6 Mythen rund um das Jagdverhalten des Hundes
Mythen rund um unsere Hunde gibt es wie Sand am Meer. Zu welchem Thema (z.B. Herkunft, Erziehung, Ernährung) Sie auch recherchieren, Sie werden mit Sicherheit fündig. Blöd nur, dass die meisten Mythen einerseits keinen Mehrwert für unser Zusammenleben haben und uns Menschen andererseits oft zusätzlich verunsichern und unserem liebsten Familienmitglied unrecht tun. Deshalb kläre ich Sie in meinem heutigen Artikel über die bekanntesten Mythen rund um das Jagdverhalten unserer Hunde auf. Für ein glückliches Miteinander!
Unsere Hunde sind Beutegreifer. Ihr Jagdverhalten ist normales Verhalten. Es ist intrinsisch motiviert und setzt zahlreiche Hormone frei. Mit anderen Worten: Gejagt wird des Jagens wegen, weil es sich gut anfühlt! Hier knüpft gleich der erste Mythos an:
WENN IHR HUND JAGEN GEHT, HABEN SIE KEINE GUTE BINDUNG!
Diese Behauptung ist schlichtweg falsch, weil sie suggeriert, dass eine gute Bindung der Schlüssel zu einem nicht-jagenden Hund wäre. Dem ist nicht so. Auch Hunde, die in einer engen Beziehung zu ihren Menschen leben, bleiben Hunde mit den genetischen Veranlagungen eines Beutegreifers. Nehmen Sie die jagdlichen Interessen und Talente Ihres Hundes daher bitte nicht persönlich. Sie sind kein Affront gegen Sie. Sehen Sie die Jagdleidenschaft Ihres Hundes sportlich und arbeiten Sie gemeinsam daran, sein Jagdverhalten in erwünschte Bahnen zu lenken. Sie werden mit fairem und freundlichem Training am Jagdverhalten, das auf Interesse und Wertschätzung beruht, Ihre Beziehung noch mehr festigen. Apropos Training, dabei sind wir auch schon beim zweiten Mythos angelangt:
WENN DER GRUNDGEHORSAM STIMMT, GEHT IHR HUND NICHT JAGEN!
So einfach ist es dann doch nicht. Lassen Sie uns diese Behauptung einmal aus lerntheoretischer Perspektive betrachten: Nur weil Ihr Hund zu Hause, am Hundeplatz oder im städtischen Gebiet Grundsignale wie „Sitz!“, „Platz!“, „Fuss!“ oder „Hier!“ vorbildlich beherrscht (das ist maximal eine gute Basis), kann er diese im jagdlichen Kontext noch lange nicht umsetzen. Das liegt daran, dass Hunde Verhaltensweisen in verschiedenen Situationen verallgemeinern und bei unterschiedlichsten Ablenkungen üben müssen (d.h. Generalisierung im weitesten Sinn). Für Ihr Training bedeutet das vereinfacht gesagt, dass Sie Ihre Grundsignale in dem Kontext (hier: im jagdlichen) üben müssen, indem Ihr Hund sie später ausführen soll. Wünschen Sie sich, dass Ihr Hund bei Wildsichtung auf Zuruf zu Ihnen herankommt, bringt es also meistens nicht den ersehnten Erfolg, wenn Sie Ihren Rückruf an einem fliegenden Ball trainieren. Aber zu Bällen später noch mehr.
Warum das Generalisieren von Grundsignalen aber noch nicht der Schlüssel zum Erfolg ist, verstehen Sie am besten, wenn Sie sich über die „richtigen“ Verstärker (= die Konsequenzen auf ein Verhalten, die das Verhalten in der Zukunft wahrscheinlicher machen) Gedanken machen. Dafür machen Sie sich die Bedürfnisse Ihres Hundes bewusst: Die Verhaltensweisen, die Ihr Hund im jagdlichen Kontext zeigt, entsprechen seinem jeweiligen Bedürfnis und sind gleichzeitig der optimale Verstärker. „Wild zu hetzen“ kommt hier natürlich nicht in Frage, weil es gesetzlich verboten und den Wildtieren gegenüber gefährlich und unfair wäre. Zum Glück umfasst Jagdverhalten weit mehr als Hetzen. Vor allem das Orientieren (= Ausschau halten nach Wild) und das Fixieren (= das Beobachten von Wild im Stehen) sind Verhaltensweisen, die Hunde vor dem Losspurten zeigen, die sich für sie gut anfühlen und deshalb verstärkend wirken. Wenn Sie diese Verhaltensweisen fleißig honorieren (am besten mit einem Markersignal und der passenden Belohnung) und unter Wortsignal stellen, können Sie mit Ihrem Hund bedürfnisorientiert am Jagdverhalten arbeiten und brauchen keinen Umweg über Grundgehorsamsübungen gehen. Stattdessen lehren Sie Ihren Hund erlaubte Verhaltensweisen aus der Jagdverhaltenskette (Orientieren – Fixieren – Beschleichen – Hetzen – Packen – Töten – Fressen) ausdauernd zu zeigen und können ihn mit diesen artgerechten Verhaltensweisen auch belohnen.
Gute Bücher dazu finden Sie zum Beispiel hier:
- Leben mit Jagdhund von Ines Scheuer-Dinger
- Jagdverhalten verstehen, kontrollieren, ausgleichen: Wege in den Freilauf von Anja Fiedler.
Mit dem oberen Absatz haben wir bereits einen weiteren weit verbreiteten Mythos aufgeklärt: „Am Jagdtrieb können Sie nicht arbeiten!“. Aber kann es nicht sein, dass es Ausnahmen gibt? Immer wieder ist doch folgender Mythos zu hören: „Manche Rassen können nicht trainiert werden!“. Diese pauschale Behauptung ist falsch. Sie können definitiv mit jeder Hunderasse (auch einem Jagdterrier) am Jagdverhalten trainieren. Sie werden nur nicht mit jedem Individuum bzw. jedem Rassevertreter dasselbe Trainingsergebnis erzielen. Die Genetik gibt den Rahmen vor, innerhalb dessen sie trainieren können. Abhängig vom genetisch vorgegebenen Rahmen machen Sie aus einem typischen Vertreter eines Setters keinen typischen Malteser. Warum ich so auf „typisch“ herumreite? Weil jeder Hund in erster Linie ein Individuum ist und nicht jeder Hund seine Rassebeschreibung gelesen hat. Verzweifeln Sie daher nicht, es lässt sich immer etwas optimieren. Auch im Zusammenleben mit einem Beagle.
Das Verhalten Ihres Hundes wird aber nicht nur durch seine Genetik bestimmt, sondern auch durch seine Erfahrungen. Darauf basiert auch der nächste Mythos:
HATTE IHR HUND EINMAL ERFOLG, HILFT KEIN TRAINING MEHR!
Falsch. Auch wenn Ihr Hund schon einmal eine Maus gefangen hat, ist Training nicht zwecklos. Selbstverständlich kann der Erfolg für Ihren Hund eine tolle Motivation sein. Aber es ist dadurch keinesfalls alles verloren. Wie oben erklärt ist Jagdverhalten angeborenes Verhalten, das nicht erlernt werden muss. Durch Übung werden Techniken allenfalls verfeinert. Umgekehrt braucht es auch keinen „klassischen“ Erfolg (nämlich das Beutetier zu erlegen – so wie wir Menschen das verstehen), damit das Jagdverhalten „entsteht“ oder „am Leben bleibt“. Weil jedes einzelne Element der Jagdverhaltenskette (z.B. auch das Wittern einer Spur) selbstbelohnend ist, ist es auch so schwierig Jagdverhalten selbst durch harte Strafen in den Griff zu bekommen. Es ist naiv zu glauben, dass ein Hund nach ein paar Monaten an der Leine kein Jagdverhalten mehr zeigen würde. Selbstverständlich kann es Sinn machen, einen jagdlich ambitionierten Hund während des Trainings mittels einer Schleppleine abzusichern, damit er das Stöbern durchs Unterholz oder das Hetzen nicht (weiter) üben kann. Leinenzwang für sich alleine verspricht aber keinen Erfolg.
BALL SPIELEN FÖRDERT DAS JAGDVERHALTEN IHRES HUNDES!
Falsch. Hunde sind klug genug, zwischen Bällen und Beutetieren unterscheiden zu können. Es gibt sowohl Hunde, die Ballspiele lieben, aber jagdlich nicht interessiert sind, als auch Hunde, die noch nie mit einem Ball gespielt haben und jagdliche Naturtalente sind. Es lässt sich aber ein anderer Zusammenhang zwischen Ball spielen und Jagen finden: In der Regel gilt, umso höher das Erregungsniveau umso geringer die Impulskontrolle. Auf unseren Fall bezogen: Wenn Sie Ihren Hund z.B. mit einem Ball pushen, wird es ihm tendenziell schwerer fallen, einem plötzlich aufspringenden Hasen zu widerstehen und ihn nicht zu verfolgen.
Statt den Ball zu verteufeln, kann Ball spielen im Jagdkontrolltraining sogar gezielt eingesetzt werden, um den Hund bedürfnisorientiert belohnen zu können: Hetzen des Balles statt Hetzen des Wildes.
FÜTTERN VON ROHEM FLEISCH FÖRDERT DEN JAGDTRIEB
Bitte sorgen Sie sich nicht, wenn Sie Ihren Hund gerne barfen (= Rohfütterung) wollen. Dadurch wird er mit Sicherheit kein blutrünstiger Jäger. Zusätzlich zu alldem was Sie in meinem Artikel über das Jagdverhalten Ihres Hundes gelernt haben, frisst Ihr Hund sein rohes Fleisch (das schon lange keinem toten Tier mehr gleicht) aus seinem Napf in Ihrem Zuhause ohne jeglichen jagdlichen Zusammenhang. Alles gut!
Ich hoffe, ich konnte nicht nur ein bisschen Licht ins Dunkel der Mythen und Mären bringen, sondern Ihnen auch Lust machen, mit Ihrem Hund gemeinsam an seinem Jagdverhalten zu trainieren. Machen Sie Ihrer „untreuen Seele“ nicht alles madig, sondern nutzen Sie die Chance, sich für seinen Lebensraum zu interessieren, mehr über Wald und Flur zu erfahren und auf die Bedürfnisse Ihres Hundes einzugehen.
Zugegeben der Weg zu einem entspannten Spaziergang muss sich mit einem jagdlich ambitionierten Hund nicht durchgehend romantisch anfühlen. Aber er zahlt sich aus! Es gibt keinen geeigneteren Ort als die Natur, um zu Ruhe und Zufriedenheit zu finden. Und zwar gemeinsam.
Lernen Sie von Ihrem Hund mehr über Genuss und Freude und genießen mit ihm jedes kleine (der unzähligen) Wunder, das Ihnen auf Ihrem Weg begegnet!