Alte Hunde: Zusammenleben, Alltag und besondere Momente
Das Zusammenleben mit einem alten Hund ist schön, kompliziert, schwierig, anstrengend, bereichernd und einfach nur ein Glücksfall!
Als ich mir einen Welpen holte, wusste ich: jetzt braucht es extra viel Zeit! Schon klar, die brauche ich ein ganzes Hundeleben lang. Doch am Anfang noch mehr und ich war mir nicht bewusst, dass es am Ende wieder so sein wird.
Sira, unsere 15-jährige Mischlingshündin braucht jetzt diese Zeit. Ihre Sinne, die immer so gut waren, verschwinden langsam. Sie hört praktisch nichts mehr und sie sieht auch nicht mehr gut. Sie ist nicht mehr so schnell. Ob sie noch riechen kann?
Beim Guddifangen war sie immer die Gewinnerin. Gegenüber allen Artgenossen (nicht nur Art-Genossen). Sie war sehr flink und geschickt, vor allem rund ums Futterbeschaffen. Heute freuen wir uns, wenn sie das Guddi überhaupt noch fangen kann. Meistens braucht sie ziemlich lange, bis sie das verfehlte Leckerli findet. Sie frisst auch nicht mehr alles. Sie wird immer wählerischer und verträgt auch vieles nicht mehr.
Sie braucht Zeit beim Spaziergang. Sie schnuffelt gerne äusserst ausgiebig an einer Stelle, richtig lange. Rufen? Sie hört nichts. Also warten. Da ist es gut, wenn man ein paar Beschäftigungsmöglichkeiten für den Zweithund hat, weil der findet warten nicht lustig. Ich lasse sie nicht mehr gerne alleine. Wenn ich aus dem Haus gehe, ist immer dieses Gefühl mit dabei: “hoffentlich sehe ich dich nochmal”. Sie sucht mich oft. Auch wenn ich zu Hause bin. Zum Beispiel wenn sie verpasst hat, dass ich den Platz gewechselt habe, dass ich vom Büro in die Küche gewechselt bin. Da bekommt sie leicht Panik und tapst durch das ganze Haus. Rufen nützt nichts. Also hinterher und ihr zeigen: He – ich bin da, alles ist gut.
Als ich letztens durch die Regale der Bibliothek streifte, begegnete mir folgendes, sehr passendes Buch: “Alte Hunde sind die besten Hunde” von Gene Weingarten mit Fotografien von Michael S. Williamson. Ein wunderschönes Buch! Es hat mich oft zu Tränen gerührt und einige Lacher hervorgelockt! Zuerst erzählt Gene Weingarten “Erinnerungen an Harry”. Er erzählt wie Harry alt wurde und die Lebensgeschichte mit ihm. Wunderbar berührende Worte. Sätze die mich dabei besonders berührten: “Alte Hunde sind verletzlich. Ihr Vertrauen und ihre Dankbarkeit sind grenzenlos. Sie sind auf eine neue, überraschende Art witzig. Aber vor allem haben sie eine innere Ruhe gefunden. Diese letzte Qualität ist schwer zu bestimmen. Sie können sie als Gelassenheit bezeichnen.
Ich nenne sie Weisheit.” Oder auch: “Etwas war ihm verloren gegangen, aber er hatte etwas Rührendes und Wertvolles hinzugewonnen.” Dann findet man die Porträts zu den Hunden. Auf je einer Seite ein Foto in schwarz/weiss und (eine Seite) eine kurze Beschreibung was den alten Hund ausmacht. Es sind wunderschöne und auch lustige Fotos dabei. Die Beschreibungen sind sehr abwechslungsreich. Es zeigt wie viele verschiedene Hunde es gibt. Und wie unterschiedlich sie auch altern. Es zeigt Hunde die schrullig sind, die stinken, die verschmust sind, die stur sind, die stolz sind. Vor allem aber sind sie alle ganz besonders und aussergewöhnlich und sie werden geliebt. So wie sie sind. In der deutschen Ausgabe vom Autorenhaus Berlin gibt es am Schluss noch einen kleinen Überblicke über altersbedingte Gesundheitsbeschwerden von Dr. med. vet. Götz-Alexander Burmeister. Auch dieser Teil ist kurz und liebevoll geschrieben.
Ich habe mich wahnsinnig über dieses Buch gefreut! Einfach schön, wenn man diese Liebe zu alten Hunden teilen kann. Ich kann es allen Hundehaltern empfehlen. Denen, die schon einen alten Hund hatten, denen, die noch nicht wissen was auf sie zukommt und denen, die gerade einen alten Hund begleiten.
Was mir besonders gefällt am Zusammenleben mit einem alten Hund ist das Vertraut-Sein. Ich kenne wohl jedes Geräusch von Sira und die erkenne ich auch heraus, wenn andere Hunde dabei sind. Oder auch wenn wir mit einer Gruppe von vielen Hunden unterwegs sind – wenn ich eine Berührung, ein wenig unter meiner Kniekehle spüre, dann weiß ich ganz genau es ist Sira. Sie nimmt so gerne Kontakt mit mir auf. Eine Berührung die für mich so viel bedeutet: Gebrorgenheit und Vertrauen. Genauso wie das Ritual beim Schlafengehen. Wenn ich mich so hinlege, dass Sira Platz hat. Zusammengerollt bei meinen Füssen. So wie jede Nacht in den letzten bald 15 Jahren. Wenn Freunde bei uns übernachten, hören sie das Schnarchen von Sira (oder mir?). Ich höre es nicht mehr. Es begleitet mich in den Schlaf. Oder wenn sie mit darf auf Sitzungen: sie sucht sich meistens einen Platz in einer Ecke. Hauptsache sie hat mich dabei im Blickfeld. Dann döst sie und schläft dann auch schon ein. Für 2-3 Stunden liegt sie praktisch unbemerkt zusammengerollt im Raum. Irgendwann jedoch beginnt das Schnarchen, was jedes Mal ein toller Moment ist.
Das Fazit für ein Leben mit einem alten Hund ist für mich: es braucht Zeit und Raum. Zeit um mit ihm zu sein. Sie brauchen uns! Raum – im Sinne von Gedankenraum. Sie sind in unseren Gedanken. Immer. Das Schönste mit alten Hunden ist das “nicht mehr müssen”. Sie sind wie sie sind und dürfen das auch. Man verzeiht ihnen gerne alles. Und hofft, dass sie einem auch alles verzeihen.
Ich freue mich über jeden Tag mit Sira. Mit all ihren Macken. Wir hoffen, dass wir sie nicht einschläfern lassen müssen. Natürlich werden wir sie niemals zu lange leiden lassen. Wir werden für sie da sein. Wir werden schon das Richtige machen. Und dann irgendwann – und wir hoffen, dass es noch ganz lange geht, doch eigentlich wissen wir, dass es nicht mehr solange geht – werden wir ihre Asche in den Alpen in den Wind streuen. Und sie wird von Tombik abgeholt. Das ist ein großer Trost.
Ja, alte Hunde schenken einem ganz viel!
Als ob sie ein wenig von ihrer Weisheit teilen.