederholungen ungewollt zu festigen. Dadurch wird sich die Mensch-Pferd-Beziehung in nie gekannte Höhen aufschwingen, man fängt an, sein Pferd wirklich zu verstehen, es sozusagen mit anderen Augen zu sehen, weil plötzlich so viele „neue“ Facetten auffallen. Unser Pferd wird uns immer mehr Vertrauen schenken – ein Vertrauen, das weit über das bisher gekannte hinausreicht – und es wird uns Feedback geben. Man wird es an seiner Mikromimik und seinem Muskeltonus sehen: Wir sind auf dem richtigen Weg, auf dem Weg zu einem glücklichen Pferd. Einer Freundschaft auf Augenhöhe, an der beide Partner gleichsam wachsen. Dafür lohnt es sich, den Weg des positiven Pferdetrainings zu gehen.