Hunde achtsam führen: Über belohnungsbasiertes Training und bedürfnisorientierten Umgang, Buch von Maria Rehberger
Maria Rehberger, animal learn Verlag
Lebe mit Deinem Hund so, dass Du am Ende eines langen Hundelebens sagen kannst, Du hast alles für Deinen Hund getan, ihn in jeder Phase seines Lebens bestmöglich unterstützt, seine Bedürfnisse geachtet, ihn liebevoll begleitet, in seinem individuellen Wesen wahrgenommen und ihm unnötiges Leid und Stress erspart – dann hast Du vieles richtig gemacht.
Aber wie geht das? Maria Rehberger gibt viele Antworten in ihrem Buch. Jenseits von Gehorsam, Training und Erziehung beschreibt sie, was achtsamer Umgang mit einem Lebewesen wirklich bedeutet.
GRENZEN SETZEN – BEDÜRFNISSE WAHREN
Als Einstieg wählt sie das Thema Grenzen setzen. Das ist sinnvoll, denn das gewaltfreie und bedürfnisorientierte Training sieht sich oft dem Vorwurf ausgesetzt, dass Hunde hier keinen sicheren und konsequenten Rahmen hätten, alles dürften, für jeden Pieps ein Leckerchen bekämen und ihre Bedürfnisse über allem stünden. Was für ein Blödsinn. Eindrücklich legt die Autorin dar, wie stark das tägliche Leben der Hunde ohnehin reglementiert ist: Futter, Tierarzt, Schlaf- und Aktivitätszeiten, Hundekontakte, Training und Lernerfahrungen – über sehr wenige Bereiche können Hunde tatsächlich selbst bestimmen. Am Beispiel der Straßenhunde und deren Alltag wird klar, wie wenig das Leben eines Hundes in menschlicher Obhut eigentlich mit ihren Bedürfnissen in Einklang steht: Draußen herumstreifen und nach Fressbarem suchen, hin und wieder mit Kumpelhunden abhängen, ein Nickerchen machen, sich in Hinterlassenschaften wälzen – so vieles von dem, was Hunden Spaß macht, wird ihnen in unserer Obhut verwehrt. Allzu oft vergessen wir, dass mit dem Mitbewohner Hund eine andere Spezies bei uns einzieht – mit anderen Bedürfnissen, anderer Körpersprache, anderen Vorstellungen von dem, wie ein gutes Leben auszusehen hat.
Und nicht wenige Verhaltensweisen, die wir gern „wegtherapieren“ möchten, sind schlichtweg normales Hundeverhalten.
„Wenn ein Hund beißt, weil er sich bedroht fühlt, dann ist das keine Verhaltensstörung. Es ist eine normale Reaktion, die Hunde auf eine empfundene Bedrohung zeigen können.“
Natürlich hört die Freiheit des Hundes, sich alles und jeden durch Schnappen vom Hals zu halten, dort auf, wo andere durch das Verhalten geschädigt werden können. Aber es ist unsere Pflicht, dem Hund auf humane, wissenschaftlich fundierte und faire Weise entsprechendes, nicht beschädigendes Verhalten beizubringen. Nicht mehr und nicht weniger. Nicht alles, was man trainieren kann, ist sinnvoll und gut für den Hund. Training im Sinne von „Grenzen setzen“ ist aber notwendig, wenn mein Hund Menschen, Hunde oder andere Tiere gefährdet oder belästigt (was unter Umständen Training am Aggressionsverhalten, Jagdverhalten, an Hundebegegnungen oder in Alltagssituationen notwendig macht), oder wenn der Hund selbst Hilfe benötigt, weil er auf bestimmte Reize mit Stress, Angst oder Aggression reagiert. Die ganzen ollen Kamellen von der Rudelführerschaft, dem Austragen von vermeintlichen Machtfragen, dem Verbot von erhöhten Liegeplätzen und der Frage, wer zuerst aus der Tür gehen und zuerst (fr)essen darf – man kann es nicht mehr sehen, hören, lesen und ertragen. Leider denken immer noch viele Menschen, der Hund möchte in einer ominösen Rudelhierarchie an der Spitze stehen. Dabei möchte er nichts anderes, als jedes Lebewesen auf diesem Planeten: Er strebt nach Gutem, und versucht, Schlechtes zu vermeiden.
Maria Rehberger geht in einem eigenen Kapitel auf diese alten Mythen des Zusammenlebens mit dem Hund ein. Dominanz, Rangordnung, Gehorsam – die Autorin setzt sich kritisch mit den Begriffen auseinander und stellt klar: Führung hat nichts zu tun mit dem Durchsetzen von Machtansprüchen.
„Seien Sie Ihrem Hund die/der Chef:in, für den Sie gerne arbeiten würden“.
Wer würde sich da bitte für Gewalt, Einschüchterung und Starrköpfigkeit entscheiden, statt für Geduld, Sachkenntnis, Verständnis und Fairness?
Und ja: Auch Training hat seine Grenzen – sei es, weil der Hund in Wirklichkeit ein gesundheitliches Problem hat, oder weil es für diesen individuellen Hund bessere Lösungen gäbe, weil das Training an Auslösern per se zu mehr Stress führen würde. Anhand von Beispielen aus ihrer eigenen Historie als Hundehalterin wird klar: Kein Hund muss alles können, auch das Grenzen setzen hat Grenzen.
WAS BRAUCHT EIN HUND?
Das dritte Kapitel widmet sich den Bedürfnissen von Hunden. Hier gibt es deutliche Unterschiede im Hinblick auf Rasse/Hundetyp, Lebensphase und Individuum. Eigentlich logisch, dass ein Jagdhund andere Bedürfnisse hat, als ein Gesellschaftshund, ein junger Hund anderes braucht, als ein alter Hund, es auch bei Hunden unterschiedliche Ausprägungen in ihrer Persönlichkeit gibt. Dennoch erlebe auch ich täglich in meiner Praxis als Trainerin und Verhaltensberaterin, wie wenig sich viele Menschen darüber bewusst sind. Vieles, was wir etwa in der Welpenzeit trainieren möchten, ist schlicht und ergreifend eine Entwicklung, die wir in ihrem Verlauf durch Training nicht oder nur minimal beeinflussen können, etwa die Stubenreinheit.
„Das Wichtigste für einen Welpen ist, die Erfahrung zu machen, dass er sich auf seinen Menschen verlassen kann“, schreibt Rehberger.
Ein Sozialisierungsmarathon hingegen ist kontraproduktiv für eine gesunde Welpenentwicklung. Denn stimmt die Bindung, basiert die Beziehung zwischen Hund und Mensch auf Vertrauen, Unterstützung, Verlässlichkeit und Kenntnis über Körpersprache und Bedürfnisse, ist das für das gesamte spätere Leben ein wirkungsvoller Schutz gegen Unsicherheiten, Ängste und problematische Verhaltensweisen.
Auch in der Jugendentwicklung, die zuweilen anstrengend ist, braucht es diese sichere Basis, denn hier durchlaufen die Hunde tiefgreifende Veränderungen, die es ihnen oft nicht möglich machen, Gelerntes gut umzusetzen. Das ist keine „Bockigkeit“ oder „Aufmüpfigkeit“, sondern schlicht Gehirnentwicklung.
ZUSAMMENLEBEN MIT EINEM HUND
Was also sind die Kriterien für sinnvolles Training? Wie stelle ich Regeln auf? Im Kapitel „Harmonisches Zusammenleben von Mensch und Hund“ zeigt Maria Rehberger anhand von konkreten Beispielen, wie das geht: Ist es sinnvoll, ein Verhalten so zu trainieren? Kann mein Hund es auch im Alter entsprechend ausführen? Handelt es sich um Verhaltensweisen, die entwicklungsbedingt entstehen? Und wie sieht meine höchstpersönliche Toleranzgrenze aus? Ob ein Hund ins Bett darf oder nicht, ist keine Trainingsfrage, sondern eher Beziehungsfrage.
Bei vielen vermeintlichen „Must haves“ des Hundetrainings kann man die Frage der Sinnhaftigkeit durchaus stellen. Auch ist die Antwort nicht immer ja oder nein, denn Kompromisse sind erlaubt. Habe ich einen nähebedürftigen Hund, der gern erhöht und in meiner Nähe schläft, mag ich ihn aber nicht im Bett haben, dann könnte ein erhöhter Liegeplatz neben dem Bett eine schöne Lösung sein, mit der alle Bedürfnisse erfüllt sind und keiner zurückstecken muss.
WIE LERNT EIN HUND?
Lerntheorie und Trainingsskills werden im Kapitel „Training und Umgang“ näher ausgeführt. Die Autorin geht auf die unterschiedlichen Lernformen ein (Gewöhnung und Sensibilisierung, klassische und operante Konditionierung) und erklärt anschaulich die vier Quadranten der instrumentellen Konditionierung. Dabei macht sie keinen Hehl daraus, dass auch die positive Verstärkung Nebenwirkungen und Auswirkungen auf die Mensch-Hund-Beziehung haben kann, etwa dann, wenn der Mensch kein klar definiertes Trainingsziel hat oder sich nicht über grundlegende Bedürfnisse des Hundes im Klaren ist.
Auch, wenn viele Hundeschulen damit werben, ausschließlich positiv zu arbeiten, bleibt dieses Versprechen letztlich eine Illusion. Denn sobald ich meinen Hund von etwas abrufe, das ihm mehr Spaß macht, als meine Belohnung, ist die Strafe letztlich schon programmiert. Allerdings macht es einen großen Unterschied, Strafen wie Schreck- oder Schmerzreize bewusst im Training einzusetzen: „Der gezielte Einsatz von Strafe zur Verhaltensänderung ist niemals bedürfnisorientiert. Der gezielte Einsatz von Strafe ist tierschutzrelevant“.
Dass es auch anders geht, ist keine Frage. Belohnungsbasiertes Training und bedürfnisorientierter Umgang erfordern:
- Sachkenntnis und Wissen über das Wesen und die Körpersprache von Hunden
- Kenntnis über die (individuellen) Bedürfnisse des Hundes
- Vorausschauendes Handeln
- Beherrschen von Trainingsmethoden
Letzteren widmet die Autorin einige Seiten: Richtiges Timing, Belohnungsrate, Trainingswaage und -Zeitpunkt, kleinschrittiges Training, Belohnungspunkt und der Einsatz passender Verstärker sind das Einmaleins des Hundetrainings und Maria Rehberger erklärt das Handwerkszeug für gutes Training anschaulich und leicht verständlich.
Auch für den Fall, dass unerwünschtes Verhalten auftritt und der Hund vielleicht (noch) nicht gut genug trainiert ist, gibt sie Antworten.
FÜR WEN? FÜR ALLE!
Das Buch ist für alle Hundemenschen wertvoll. Egal ob Hundehalter:innen, Trainer:innen, Pfleger:innen oder Hundenarren ohne eigenen Vierbeiner: „Hunde achtsam führen“ ist ein wertvoller Beitrag für einen modernen, menschlichen Umgang mit unseren Hunden. Der Band ist flott und leicht zu lesen, und durch die vielen persönlichen Bezüge kurzweilig und zuweilen auch herzzerreißend ehrlich. Wer konkrete Trainingstipps erwartet, wird vielleicht enttäuscht sein. Denn auch wenn vieles anhand von Praxisbeispielen erklärt wird, ist das Buch kein „Trainingsbuch“, sondern ein „Beziehungsbuch“. Maria Rehberger schafft es, ohne erhobenen Zeigefinger einen Weg aufzuzeigen, den zu gehen sich lohnt. Von unseren Menschenkindern wissen einige längst, dass Beziehung so viel wertvoller und mächtiger ist als Erziehung – weil ohne Fundament kein Haus stehen kann. Bauen wir für uns und unsere Hunde doch ein stabiles, wunderschönes Haus, in dem alle gerne und gut leben dürfen.
VERLAGSINFO:
- Hier kaufen
- Autor: Maria Rehberger
- Verlag: animal learn
- Umfang: 184 Seiten
- Sprache: deutsch
- Format: 15.1 x 1.7 x 21.4 cm
- ISBN: 978-3936188783
- Preis: 22,00 €