Survival Guide im Methodendschungel des Hundetrainings
Wer sich mit seinem Hund beschäftigt, sei es wegen obligatorischen Kursen oder aus Interesse, wird schnell merken, wie viele verschiedene „Wahrheiten“ auf den Hundeplätzen und in Hundeschulen gelehrt werden. Natürlich behaupten die meisten Hundetrainer:innen, dass ihre Methoden gewaltfrei seien, manchmal auch als bedürfnis- und belohnungsbasiertes Hundetraining bezeichnet, gern auch nennen sie diese wissenschaftlich abgesichert oder natürlich, beziehungsorientiert usw. Die einen arbeiten mit Clicker und/oder Markersignal, andere mit Futterbeutel, beim Dritten/bei einer Dritten mit Leinenkorrekturen. Die Frage, was wirklich wissenschaftlich abgesichert ist und wie Gewalt definiert werden soll, kann von einem Laien oft kaum beantwortet werden.
Ethik
Jeder Mensch wird seinen Hund wirklich lieben und nur das Beste für sein Haustier wollen. Die Beziehung zum Tier soll gut und gegenseitig sein. Mensch und Tier sollen zufrieden sein und auch die Umwelt soll keinen Schaden nehmen. Um dieses Ziel zu erreichen, wird der eine oder andere sicher auch Dinge machen, die ihm empfohlen werden, bei denen er aber Bauchschmerzen bekommt, weil sie einem im Innern zuwider gehen. Wenn da nicht der Trainer :in wäre, der:die mit seiner:ihrer Expertise den Hundehalter:in dazu bringt, Dinge zu tun, die er:sie selbst nicht für richtig hält. Um nicht in diese Falle zu stolpern, empfehle ich die Beschäftigung mit Ethik – denn auch wenn es keine allgemeingültige Ethik gibt: der Zweck heiligt die Mittel nicht, wenn die Mittel unverhältnismäßig sind und bessere Alternativen vorhanden sind.
Wenn ich irgendeine Methode oder Technik beurteilen soll, sollte sie gewissen ethischen Kriterien standhalten können. Kant sagt, der Mensch dürfe nie Mittel zum Zweck sein („Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“ (Kant, 1785 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 66f.)). Warum sollen wir es dann mit unseren Hunden machen, die für uns eine ähnliche emotionale Wichtigkeit besitzen? Widersprechen die Methoden ethischen Kriterien und dem Bauchgefühl, sollte kein noch so angeblich hochkarätige:r Experte:in eine Chance haben, seine :ihre Vorgehensweise dem Hundehaltenden aufzuzwingen.
Evolutionsbiologie und Anthropomorphismus (Vermenschlichung)
Von welchen ethischen Kriterien ist die Rede? Wohl kaum etwas ist so gut belegt in den Naturwissenschaften wie die evolutionäre Kontinuität (also der Tatsache, dass wir mit den anderen Säugetieren verwandt sind und durch die gemeinsame evolutionäre Wurzel in vielen Bereichen vergleichbare neurologische Strukturen haben – besonders evolutionär alte Strukturen wie das für Emotionen entscheidende limbische System) und wie Bekoff feststellt (2008, S. 14) sind die Unterschiede betreffend emotionalen und kognitiven Fähigkeiten zwischen Menschen und anderen Säugetieren gradueller und nicht prinzipieller Art. Darum ist es keine „Vermenschlichung“, wenn wir Hunden ähnliche Emotionen wie uns zugestehen und da wir es nicht mit Sicherheit wissen, tun wir gut daran, lieber anzunehmen, dass sie zu mehr fähig sind als zu weniger. Denn wenn man den Tieren subjektive Gefühle wie Schmerz und Angst zugesteht und damit falsch liegt, schadet man niemandem, geht man vom Gegenteil aus (z.B. „Hunde sind nicht so empfindlich auf Würgehalsbänder“ oder „Stromhalsbänder kribbeln doch nur“) öffnet man Gewalt Tür und Tor. Wenn man also nicht sicher ist, ob ein Tier eine Emotion hat, sollte man besser davon ausgehen, dass sie da ist, denn dann ist man vorsichtiger und auf der sicheren Seite im Umgang mit dem Tier (Bekoff, 2008, S. 44). Vermenschlichung, und damit meine ich nicht, Hunden Kleidchen anzuziehen, sondern das Zugestehen von Emotionen und das Interpretieren von Verhalten (Anthropomorphismus) ist eine evolutionär entstandene Fähigkeit. Wir sind in unserer menschlichen Perspektive gefangen, aber so falsch kann unsere starke Tendenz Tieren, Gefühle und Kognitionen (z.B. Denken, Gedächtnis) zugestehen nicht sein, da diese ein evolutionärer Vorteil war, der unsere Spezies zum Überleben verhalf.
Unter diesen Voraussetzungen sind Methoden, die ein Tier in großen psychischen Stress versetzen, es ängstigen oder ihm Schmerzen zufügen inakzeptabel. Wir würden doch keine Nannyerziehungssendung tolerieren, in der Kinder bis beinahe zur Bewusstlosigkeit gewürgt werden oder bei denen ihnen so starke Angst eingejagt wird, dass sie in Passivität verharren und einfach nichts mehr tun? Bei Hunden wird das gemacht unter der Begründung, dass es ja Hunde seien und sowohl Laien, wie sogenannte Experten, zu wenig von Körpersprache verstehen, um einen entspannten Hund von einen im Schreck Erstarrten zu unterscheiden.
Wenn wir also in eine Hundeschule gehen, können wir getrost bei allen vorgeschlagenen Methoden uns zuerst überlegen, ob wir es an uns selber oder unserem Kind machen würden und welche emotionalen Konsequenzen daraus zu erwarten sind. Da selbst schwerste Verhaltensprobleme der Hunde ohne Einschüchterung und Gewalt behoben werden können, sollten wir stets versuchen Methoden anzuwenden, deren emotionale Konsequenzen für das Tier positiv sind.
Autoritätsgehorsam
Dass man Autoritäten (mögen sie rhetorisch noch so gut sein oder selbstsicher wirken) aus Prinzip nicht alles abkaufen sollte, zeigt die Geschichte, bzw. auch sehr eindrücklich das bekannte sozialpsychologische Experiment von Milgram (1963). Dabei glaubten Versuchspersonen, sie würden an einem Experiment über das Lernen teilnehmen. Die Versuchsperson war der „Lehrer“ und sie musste einer zweiten Person („Schüler“) im Nebenraum Elektroschocks erteilen, wenn dieser Fehler machte. Es gab den „Schüler“ nicht, die Antworten und Schreie kamen vom Band, was die Versuchsperson nicht wusste. Wenn eine Autorität im weißen Kittel daneben steht und die Leute auffordert, gehen 65% ans Limit, im Glauben einem anderen Menschen starke Schmerzen bis gar körperlichen Schaden zugefügt zu haben. Dieses Experiment sollte dabei helfen zu erklären, wie normale Menschen solche Abscheulichkeiten, wie im Dritten Reich geschehen, begehen können. Die Studie wurde oft wiederholt – zu allen Zeiten und in allen Regionen sind Menschen autoritätsgehorsam. Man sollte sich diesem Phänomen immer bewusst sein. Auch Experten sind nur Menschen und die Kompetentesten sind oft die, die nicht so selbstsicher auftrumpfen oder auch einmal sagen können, dass sie etwas nicht wissen.
Canine Science – die Wissenschaft vom Hund
In den letzten Jahrzehnten hat sich viel getan in der Hundeforschung (Canine Science) und die Daten aus Beobachtungen und Experimenten zeigen deutlich, dass aversive Methoden (solche, die auf Druck, Angst und Schmerz beruhen), besonders wenn sie als unkontrollierbar erlebt werden, zu Stress führen, was dazu führt, dass schlechter bis gar nicht (bei erlernter Hilflosigkeit) gelernt wird (siehe dazu das Buch von John Bradshaw „Hundeverstand“ oder meine Lizenziatsarbeit). Man kann Hunde unter kontrollierten Bedingungen mittels Strafen auf der Verhaltensebene zum Funktionieren bringen, aber auf emotionaler Ebene wird viel Schaden angerichtet und die Beziehung zum Menschen wird dabei stark negativ beeinflusst. Warum nicht den Weg gehen, der beiden Parteien Spaß macht und umso erfolgreicher ist? Für was hält man sich denn einen Hund? Sicher nicht, um das Lebewesen, das man so gern hat psychisch und physisch unter Druck setzen zu müssen.
Darum ist Kritik angebracht, wenn ein:e Hundetrainer:in einen Hund einschüchtert oder Schmerzen zufügt und seine Methoden als wissenschaftlich fundiert bezeichnet. Um einige Beispiele konkret zu nennen: Leinenrucks, Sprayhalsbänder, Nackenschütteln, Kicke in die Flanke, Rütteldosen, Würgehalsbänder, aber auch ein Anzischen oder dem Hund mit dem Finger in die Seite stoßen, wie das die „Flüsterer“ nennen, ist für einen Hund bedrohlich, also aversiv.
Bestimmt gibt es individuelle Unterschiede, wie schnell ein Tier eine Situation als aversiv empfindet, aber auch hier ist man besser auf der vorsichtigen Seite. Zudem ist es auch ein Unterschied, ob ein Hund sich bereits in Angst oder Stress befindet. Die meisten Verhaltensprobleme haben Ängste zur Ursache und in solch einer Situation psychisch oder physisch Druck zu machen, ist unethisch und kontraproduktiv.
Um zu erkennen, welche emotionalen Konsequenzen unser Handeln auf den Hund hat, nützt wie gesagt unsere Empathie (also sich vorstellen, wie es einem selber dabei gehen würde), aber auch Wissen über die Körpersprache des Hundes. Dies ist gar nicht so einfach, da Hunde sehr feine und schnelle körpersprachliche Zeichen abgeben. So kann ein nach hinten ziehen der Lefzen, ein Züngeln, ein nervöser Blick hin und her, ein Aufblitzen des Weißes in den Augen oder ein leichtes Einknicken der Gliedmaßen schon sehr viel sagen. Zudem sollte man immer den Gesamteindruck (Display) betrachten und sich der Unterschiede im Körperbau (Rassenunterschiede – Elemente wie Ringelrute, Stehohren, langes Haar) bewusst sein. Für die Schulung im Hundeverhalten empfehle ich die DVD von Dr. Ute Blaschke-Berthold oder auch das Buch von Barbara Handelman (siehe Literaturverzeichnis).
Psychologie – selbstwertschützende Verzerrungen
Es ist interessant zu beobachten, wie schnell Hundehalterende und auch Trainer :innen emotional werden, wenn es um das Thema der „richtigen“ Methode geht. Sachliche Argumente prallen dann ab. Dies ist wahrscheinlich der Fall, weil die Menschen ihre Hunde wirklich lieben und nur das Beste wollen. Wenn sie beispielsweise einmal begonnen haben mit dem Hund mit aversiven Methoden zu arbeiten und es zu funktionieren scheint (ein Hund kann damit oberflächlich zum Funktionieren gebracht werden, aber die emotionale Ebene wird vernachlässigt und das unerwünschte Verhalten kann umso krasser wieder hervorbrechen), fühlen sich diese Menschen in ihrem Selbstbild bedroht, wenn man diese Methoden in Frage stellt. Ich denke, dies hat psychologisch mehrere Gründe. Einerseits, wie gesagt, weil eigentlich Liebe im Spiel ist und es für die Menschen emotional wichtig ist. Zudem möchten Menschen sich konsistent in Raum und Zeit erleben, dies verhilft uns zur Identität. Meinungen und Gedanken, welche unserer konstruiertern Theorie entgegenstehen (dissonante Kognitionen) sind eine Bedrohung und führen meist dazu, dass neue Ideen abgewertet werden, anstatt sie rational und sachlich zu prüfen. Sogar offensichtlich einleuchtende Evidenzen werden ignoriert und es werden Informationen gesucht, welche die bestehende Theorie bestätigt (Festinger, 1957). Dies führt dazu, dass Menschen, die zwar wissen, dass sie einen Fehler begangen haben, nicht von ihrem Weg abgehen, denn dann müssten sie vor sich und der Welt eingestehen, davor einen Fehler gemacht zu haben. Die Angst vor diesem Gesichtsverlust ist unglaublich stark, so stark, dass man jeden Zweifel innerlich verdrängt und umso emotionaler um sich schlägt, wenn das eigene Handeln in Frage gestellt wird. Auch hier gibt es wieder eine Analogie zu Milgrams Experiment. Die Versuchspersonen hören auch darum nicht auf, fiktive Stromstösse zu erteilen, weil sie dann der inneren Bedrohung ausgesetzt wären, es davor getan zu haben – darum ziehen sie es lieber durch und belassen die Verantwortung für ihr Tun bei der Autorität.
Fazit: Einstein soll gesagt haben „Nur Dummköpfe ändern ihre Meinung nicht“, aber ich glaube, es bedarf viel innerer Sicherheit zu sagen, „Ich habe mich geirrt und jetzt mache ich etwas anders“. Früher habe ich doch auch an Dominanztheorien geglaubt und je mehr ich mich damit beschäftigte, desto mehr sah ich, dass die empirischen Daten dagegen sprechen und es plausible Theorien gibt, welche den alten Theorien widersprechen. Der jetzige Stand des Wissens wird sich auch wieder ändern, aber momentan ist er gut mit ethischen Kriterien vereinbar und ich sehe keinen Grund, warum sich das ändern soll. Ich denke, meine akademische Ausbildung und mein Interesse an ethischen Fragestellungen und psychologischen Theorien hilft mir dabei, Argumente sachlich zu prüfen, offen und kritisch zugleich zu sein. Dies und Empathie sind meine Werkzeuge auf dem Weg zu bleiben mit meinen Hunden ein für alle Seiten (meine Hunde, die Umwelt und ich) glückliches und erfülltes Zusammenleben zu gestalten.
Wie Beck (2011, S. 68f) schreibt, versuche ich je nach Situation und Hund jene Techniken/Hilfen etc. zu verwenden, zu denen Kopf und Herz ja sagen können. Keine starre Methodengläubigkeit, sondern Neugier, Offenheit und Flexibilität auf der Suche nach dem, was dem eigenen Hund gut tut und ihm beim Lernen hilft.
Ich möchte Sie einladen, ebenfalls auf Ihren Verstand und Ihr Herz zu hören, wenn es darum geht, wie wir mit unserem besten vierbeinigen Freund umgehen und auch einmal den Mut zu haben, die Ansichten zu ändern.
Literaturverzeichnis:
- Krauß, Katja, Gabi Maue (2020). Emotionen bei Hunden sehen lernen, Kinos Verlag.
- Beck, Elisabeth (2011). Wer denken will, muss fühlen. Mit Herz und Verstand zu einem besseren Umgang mit Hunden. Nerdlen/Daun: Kynos Verlag.
- Bekoff. M. (2008). Das Gefühlsleben der Tiere. Bernau: Animal Learn Verlag.
- Blaschke-Berthold. U. Das Kleingedruckte in der Körpersprache der Hunde. DVD. CumCane.
- Bradshaw, J. (2012). Hundeverstand. Nerdlen/Daun: Kynos Verlag.
- Festinger, L. 1957. A theory of cognitive dissonance. New York: Harper.
Handelman, B. (2010). Hundeverhalten. Stuttgart: Franckh-Kosmos Verlag. - Milgram, S. (1963). Behavioral Study of Obedience. Journal of Abnormal and Social Psychology, 67 (4), 371-378.
- Weitere Informationen zum nonaversiven Hundetraining:
www.gewaltfreies-hundetraining.ch