Wissenswertes zum Jagdverhalten unserer Hunde
Wenn der Hund jagen geht, fühlt man sich als Halterin oder Halter oftmals zum Statisten degradiert. Rückruf, stoppen, ansprechen – nichts funktioniert mehr. Dazu muss der Hund nicht einmal ein Kaninchen hetzen. Meistens reicht es, wenn er Wildgeruch in der Nase hat, um die Welt um ihn herum auszublenden und abzutauchen in seinen Jagd-Tunnel. Das ist extrem frustrierend und kann einem Nerven kosten. Es gehört aber auch zum Normalverhalten unserer Hunde. Sie sind Beutegreifer! Interessante Spuren oder Bewegungsreize sind unwiderstehlich für viele Hunde, für manche mehr, für einige weniger. Woran liegt das? Wie kann ich bei unerwünschtem Jagdverhalten reagieren? Was fördert Jagdverhalten? Ein paar wissenswerte Details zu jagenden Hunden.
GIBT ES EINEN JAGDTRIEB?
Die Jagdmotivation ist nicht bei jedem Hund gleich stark ausgeprägt. Das ist einerseits rassebedingt, andererseits jedoch auch abhängig von Lernerfahrungen und Umweltbedingungen. Auch Stress und Frust können Jagdverhalten auslösen.
Einen Jagdtrieb gibt es hingegen nicht.
Denn die Triebtheorie besagt, dass sich ein Trieb mit der Zeit aufstaut, ähnlich wie in einem Dampfkochtopf. Wenn ein Hund also länger nicht jagen war, dann summiert sich der „Jagdtrieb“ und er marschiert los? Nein, das ist Quatsch. Jagen wird durch äußere Reize ausgelöst: Spuren, Wildsichtung, Bewegungsreize oder attraktive Umweltmerkmale wie zum Beispiel ein Gebüsch. Deshalb sprechen wir von Jagdmotivation, nicht von Jagdtrieb. Die Motivation ist individuell mehr oder weniger stark ausgeprägt und von Rasse, Lernerfahrungen und der Umwelt abhängig.
VON A WIE ANPIRSCHEN BIS Z WIE ZERLEGEN: DIE JAGDVERHALTENSKETTE
Jagdverhalten ist genetisch angelegt, es läuft nach einem festen Schema ab, das wir die Jagdverhaltenskette nennen. Die Vorfahren unserer Haushunde jagen entsprechend dieser Verhaltenskette:
Orientieren / Ausschau halten, Fixieren / Belauern / Vorstehen, Anschleichen, Hetzen
Packen / Halten, Töten / Schütteln, Zerlegen, Fressen
Jagdhunde sollen natürlich keinesfalls die letzten zwei bzw. drei Sequenzen der Jagdverhaltenskette zeigen. Sie wurden auf bestimmte Merkmale selektiert: Stöberhunde wie der Cocker Spaniel zeigen starkes Orientierungsverhalten. Die bloße Anwesenheit eines Gebüschs kann dabei als Auslöser fungieren und der Hund geht stöbern. Bei Vorstehhunden wird hingegen bei der Zucht besonders viel Wert auf Fixieren und Anschleichen gelegt. Windhunde wie die Barsoi oder Grey Hounds sind hingegen Sichtjäger, die auf Schnelligkeit hin gezüchtet wurden. Bei ihnen ist das Hetzen besonders ausgeprägt. Auch das Verhalten von Hütehunden wie belauern, zutreiben und in die Läufe zwicken basiert auf Teilen dieser Jagdverhaltenskette.
Jedes dieser Glieder ist extrem selbstbelohnend für den Hund. Ein Hund braucht keinen Jagderfolg im Sinne eines gerissenen Hasen. Bereits das Orientierungsverhalten setzt einen wahren Cocktail aus Glückshormonen frei. Das ist auch das Problematische am Jagdverhalten: Es macht einen Riesenspaß! Für uns Menschen ist es schwer, dem etwas entgegenzusetzen.
Die ersten drei Glieder der Kette (Ausschau halten, belauern, anschleichen), können wir unseren Hunden relativ leicht zubilligen. Sie können dazu an der Leine geführt werden und man kann Ansprechbarkeit üben und statische Verhaltensweisen wie Vorstehen und Weitergucken gezielt als Belohnung einsetzen. Natürlich sollte man immer darauf achten, dass man das Wild nicht stört oder beunruhigt! Spätestens ab dem Hetzen wird das Jagdverhalten problematisch. Hier gilt es, durch konsequentes Training mit bedürfnisgerechter Belohnung gegenzusteuern und Hetzen und Packen in anderer Form als Belohnung zuzulassen, zum Beispiel mit Spielzeug, Echtfelldummy oder Zergel.
FÖRDERT BALLSPIELEN ODER ZERGELN DIE JAGDMOTIVATION?
„Oh Gott! Echtfell!“ werden einige jetzt vielleicht denken. Fördert das nicht die Jagdmotivation? Nein! Ebenso wenig wie Ballspiele oder zergeln. Denn diese Arten von Spiel erfüllen Bedürfnisse des Hundes: Bewegungsreize belauern und hetzen, packen und schütteln. Voraussetzung für funktionierende Jagdersatzbeschäftigungen ist allerdings, dass die Hunde mit dem Spiel nicht nur hochgeputscht werden, sondern man sie mit dem Zergel oder Ball auch wieder entspannen lässt. Das Stichwort heißt hier: Spiel in Erregungswellen. Man beginnt langsam, wird immer heftiger und schneller in Tempo und Bewegungsstärke, und kühlt dann gemeinsam mit dem Hund wieder ab. Der Ball wird nur noch gerollt, das Zergel nicht mehr angefasst. Das Spielzeug wir erst wieder eingepackt, wenn der Hund in dessen Anwesenheit entspannt und ansprechbar ist, und sich etwas anderem zuwenden kann. Abschließen kann man eine Spieleinheit dann beispielsweise mit einer Futtersuche, die die Pulsrate nachweislich senkt.
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WAS FÖRDERT UNERWÜNSCHTES JAGDVERHALTEN ALSO NICHT?
- Ball spielen
- Zerrspiele, Zergeln
- Rennspiele
- Echtfell-Dummy
- Suchspiele, Nasenarbeit, Fährtentraining
- Mantrailing
Diese Dinge dienen als Jagdersatzbeschäftigung oder Belohnungsmöglichkeit. Setzt man sie klug ein, kann man das Jagdverhalten seines Hundes damit also eher kontrollieren.
WAS VERSCHLIMMERT UNERWÜNSCHTES JAGDVERHALTEN?
Eine reizvolle Umwelt mit viel Wild ist natürlich ein entscheidender Faktor. Ist ein Hund nicht in der Lage, bei Wildgeruch ansatzweise klar zu denken oder sich hin und wieder auf den Menschen zu konzentrieren, ist ein solches Gebiet erst einmal als tägliche Gassistrecke nicht optimal. Auch ist es ratsam, wichtige Signale wie Rückruf oder Stoppen zunächst ohne ablenkende Reize zu üben. Aber es gibt noch mehr Aspekte, die dazu führen, dass der Hund vermehrt jagen geht.
Frust
Frust ist ein ganz wesentlicher Faktor, wenn wir von Verhaltensproblemen aller Art sprechen. Frust entsteht durch unbefriedigte Bedürfnisse, zum Beispiel durch fehlende Möglichkeiten, wichtige „Hundedinge“ machen zu dürfen. Frust kann sich in vermehrtem Bellen, Leineziehen, Aggression gegen Mensch oder Artgenossen und eben auch in gesteigerter Jagdmotivation äußern. Denn das Jagen ist extrem selbstbelohnend, ein willkommener Ausgleich für gefrustete Hunde.
Stress
Stress kann viele Ursachen haben. Viele Hunde, die durch Lärm und Umgebungsreize in der Stadt sehr gestresst sind, zeigen gesteigertes Jagdverhalten. Stress kann aber auch durch aversive Erziehungsmethoden entstehen, wenn der Hund im Alltag viel allein sein muss und es nicht entspannt kann, oder durch permanent problematische Hundekontakte. Es ist gerade bei plötzlich auftretendem oder sich verstärkendem Jagdverhalten wichtig, den Alltag auf Stress hin zu untersuchen und die Stressoren, wenn möglich auszuschalten oder durch entsprechendes Training für den Hund erträglicher zu machen.
Krankheit, Schmerzen und Schlafmangel
Bei allen Verhaltensproblemen muss zunächst einmal der Gesundheitszustand des Hundes überprüft werden. Denn auch hier gilt: Der Cocktail aus Glückshormonen, der den Hund beim Jagen durchströmt, wirkt nicht nur selbstbelohnend, sondern auch schmerzlindernd. Auch zu wenig Ruhe und Schlaf sind ein Grund, weshalb einige Hunde vermehrt Jagdverhalten zeigen.
UNERWÜNSCHTES JAGDVERHALTEN: HILFREICHE SIGNALE IM ALLTAG
Also: Was hilft denn nun gegen unerwünschtes Jagdverhalten? Wie halte ich meinen Hund vom Jagen ab? Wie kann ich ihn wieder erreichen, wie wird er ansprechbar und aufnahmefähig?
Die gute Nachricht ist: Das geht! Aber es erfordert ein planvolles Vorgehen und das gezielte Üben und Generalisieren einiger wichtiger Basissignale.
Ehe man mit dem Training startet, sollten Stress, Frust, Schlafmangel und Schmerzen als mögliche Auslöser ausgeschlossen werden. Außerdem sollte man den Status Quo feststellen:
- Was kann der Hund? Wie und wann funktionieren Rückruf und Co.?
- Was triggert den Hund? Umweltmerkmale? Geruchsspuren? Bewegungsreize? Welches Wild?
- Was ist in welchen Situationen eine Belohnung für den Hund?
Schonungslose Ehrlichkeit ist wichtig! Ein Hund, der nicht abrufbar ist, gehört erst einmal an der Schleppleine gesichert. Es lohnt sich, den Tagesablauf zu betrachten und die Aktivitäten mit dem Hund zu durchleuchten. Dann sollten die Spazierstrecken überprüft werden: Wie realistisch ist es, dass der Hund hier auf Signale reagieren kann? Am besten sucht man sich Wege, die wenig Ablenkung bieten, um die Grundlagen zu trainieren:
- Spontanen Blickkontakt markern und belohnen
- Blickkontakte auf Signal üben
- Ansprechbarkeit überprüfen und belohnen
- Erregungslevel senken durch Entschleunigung, Futtersuche, Berührung, konditionierte Entspannung
Erst, wenn ein Hund fähig ist, aufmerksam zu sein, können weitere Trainingsschritte in Angriff genommen werden:
- Gezieltes Abwenden von Reizen (Umweltreize, Spuren und Bewegungsreize)
- Belohnen von statischen Verhaltensweisen innerhalb der Jagdverhaltenskette (stehen, vorstehen, belauern, fixieren)
- Radiustraining
- Rückruftraining
- Stoppen auf Distanz
OHNE FLEISS KEIN PREIS
Es erfordert Aufmerksamkeit, Disziplin und Fleiß, diese Signale aufzubauen und zu generalisieren. Etliche Wiederholungen in unterschiedlichen Umgebungen und mit möglichst abwechslungsreicher, bedürfnisorientierter Belohnung sind nötig, damit ein stabiles Fundament gelegt wird für den Ernstfall. Am besten dokumentiert man, was man wann wie oft und mit welchem Erfolg übt. Es sind gar nicht viele Signale, die der Hund sicher beherrschen muss. Sie müssen jedoch erst einmal ohne oder mit nur geringer jagdlicher Ablenkung zu 100 Prozent klappen, ehe man auch nur darüber nachdenken kann, ob sie auch im wildreichen Gebiet funktionieren. Doch die Arbeit lohnt sich! Mit diesem Handwerkszeug gerüstet kann man auch mit stark jagdlich motivierten Hunden wieder entspannt spazieren gehen.