Blut abnehmen beim Hund trainieren (Medical Training), Rezension von Dr. Stephan Gronostay
Dr. med. vet. Dorothea Johnen, EasyDogs Verlag
Pünktlich zum Erscheinen hatte ich das große Vergnügen, das neue Buch meiner Tierarzt- und Trainerkollegin Dr. med. vet. Dorothea Johnen lesen zu dürfen.
Insbesondere die stressfreie und schonende tierärztliche Behandlung unserer Heimtiere liegt mir als rein verhaltenstherapeutisch arbeitender Tierarzt sehr am Herzen. Leider sehe ich noch immer viele Hunde, bei denen grobe Behandlung durch Tierärzte und Hundefriseure ein wichtiger Auslöser bei der Entstehung ihres Verhaltensproblems war.
Umso mehr freue ich mich, dass Dr. Johnen mit ihrem neuen Buch einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Bedingungen von Hunden im Rahmen des Tierarztbesuches geleistet hat. Sehr schön beschreibt die Autorin, dass heute in Zoos gehaltene Wildtiere wie Tiger mit Medical Training auf Routineuntersuchungen vorbereitet werden. Auf diese Art und Weise kann ihre Gesundheitsvorsorge sichergestellt werden, ohne die Tiere unnötigem Stress durch Zwangsmaßnahmen und medikamentöse Ruhigstellung auszusetzen. Bei der Behandlung von Heimtieren in der Kleintierpraxis ist diese moderne Vorgehensweise noch lange nicht Standard, obwohl insbesondere Hunde als enge Begleiter des Menschen viel leichter als Wildtiere zu trainieren sein sollten.
Die übersichtliche Gliederung, der systematische Aufbau der Inhalte und die detailliert beschriebenen Trainingspläne geben dem Buch das Format eines perfekten Leitfadens zum Training der Blutentnahme beim Hund. Dank des sehr verständlichen und leicht lesbaren Schreibstils von Dr. Johnen konnte ich mir alle Trainingsabläufe wie auf einem Film, der vor meinem inneren Auge abläuft, vorstellen. Großformatige Bilder von Trainingssituationen mit entspannt arbeitenden Hunden und Menschen unterstützen diese positive Vorstellung des Trainings. Anschauliche Übersichtsgrafiken am Ende von Kapiteln mit komplexen Themen erleichtern das Verständnis und fassen wichtige Abläufe des Trainings noch einmal zusammen.
Zunächst beschreibt Dr. Johnen, warum der Tierarztbesuch bei vielen Hunden Stress- und Angstreaktionen auslöst. Die wichtigsten Gründe seien der Verlust der Kontrolle über den eigenen Körper und die Unvorhersehbarkeit der Abläufe für den Hund. Daher widmet sie den Großteil des Buches dem Training von Kooperationssignalen, mit welchen der Hund seine Bereitschaft für das Durchführen einer Manipulation geben oder verweigern könne.
Bei der Realisierung dieses Trainingswegs gefällt mir die ausgesprochen rücksichtsvolle und wohlwollende Haltung von Dr. Johnen gegenüber dem Hund. Unter anderem möchte ich das Augenmerk auf die folgenden Punkte ihres Buches richten, die beim Training auf der Basis positiver Verstärkung unabdingbar sind, um negative Gefühle wie Frustration und Unsicherheit zu vermeiden:
- Während des Trainings sollte der Hund eine ruhige und konzentrierte Gefühlslage aufweisen. Aus diesem Grund empfiehlt Dr. Johnen den Einsatz von Futterbelohnungen. Auch bei Blutentnahmen am nüchternen Hund sei das Belohnen mit Futter, mit Ausnahme weniger spezieller Laboruntersuchungen, unproblematisch.
- Bei Hunden, die sich durch Futter wenig motivieren ließen, sollten alle möglichen Ursachen wie Überfütterung, Stress oder körperliche Erkrankungen des Magen-Darm-Apparates ausgeschlossen werden. Die Autorin betont, dass es unethisch sei, die Motivation des Hundes für Futterbelohnungen im Training durch drastischen Futterentzug zu erzwingen.
- Die Kooperation im Training sollte sich für den Hund immer uneingeschränkt lohnen. Hierzu empfiehlt Dr. Johnen, ein besonderes Augenmerk auf eine ausreichend hohe Belohnungsrate zu setzen.
- Eine Voraussetzung für Wohlbefinden ist die Vorhersehbarkeit von Ereignissen. Damit der Hund vorhersehen kann, was als nächstes passiert, schlägt Dr. Johnen einen strukturierten Trainingsplan für die Blutentnahme vor. Da sie die Belohnungskriterien sehr kleinschrittig verändert, kann der Hund leicht Belohnungen für richtiges Verhalten verdienen.
- Klarheit im Training bedeutet, nur dem Belohnungskriterium entsprechendes Verhalten zu belohnen. Aus diesem Grund rät Dr. Johnen dazu, den Hund niemals zu belohnen, wenn dieser das zu erzielende Verhalten nicht hundertprozentig zeigt.
- Laut Dr. Johnen sei ein Fehler eine Information. Der Hund könne die ihm gestellte Frage „Kannst Du das Kooperationssignal auch halten, wenn ich diese Ablenkung einführe?“ nicht mit „Ja“ beantworten. Bei einer Fehlerquote über 50 Prozent empfiehlt sie, durch das Planen von Zwischenschritten den aktuellen Trainingsschritt zu erleichtern.
- Dr. Johnen weist mehrfach darauf hin, dass die Kommunikation zwischen Mensch und Hund nur eindeutig ist, wenn der Mensch das Markersignal und möglichst auch den primären Verstärker genau in dem Moment gibt, in dem der Hund das perfekte Verhalten zeigt.
- Bei unpassendem Timing oder dem Belohnen von Verhalten, das dem aktuellen Belohnungskriterium nicht entspricht, lerne der Hund, dass auch andere Verhalten sich lohnen könnten. Das spätere Löschen dieser aus Menschensicht falschen Verhaltensangebote erzeuge Frustration.
- Dr. Johnen empfiehlt daher interessierten Hundebesitzer*innen, sich durch Trockenübungen eine gute Fütterungstechnik und ein gutes Timing anzueignen. Bei Trainingsproblemen könnten sie außerdem professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.
- Nur bei eindeutigen Signalen des Menschen könne der Hund erkennen, welches Verhalten sich gerade lohnt. Die Autorin schreibt wertvolle Tipps zur Unterscheidbarkeit von Signalen, u. a. die Verwendung eines Waschlappens über der Hand für das Kinntarget und der bloßen Hand für das Pfotentarget, wenn dem Hund die Unterscheidung von Kinn und Pfote durch das alleinige Anbieten der Targethand in verschiedener Höhe schwerfällt.
Als praktische Tierärztin erlebt Dr. Dorothea Johnen täglich das Verhalten der Hunde in der Praxis. Durch ihre Qualifikation als TOPTrainerin konnte sie für ihr Buch „Blut abnehmen beim Hund trainieren“ einen den Praxisanforderungen entsprechenden und anwendbaren Trainingsplan entwickeln. Damit Hundehalter*innen und Trainer*innen, die einen Hund auf eine Blutentnahme vorbereiten wollen, das Training erfolgreich durchführen können, gibt sie unverzichtbare Tipps für die Planung des Trainings.
Sie beschreibt sehr detailliert, wie eine Blutentnahme beim Hund durchgeführt wird. Weiterhin erklärt sie genau, an welchen Körperstellen eine Vene beim Hund punktiert werden kann und welche Körperposition der Hund hierzu einnehmen muss.
Dr. Johnen empfiehlt, den behandelnden Tierarzt detailliert zu seiner Vorgehensweise bei der Blutentnahme zu befragen. Wichtige Fragen an ihn wären u. a.:
- Wo entnimmt er Blut?
- Welche Körperhaltung sollte der Hund dazu einnehmen?
- Wer hält den Hund fest, die Besitzerin, der Besitzer oder eine tierärztliche Fachangestellte?
- Desinfiziert er die Punktionsstelle mit einer Sprühflasche oder mit einem Alkohol getränkten Wattebausch?
- Staut er die Vene mit der Hand oder einem Stauschlauch?
Laut Dr. Johnen sei gerade für den ängstlichen Hund die soziale Unterstützung durch den Besitzer wichtig. Social Support könne dieser durch ein entspanntes und fürsorgliches Auftreten, das Belohnen von angemessenem Verhalten und angenehmen Körperkontakt geben. Natürlich sollten ambivalente, unter Umständen als bedrohlich oder unangenehm empfundene Berührungen vermieden werden.
Bei der Ankunft, beim Warten und beim Betreten des Behandlungsraumes sollte der Hund in einer möglichst ruhigen und entspannten Grundstimmung sein. Dr. Johnen beschreibt einfache Maßnahmen, um den Stresslevel des Hundes in der Tierarztpraxis möglichst niedrig zu halten. Darüber hinaus gibt sie wichtige Ratschläge zum Training des Behandlungstisches, auf dem die Tierärztin bzw. der Tierarzt eine Blutentnahme leichter als auf dem Boden durchführen könne.
Der Hauptteil des Buches ist ein Praxisleitfaden, in dem die Autorin detailliert das Training der Blutentnahme beschreibt.
Sie erklärt ausführlich und kleinschrittig die folgenden Hauptschritte dieses Behandlungstrainings:
- Aufbau der Kooperationssignale Kinntarget, Pfotentarget und Seitenlage mit verschiedenen Trainingsplänen
- Einführung kontrollierter Ablenkung durch Futter und Körperberührungen, während der Hund das erlernte Kooperationsverhalten zeigt.
- Generalisierung des Verhaltens durch das Training mit anderen, bekannten und unbekannten Personen sowie an wechselnden Orten
- Training der eigentlichen Prozedur der Blutentnahme, während der Hund durch das Kooperationssignal seine Bereitschaft anzeigt.
- Übertragung des Trainings in die Tierarztpraxis
- Dank ihrer großen Erfahrung als Trainerin weist Dr. Johnen auf wichtige Faktoren hin, die den Erfolg im Training verbessern oder auch schmälern können:
- Wenn beim Training des Kinn- bzw. Pfotentargets bzw. der Seitenlage von Anfang an auf eine prompte Ausführung nach dem Signal geachtet wird, kann eine leichte Überforderung des Hundes im späteren Behandlungstraining schon an einer zögerlichen Ausführung des Verhaltens erkannt werden, ohne dass der Hund seine Position während der Manipulation verlässt.
- Um eine Behandlung durchführen zu können, muss der Hund das Kooperationssignal lange genug zeigen. Um das Bleiben in der gewünschten Körperhaltung zu fördern, ist das Belohnen in der Position förderlich. Aus diesem Grund sollte möglichst auch kein Futter auf den Boden fallen, welches der Hund aufsammelt.
- Von Anfang an ist das Training von Dauer wichtig, indem die Zeit systematisch und sehr kleinschrittig verlängert wird. Hierzu gibt Dr. Johnen einen tollen Tipp: Durch das lautlose Zählen von „ein-und-zwan-zig, zwei-und-zwan-zig“ können auch Viertelsekunden messbar werden.
- Potenziell Angst auslösende Reize wie laufende Schermaschinen, Alkoholtupfer und Sprühflaschen sollten mit Hilfe einer Gegenkonditionierung erst in ausreichender Distanz zum Hund mit positiven Gefühlen verknüpft werden, bevor sie direkt am Hund zum Einsatz kommen.
- Durch das kleinschrittige Training variabler und auch überraschender Sinneseindrücke an der Stichstelle kann der Hund auf die Punktion der Vene vorbereitet werden, ohne ihn mit einer richtigen Kanüle zu verletzen.
Dr. Johnen weist in ihrem Buch auch auf den nötigen Trainingsaufwand hin. Um den Trainingserfolg sicherzustellen, empfiehlt sie, täglich für wenige Minuten mit dem Hund zu üben und hierzu eine feste Trainingszeit in den Alltag zu integrieren. Weiterhin sollte nach Dr. Johnen nach jeder Blutentnahme das Training aufgefrischt werden.
Schließlich stellt die Autorin auch die Grenzen des Trainings der Blutentnahme realistisch dar. Im Rahmen des Übungsplanes lerne der Hund einen spezifischen Ablauf in einer festgesetzten Körperposition. Allein die Veränderung dieses Rituals könne den Hund schon verunsichern und ihn veranlassen, kein Kooperationssignal mehr zu zeigen. Daher sei eine sehr gute Kommunikation mit dem behandelnden Tierarzt wichtig, damit dieser nicht unvorhergesehen das Protokoll verändere. Außerdem sei es für die meisten Tierärzte auch unüblich, eine Manipulation nur durchzuführen, wenn der Hund seine Bereitschaft signalisiere und sie zu unterlassen, wenn das Tier sie verweigere.
Nach Dr. Johnen lerne der Hund beim Medical Training bei einer oder mehreren bestimmten Untersuchungen oder Behandlungen zu kooperieren, z. B. bei einer Blutentnahme und bei einer Ohrenuntersuchung. Das bedeute aber nicht, dass er die gelernten Kooperationssignale spontan und ohne vorbereitendes Training auf unbekannte Behandlungsabläufe übertragen könne, auch wenn ein vorbereitendes Training schneller durchzuführen wäre.
Aus diesem Grund empfiehlt die Autorin, den Hund auch auf unbekannte Untersuchungen oder unvermeidbare Behandlungen im Erkrankungsfall vorzubereiten. Hierzu schlägt sie Folgendes vor:
- Sicherung positiver Assoziationen durch Stress vermeidendes Handling sowie großzügiges Belohnen von entspanntem Verhalten mit sehr hochwertigem Futter während des gesamten Tierarztbesuches.
- Training von entspanntem Verhalten beim Festhalten: Am besten ab dem Welpenalter sollte der Hund lernen stillzuhalten, wenn der Mensch ihn fixiert. Auch hierzu gibt Dr. Johnen dem/der Leser*in genaue Trainingsanweisungen an die Hand.
Mich hat die Lektüre dieses Buches begeistert. Dieser Leitfaden zum Training der Blutentnahme enthält umfassende und sehr gut durchführbare Hinweise und Anleitungen, die von einer sehr kompetenten und erfahrenen Autorin geschrieben wurden. Sowohl Hundebesitzer*innen, Trainer*innen und Tierärzt*innen können aus dem Buch wertvolle Informationen ziehen, um anhand des Beispiels der Blutentnahme Hunde auf tierärztliche Behandlungen vorzubereiten und negative Verknüpfungen mit dem Tierarztbesuch zu vermeiden.
Sicherlich erfordert die Realisation der Trainingspläne gute Grundkenntnisse im Training auf der Basis positiver Verstärkung. Die Trainerin bzw. der Trainer sollten u. a. Erfahrung haben, mit einem Marker zu arbeiten, schnell und präzise zu füttern, das Verhalten des Hundes genau zu beobachten, schnelle Entscheidungen zu treffen, beim Training Wiederholungen zu zählen und Belohnungskriterien zu beachten. Erfahrene Trainer*innen können sich sicher schon beim Lesen der Anleitungen den Hund, seine Bewegungen und ihre Reaktionen darauf bildlich vorstellen und die Trainingspläne sofort mit dem Hund praktisch üben. Für weniger erfahrene Menschen schlägt Dr. Johnen vor, bei einem erfahrenen Hundetrainer oder Verhaltenstierarzt Unterstützung zu suchen, was ich hundertprozentig unterstütze. Training ist ein Handwerk und nicht durch das reine Lesen eines Buches vermittelbar.
Fazit:
Für mich ist das Erscheinen von „Blut abnehmen bei Hund trainieren“ ein Geschenk. Es sollte als Standardwerk im Bücherregal gut ausgebildeter Hundetrainer*innen, tierfreundlich arbeitender Tierärzt*innen und trainingsambitionierter Hundehalter*innen zu finden sein – Easy Dogs Insidertipp!
Verlagsinfo:
- Hier kaufen
- Autor: Dr. Dorothea Johnen
- Verlag: Easy Dogs
- Umfang: 252 Seiten
- Format: 14,8 x 21 cm
- Sprache: deutsch
- ISBN: 978-3-947773-04-6
- Preis: 24,95 €