Mensch und Hund: Bindung und Beziehung
Jede:r möchte gern eine gute Beziehung zu seinem Hund haben. Ich werde oft gefragt, was man tun kann, um die Bindung zu stärken oder welche Übungen es gibt, um mehr Vertrauen zwischen Mensch und Hund aufzubauen.
Ich mache keine dezidierten Bindungsübungen, weil eigentlich der gesamte Alltag Bindungsarbeit ist. Beziehung findet immer statt. Jeden Tag, von morgens bis abends, und auch nachts. Aus der Forschung wissen wir, dass die Beziehung von Hund und Mensch nichts zu tun hat mit Rudelhierarchien oder gar dem Zusammenleben von Wölfen. Sie gleicht eher der Beziehungsebene zwischen Eltern und Kind: Vertrauen, Erwartbarkeit, Fairness und Verlässlichkeit, ein sicherer Rahmen und Bedürfnisorientierung sollten hier im Vordergrund stehen.
UNTERSCHIED ZWISCHEN BEZIEHUNG UND BINDUNG
Beziehungen können vielfältig und lose sein. Bindung ist jedoch individuell und beschreibt die emotionale Seite einer Beziehung. Sucht mein Hund Hilfe bei mir? Wendet sich mein Hund an mich, wenn er ein Problem hat? Kommt ein Hund aktiv und möchte in meiner Nähe sein?
In der Kynologie bezeichnet Bindung die soziale Beziehung zwischen Mensch und Hund.
Wie diese Beziehung aussieht, ist auch eine Frage der Rasse bzw. des Typs, der Sozialisation und von Lernerfahrungen. Hunde, die für selbstständiges Arbeiten gezüchtet wurden, schauen nicht alle zwei Sekunden nach ihrer Halter:in. Das sagt aber nichts über die Qualität der Bindung aus! Es gibt auch individuelle Unterschiede, was das Kuschelbedürfnis angeht. Nur, weil ein Hund nicht permanent die Nähe zur Halter:in sucht, heißt das nicht, dass die Bindung nicht eng wäre.
Im Gegenteil: Die Bindungstheorie in der Entwicklungspsychologie besagt, dass Kinder zwar Zuwendung und Schutz bei der ihr vertrauten Person suchen. Bei einer sicheren Bindung wechseln sich Explorationsverhalten und Nähebedürfnis aber in gutem Maße ab. Kinder mit einer sicheren Bindung trauen sich mehr und trauen sich mehr zu. Bei einer unsicheren Bindung wird hingegen vermehrt nach Schutz gesucht und auf Trennung stärker reagiert, etwa durch weinen, hinterherlaufen, aber auch durch Ärger. Das Kind schwankt so zwischen Nähebedürfnis und Kontaktsuche einerseits, und Ärger und Überforderung andererseits, sobald das Nähebedürfnis erfüllt ist. Selbstständiges Erkunden der Umgebung oder Kontaktsuche zu anderen Personen ist weniger ausgeprägt als bei Kindern mit einer sicheren Bindung. Natürlich kann man die Bindungstheorie nicht eins zu eins auf die Beziehung zwischen Hund und Mensch übertragen. Was man aber sagen kann: Sicherheit, Verlässlichkeit, Unterstützung und Erwartbarkeit sind enorm wichtig für eine sichere Bindung, auch zwischen Mensch und Hund.
WISSEN UM KÖRPERSPRACHE UND BEDÜRFNISSE IST DAS A UND O
Für mich ist ein zentraler Punkt in Sachen Bindung, empathisch zu sein für die Bedürfnisse, Belange, Sorgen und Nöte des Vierbeiners. So beginnt Bindung für mich zuallererst mit Bildung:
- Was braucht mein Hund?
- Wie kommuniziert mein Hund mir seine Bedürfnisse?
- Kann ich seine Körpersprache lesen?
Ohne Wissen geht es nicht.
Dazu gehört als Erstes, sich mit dem Wesen und der Körpersprache von Hunden auseinanderzusetzen. Konflikt- und Beschwichtigungssignale sowie Stresssignale der Hunde zu kennen, ist Grundvoraussetzung für ein harmonisches Miteinander.
Und: Was nützen Bindungsübungen, wenn ich im Alltag kein verlässlicher Mensch für meinen Hund bin? Gar nichts.
Wenn ich im täglichen Leben über die Bedürfnisse meines Hundes hinweggehe, Nähe- oder Ruhebedürfnis missachte, ihn überall mit hinschleife, ihm Dinge abverlange, die er nicht kann oder mag, aversive Trainingsmethoden anwende und ihm Unterstützung in schwierigen Situationen verwehre, dann bin ich kein zuverlässiger Bindungspartner. Verlässlichkeit und Erwartbarkeit sind aber wichtige Säulen einer guten Beziehung.
Stellt Euch vor, Ihr lebt mit jemandem zusammen, der Euch oft hängen lässt. Bei einer Autopanne, geht Dein:e Partner:in lieber ins Fußballstadion, anstatt Dir zu helfen. Du hast Angst vor Spinnen, Deine bessere Hälfte zieht Dich deswegen auf. Du ekelst Dich vor Zigarettenrauch, er oder sie geht aber trotzdem nicht auf den Balkon zum Rauchen. Du bist krank, man geht aber lieber feiern, anstatt Dir eine Hühnersuppe zu kochen. Ab und zu gibt es auch mal Brüllen und Schläge.
Aber: Beim Bindungsseminar an dem einen Wochenende, da fängt sie/er Dich auf, wenn Du Dich rückwärts vertrauensvoll in ihre/seine Arme fallen lässt. Naja.
Der Unterschied hier ist jedoch: Eine Partner:in kann gehen. Der Hund nicht.
Deshalb ist ein fairer, bedürfnisorientierter Umgang für mich die Grundvoraussetzung für eine gute Beziehung zum Hund.
WAS MACHT EINE GUTE BINDUNG ZWISCHEN MENSCH UND HUND AUS?
- Bedürfnisorientierung
- Verlässlichkeit
- Fairness
- Rücksichtnahme
- Erwartbarkeit
- Vertrauen
- Unterstützung in schwierigen Situationen
- Empathie
- positives Training
- Körperkontakt und Kontaktliegen (je nach Hund)
- gemeinsame Aktivitäten, die beiden (!) Spaß machen
WAS SCHADET EINER GUTEN BINDUNG ZWISCHEN MENSCH UND HUND?
- Strafen oder Gewalt
- aversives Training (Wasserflasche, Leinenruck, Blocken und Co.)
- falsche Annahmen über das hundliche Wesen (“Rudelführer”-Mythos)
- fehlendes Wissen über Konfliktzeichen und Körpersprache
- fehlende Erwartbarkeit und Verlässlichkeit (Zuckerbrot und Peitsche)
- mangelnde Empathie
- Überforderung
- Unterforderung
- fehlende Bedürfniserfüllung
- mangelnde Interaktion
- Ignorieren von Signalen des Hundes
- und vieles mehr
LESETIPPS
- Maria Rehberger: Hunde achtsam führen. Über belohnungsbasiertes Training und bedürfnisorientierten Umgang. animal learn verlag, 2021.
- Katja Krauß, Gabi Maue: Emotionen bei Hunden sehen lernen. Eine Blickschule. Kynos Verlag, 2020.
- Ulrike Seumel: So baust Du eine großartige Bindung zu Deinem Hund auf https://blog.dogitright.de/bindung/
(Beitrag aktualisiert: Juni 2022)